Название: The New Jim Crow
Автор: Michelle Alexander
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783956141591
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Die Agenten sahen mich unzählige Male mit Medienvertretern sprechen, um ihre Aufmerksamkeit auf die Drogenplage zu lenken. Ich ließ keine Gelegenheit aus, die von ihr [der DEA] erzielten Fortschritte im Kampf gegen den Drogenhandel hervorzuheben. … Wenn ich Washington überzeugen wollte, dann musste ich sie [die Drogen] zu einem Problem nationaler Tragweite machen, und zwar schnell. Ich stürzte mich in Lobbyarbeit und nutzte die Medien. Die waren nur allzu bereit, mit mir zusammenzuarbeiten, denn zumindest in New York lieferte Crack die heißesten Frontberichte seit dem Ende des Vietnamkriegs.84
Diese Strategie trug Früchte. Im Juni 1986 erklärte Newsweek Crack zur größten Sache seit dem Vietnamkrieg und Watergate, und im August desselben Jahres nannte die Zeitschrift Time Crack »das Problem des Jahres«. Tausende Berichte über die Crack-Krise füllten den Äther und die Zeitungskioske, alle mit einem deutlich rassistischen Unterton. Die Artikel handelten üblicherweise von »Crack-Huren«, »Crack-Babys« und Bandenkriminalität und verstärkten das schon bestehende Klischee einer kriminellen schwarzen Subkultur, in der die Frauen als verantwortungslose, egoistische »Welfare Queens« und die Männer schlicht als »Raubtiere« dargestellt wurden.85 Als im Juni 1986 Len Bias und Don Rogers, zwei populäre Sportler, an einer Überdosis Kokain starben, brachten Journalisten ihren Tod zunächst irrtümlich mit Crack in Zusammenhang, was den Sturm in den Medien weiter anfachte, eine Welle politischer Aktionen auslöste und die Angst der Öffentlichkeit vor der neuen »Teufelsdroge« verstärkte. Bis 1989 schlachteten die Medien das Thema Crack aus, sprachen von einer »Epidemie« und »Seuche«, von einer Droge, die »unmittelbar süchtig« mache und außerordentlich gefährlich sei – irreführende, inzwischen längst widerlegte Behauptungen. Zwischen Oktober 1988 und Oktober 1989 brachte allein die Washington Post 1565 Artikel über die »Teufelsdroge«. Richard Harwood, der Ombudsmann der Washington Post, räumte schließlich ein, die »aufgeheizte Stimmung« hätte dazu geführt, dass sein Blatt »die Verhältnismäßigkeit« aus den Augen verloren hätte. »Politiker bescheißen die Menschen«, so sein Fazit.86 Ähnlich äußerten sich später die Soziologen Craig Reinarman und Harry Levine: »Crack war ein Geschenk des Himmels für die Rechte. … Politisch gesehen hätte es zu keinem günstigeren Zeitpunkt auftauchen können.«87
Im September 1986, als der Medienrummel in vollem Gange war, billigte das Repräsentantenhaus einen Gesetzentwurf, der zwei Milliarden Dollar für den Kreuzzug gegen die Drogen bereitstellte, die Teilnahme des Militärs an Drogenbekämpfungsmaßnahmen vorsah, die Todesstrafe für gewisse Drogenverbrechen genehmigte und in Drogenprozessen auch mit illegalen Mitteln beschaffte Informationen als Beweise zuließ. Noch im selben Monat schlug der Senat noch schärfere Gesetze vor. Kurz darauf unterzeichnete der Präsident den Anti-Drug Abuse Act von 1986. Neben anderen harten Maßnahmen sah das Gesetz Mindesthaftstrafen für den Handel mit Kokain vor, und zwar deutlich schärfere für das vor allem mit Schwarzen assoziierte Crack als für das klassische Kokain, das hauptsächlich von Weißen konsumiert wurde.
