Название: The New Jim Crow
Автор: Michelle Alexander
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783956141591
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Nach Reagans Wahl zeigte sich, dass sich sein Wahlversprechen, den Kampf gegen die Straßenkriminalität zu verstärken, nicht ohne Weiteres umsetzen ließ, da diese Aufgabe traditionell den Vollzugsorganen der Bundesstaaten und Gemeinden zufiel. Nach anfänglicher Konfusion und einigen Kontroversen darum, ob nun die öffentliche Sicherheit in die Verantwortung des FBI und der Bundesregierung fallen sollten, kündigte das Justizministerium an, die Zahl seiner Spezialisten für Wirtschaftskriminalität um die Hälfte zu reduzieren und sich von jetzt an mehr auf die Straßen- und insbesondere die Drogenkriminalität zu konzentrieren.71 Im Oktober 1982 erklärte Präsident Reagan offiziell seinen Krieg gegen die Drogen. Zu diesem Zeitpunkt betrachteten lediglich 2 Prozent der Amerikaner Drogen als das größte Problem des Landes.72 Davon ließ sich Reagan nicht aufhalten, hatte doch der Drogenkrieg von Anfang an wenig mit Drogen, aber viel mit Rasse zu tun ge habt. Mit seinem Krieg gegen die Drogenkonsumenten und Dealer löste Reagan sein Versprechen ein, gegen die »Anderen« – vorzugehen – jene, die es nicht besser verdient hatten.
Die Budgets der Vollzugsbehörden des Bundes schossen praktisch über Nacht in die Höhe. Zwischen 1980 und 1984 stiegen die Mittel des FBI für den Kampf gegen die Drogen von 8 Millionen Dollar auf 95 Millionen Dollar. 73 Die Gelder, die das Verteidigungsministerium für den Drogenkrieg bereitstellte, nahmen von 33 Millionen Dollar im Jahr 1981 auf 1,042 Milliarden Dollar im Jahr 1991 zu. Während dieser Zeit kletterten die Ausgaben der Antidrogenbehörde DEA von 86 Millionen Dollar auf 1,026 Milliarden Dollar und die des FBI für den Kampf gegen die Drogen von 38 auf 181 Millionen Dollar.74 Im Gegensatz dazu wurde die Finanzierung von Einrichtungen, die sich mit der Behandlung von Süchtigen, der Prävention und Aufklärung beschäftigten, drastisch zusammengestrichen. Das Budget des National Institute of Drug Abuse beispielsweise fiel von 1981 bis 1984 von 274 Millionen Dollar auf 57 Millionen Dollar, und die Gelder des Bildungsministeriums für diese Zwecke wurden von 14 Millionen Dollar auf 3 Millionen Dollar gekürzt.75
Um sicherzustellen, dass die »neue republikanische Mehrheit« weiterhin die aussergewöhnliche Expansion der bundesstaatlichen Aktivitäten unterstützte und der Kongress diese weiterhin finanzierte, lancierte die Regierung unter Reagan eine Medienkampagne, die den Krieg gegen die Drogen rechtfertigen sollte.76 Darin wurde vor allem der Konsum der neuen Droge Crack in den Innenstädten dramatisiert, die aufgrund der Deindustrialisierung unter rasant steigenden Arbeitslosenzahlen litten. Der Medienrummel, den die Kampagne auslöste, hätte für die Afroamerikaner kaum zu einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können.
Anfang der 1980er Jahre, als der Krieg gegen Drogen seinen Anfang nahm, standen viele amerikanische Innenstädte vor dem ökonomischen Kollaps. Die einfachen Arbeitsplätze in der Industrie, die es in den Städten während der 1950er und 1960er Jahre noch in Hülle und Fülle gegeben hatte, waren verschwunden.77 Vor 1970 konnten auch gering qualifizierte, in der Stadt lebende Arbeiter unweit ihres Wohnorts eine Stelle in der Industrie finden. Mit der Globalisierung war dies zu Ende. Die Konzerne verlagerten die Produktion in Länder, in denen es keine Gewerkschaften gab und wo die Arbeiter nur einen Bruchteil dessen verdienten, was in den USA als anständiger Lohn galt. Weitere Jobs für Geringqualifizierte fielen dem technologischen Fortschritt zum Opfer. Gut ausgebildete Arbeiter konnten vom technologischen Wandel und dem Einzug der Computertechnik profitieren, aber die einfachen Arbeiter hatten beim rasanten Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft das Nachsehen.