Während des Gesetzgebungsprozesses waren nur vereinzelt kritische Stimmen zu hören. Ein Senator äußerte die Ansicht, Crack sei ein Sündenbock, der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von den wahren Ursachen der sozialen Missstände ablenken solle: »Wenn wir Crack die Schuld an den Verbrechen geben, sind die Politiker aus dem Schneider. Vergessen sind dann die nicht funktionierenden Schulen, die miserablen Sozialprogramme, die heruntergekommenen Stadtviertel, die vergeudeten Jahre. An all dem soll nun Crack schuld sein. Fast schleicht sich der Gedanke ein, wenn es kein Crack gegeben hätte, dann hätte die Bundesregierung sicher ein Forschungsstipendium gestiftet, um es zu entwickeln.«88
1988 nahm sich der Kongress die Drogenpolitik erneut vor. Heraus kam eine noch einmal erheblich verschärfte Gesetzgebung, die nun weit über das traditionelle Strafrecht hinausgriff und ganz neue Strafen für Drogenvergehen einführte. Der erweiterte Anti-Drug Abuse Act sah vor, dass Mietern ihre Sozialwohnungen gekündigt werden konnten, wenn sie dort oder in der Nähe Drogenaktivitäten auch nur wissentlich geduldet hatten, und strich verurteilten Drogentätern zahlreiche Sozialleistungen des Bundes, darunter Studentendarlehen. Das Gesetz erweiter te auch die Möglichkeiten, für besonders schwerwiegende Drogendelikte die Todesstrafe zu verhängen, und bestimmte neue Mindeststrafen für Drogenvergehen, darunter eine Mindesthaftstrafe von fünf Jahren für den einfachen Besitz von Crack – auch wenn keine Verkaufsabsicht nachgewiesen werden konnte. Besonders bemerkenswert ist, dass diese Strafe auch für Ersttäter vorgesehen war. Derart drakonische Strafen waren im Strafrecht des Bundes ohne Beispiel. Bis 1988 hatte die Höchststrafe für Drogenbesitz, unabhängig von der Menge und der Droge, ein Jahr betragen. Die Mitglieder des Congressional Black Caucus (CBC), der Gruppierung der afroamerikanischen Kongressabgeordneten, waren geteilter Meinung – einige hielten die harten Gesetze für unumgänglich, andere meinten, sie seien so zugeschnitten, dass sie hauptsächlich Schwarze träfen. Am Ende wurde der Gesetzentwurf mit der überwältigenden Mehrheit von 346 zu 11 Stimmen gebilligt. Sechs der ablehnenden Stimmen kamen von Mitgliedern des CBC.89
Der Krieg gegen die Drogen erwies sich als zugkräftiges Thema bei entscheidenden weißen Wählergruppen, insbesondere bei solchen, denen die Emanzipation der Schwarzen ein Dorn im Auge war. Seit den 1970er Jahren zeigen Studien immer wieder, dass hauptsächlich rassistisches Denken – und nicht die Kriminalitätsrate oder die tatsächliche persönliche Bedrohung – Weiße dazu bringt, eine harte Linie gegen Kriminalität und Maßnahmen zum Abbau von Sozialleistungen zu unterstützen.90 Die Weißen, die sich am meisten Sorgen über Verbrechen machten, waren zugleich jene, die sich gegen Reformen in den Rassebeziehungen sperrten, und ihre Befürwortung harter Strafen steht in keinerlei Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit, dass gerade sie Opfer von Verbrechen werden könnten.91 Im Schnitt tendieren Weiße zu härteren Strafen als Schwarze, trotz der Tatsache, dass Schwarze viel öfter Opfer von Verbrechen werden. Und auf dem Land, wo die Kriminalitätsrate am niedrigsten ist, fordern die Weißen die höchsten Strafen.92 Der in einer rassenneutralen Sprache gekleidete Krieg gegen Drogen bot Weißen eine einmalige Gelegenheit, ihre feindselige Haltung gegenüber Schwarzen und deren gesellschaftlichen Erfolgen zum Ausdruck zu bringen, ohne sich dem Vorwurf des Rassismus auszusetzen.
Reagans Nachfolger, Präsident George H.W. Bush, wusste bereits aufgrund des Erfolgs anderer konservativer Politiker, dass sich mit negativen Rassenanspielungen Wähler von der Demokratischen Partei zu den Republikanern locken ließen, und zögerte nicht, diese subtilen implizit rassistischen Anspielungen einzusetzen. Bushs bekanntester Einsatz des Rassenthemas war der Wahlspot für William Horton. Darin war ein dunkelhäutiger verurteilter Mörder zu sehen, der während eines Hafturlaubs eine weiße Frau in ihrer Wohnung vergewaltigt hatte. Der Wahlspot machte Bushs demokratischen Konkurrenten, den Gouverneur von Massachusetts Michael Dukakis, dafür verantwortlich, weil er das Hafturlaubsprogramm, das die Tat ermöglichte, gebilligt hatte. Der Spot lief über Monate auf allen Sendern und wurde Gegenstand zahlloser politischer Kommentare. So kontrovers der Spot war, so wirkungsvoll war er auch: Er machte Dukakis’ Hoffnungen auf die Präsidentschaft zunichte.
Nach seinem Einzug ins Oval Office blieb Bush seiner Linie treu und bremste die Affirmative Action und die strikte Umsetzung der Bürgerrechtsgesetze. Mit umso größerem Enthusiasmus führte er den Krieg gegen die Drogen. Im August 1989 bezeichnete Präsident Bush den Drogenkonsum als »das drängendste Problem des Landes«.93 Kurz danach ergab eine von der New York Times und CBS News in Auftrag gegebene Meinungsumfrage, dass 64 Prozent der Befragten – der höchste jemals ermittelte Prozentsatz –nun tatsächlich glaubten, Drogen seien das größte Problem der Vereinigten Staaten.94 Diese Ängste in der Bevölkerung waren nicht einem tatsächlichen Anstieg der Drogenkriminalität geschuldet, sondern vielmehr das Ergebnis einer sorgfältig orchestrierten politischen Kampagne.95
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