Die Globalisierung und der mit ihr verbundene industrielle Niedergang wirkten sich am stärksten in den von Schwarzen bewohnten Stadtvierteln aus. William Julius Wilson beschreibt in seinem Buch When Work Disappears, dass in den 1970er Jahren die überwiegende Mehrheit der Afroamerikaner über keinen College-Abschluss verfügte und segregierte, miserabel ausgestattete Schulen besucht hatte. Diese Menschen, die in den Gettos lebten, waren denkbar schlecht auf den gewaltigen Umbruch vorbereitet, den die Wirtschaft der USA erfuhr; sie wurden arbeitslos und im Stich gelassen. Laut einer Studie hatte noch Ende der 1970er Jahre mehr als 70 Prozent der Schwarzen, die in städtischen Gebieten berufstätig waren, einen Job als einfache Arbeiter.78 Doch schon 1987, als der Krieg gegen die Drogen so richtig in Fahrt gekommen war, waren nur noch 28 Prozent aller schwarzen Männer in der Industrie beschäftigt.79
Wenn in der Industrie in dieser Zeit Arbeitsplätze entstanden, dann zumeist in den Außenbezirken der Städte. Die wachsende räumliche Entfernung traf wiederum vor allem die Afroamerikaner: Nur 28 Prozent der schwarzen Väter in den Städten verfügten über ein Auto, von jenen, die in den Gettos lebten, nur 18 Prozent.80
Den Frauen erging es in dieser Zeit etwas besser, weil die Sozialdienste in den städtischen Gebieten – die hauptsächlich Frauen beschäftigen – zur selben Zeit, in der Industriearbeitsplätze verschwanden, einen Aufschwung erlebten. Der Anteil schwarzer Männer, die eine Stelle im Dienstleistungssektor ergatterten, etwa in Pflegeeinrichtungen oder in Büros, war hingegen vernachlässigbar.81
Der Rückgang an legalen Verdienstmöglichkeiten verstärkte bei den Bewohnern der Innenstädte den Anreiz, Drogen zu verkaufen. Das war meist Crack, pharmakologisch gesehen dasselbe wie Kokain, aber so aufbereitet, dass es verdampft und inhaliert werden kann, was zu einem intensiveren (und kürzeren) Rausch bei geringerem Verbrauch führt. So können kleinere Dosen zu einem attraktiveren Preis verkauft werden. Crack eroberte 1985 die Straßen, wenige Jahre, nachdem Reagan seinen Krieg gegen die Drogen verkündet hatte. Die neue Droge mischte den Markt völlig auf, was zu einer Welle von Gewalt führte. Hinzu kam die Frustration über die mangelnden Arbeitsplätze. Arbeitslosigkeit und Crack suchten die Innenstädte genau in dem Augenblick heim, als sich die erbitterte Gegenreaktion auf die Bürgerrechtsbewegung im Krieg gegen die Drogen formiert hatte.
Man sollte den Schaden, den Crack und die mit der Droge verbundene Gewalt anrichteten, gewiss nicht verharmlosen. David Kennedy bemerkte dazu ganz richtig: »Crack fegte durch die Viertel der armen Schwarzen wie die vier apokalyptischen Reiter«, die Droge hinterließ unaussprechliche Verheerung und Leid.82 Doch ein Land hat auch eine Wahl, wie es auf ein solches Problem reagiert. Anderswo setzte man eher auf Behandlung der Süchtigen, Prävention und Beratung oder half den vom Verbrechen geplagten Gemeinden durch Investitionen auf die Beine. In Portugal beispielsweise entschied man sich dafür, der Drogenproblematik durch Entkriminalisierung sämtlicher Drogen die Grundlage zu entziehen, und steckte das Geld, das man für die Inhaftierung der Drogenkonsumenten ausgegeben hätte, in Drogenbehandlung und Prävention. Zehn Jahre später konnte Portugal vermelden, dass sowohl der Drogenmissbrauch und die Zahl der Drogenkonsumenten als auch die Drogenkriminalität rückläufig waren.83
Viele Wege standen uns als Nation offen, der Crack-Krise zu begegnen. Doch aus Gründen der Rassenpolitik und weil sich damit besser Ängste schüren lassen, wählten wir Krieg. Die Konservativen hatten endlich einen Grund gefunden, hemmungslos gegen einen »Feind« zu Felde zu ziehen, den sie schon Jahre zuvor rassisch СКАЧАТЬ