Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book). Dominik Helbling
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Читать онлайн книгу Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book) - Dominik Helbling страница 18

СКАЧАТЬ Wie unterscheidet er sich vom Tier? Ist der Mensch ein Kultur- oder ein Naturwesen? Wann beginnt menschliches Leben, wann hört es auf? Ist der Mensch ein Vernunft- oder Gefühlswesen?

      Darüber hinaus gibt es philosophische Fragen, die sich nicht diesen Grundfragen zuordnen lassen oder mehrere dieser Grundfragen betreffen. Beispiele:

      •Die Ästhetik betreffend: Was ist schön? Macht Kunst uns zu besseren Menschen?

      •Die Geschichte betreffend: Was ist Zeit? Gibt es einen Fortschritt in der Geschichte? Was sind die treibenden Kräfte in der Geschichte?

      •Die Gesellschaft, die Politik betreffend: Was ist eine gerechte Gesellschaft? Was darf der Staat?

      •Die Natur betreffend: Hat die Natur einen Sinn? Hat sie Bewusstsein?

      Die Welt ist fraglich und fragwürdig. Oder: Welche Anliegen hat das Philosophieren?

      Philosophieren kann als Haltung, als Methode und als Inhalt beschrieben werden.[78]

Als Haltung Das Philosophieren mit Kindern geht von einer Welt aus, in der vieles fraglich und ungeklärt erscheint und deshalb fragwürdig ist, kurz: ungeklärte Sachverhalte sind würdig, befragt zu werden. Die Fraglichkeit und Fragwürdigkeit der Welt bilden daher den Ausgangspunkt des Philosophierens. Es weckt die Begeisterung dafür, dass sich Nachdenken lohnt.
Als Methode Das gemeinsame Nachdenken fördert den Aufbau von grundlegenden Kompetenzen. Indem es Fragen und Phänomene genau unter die Lupe nimmt und scheinbar Vorgegebenes hinterfragt, leitet es zu kritischer Urteilsbildung und zu lückenlosem Denken an.
Als InhaltWir haben philosophische Fragen oben als solche Frage beschrieben, die nicht eindeutig beantwortbar sind, die das Wesen einer Sache ergründen, die nach Bedeutung und Sinn fragen und die ergebnisoffen sind. Solch eine Frage kann auch als Thema für eine Unterrichtseinheit über einen längeren Zeitraum dienen.

      Fragen erhöhen die Aufmerksamkeit und fördern vertieftes Verstehen. Umso erstaunlicher ist es, dass die Fragen der Schülerinnen und Schüler selten im Zentrum des Unterrichts stehen, vor allem wenn sie den Rahmen der Informationsfragen übersteigen. Vielmehr prägen die Fragen der Lehrperson den Unterricht. Empirische Untersuchungen belegen dagegen, dass regelmässiges Philosophieren im Sachunterricht die kognitive und sprachliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler fördert, Motivation und Konzentration erhöht, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen aufbaut sowie das Sozial-/Gruppenverhalten und die Gesprächskultur verbessert. Aber auch das fachliche Verstehen wird durch das Philosophieren gefördert.[79]

      Philosophieren bildet daher ein Unterrichtsprinzip, das folgende Anliegen hat.[80]

      1. Erschliessung eines komplexen Welt- und Wirklichkeitsverständnisses

      Jeglicher Unterricht ist dazu da, die komplexe Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler zu entschlüsseln und die subjektive von der objektiven Welt zu unterscheiden. Da die Wirklichkeit jedoch nicht aus einer einzigen Fachperspektive in ihrer Gesamtheit erschlossen werden kann, müssen unterschiedliche Perspektiven genutzt und miteinander in Verbindung gebracht werden. Das Philosophieren macht auf die Vielfalt verschiedener Denk- und Deutungsmöglichkeiten aufmerksam, nutzt deren Potenzial und integriert sie. Es ermöglicht, zwischen Perspektiven hin und her zu wechseln, Spannungen zwischen verschiedenen Perspektiven kenntlich zu machen und nicht vorschnell aufzulösen. Gleichzeitig lotet es die Grenzen der jeweiligen Perspektiven aus und macht auf sie aufmerksam. So kann beispielsweise ein naturwissenschaftliches Experiment nicht klären, ob Menschen Tiere töten dürfen oder nicht. Auf diese Weise werden Inhalte vertieft und vernetzt und der Unterricht bleibt sich selbst gegenüber kritisch. Mit der Verbindung von philosophischen mit fachlichen Fragen werden Unterricht und Welt enttrivialisiert, da die Komplexität der Wirklichkeit nicht vorschnell verengt und simplifiziert, sondern nach Bedeutung und Sinn gefragt wird.

      2. Kultivierung einer Haltung des Nachdenkens und der Offenheit

      Wie das Beispiel zum Auge am Anfang zeigt, braucht es von einer Lehrperson eine bestimmte Haltung, damit die Schülerinnen und Schüler das Fragenstellen nicht verlernen, sondern erlernen, ausbilden, kultivieren und verfeinern können. Dazu ist es nötig, dass Lehrpersonen Fragen zulassen, ja selbst eine fragende Haltung in den Unterricht mitbringen. Vermeintlich Vorgegebenes soll hinterfragt werden, man soll Unklares, Geheimnisvolles, Wunderliches benennen dürfen. Diese offene Haltung bedingt gleichzeitig, dass man Spannungen auszuhalten vermag, weil Fragen nicht immer sogleich beantwortet werden können. Es lohnt sich weiterzufragen und auch nach Bedeutung und Sinn eines Phänomens für Individuum und Gesellschaft zu fragen. Dadurch erhalten Schülerinnen und Schüler Distanz zu gesellschaftlich Vorgegebenem und üben das eigenständige Nachdenken und Urteilen. Indem nicht vorgegebenen Antworten vertraut wird, sondern man sich Zeit zum Nachdenken nimmt, wird der Unterricht entschleunigt.

      3. Förderung einer demokratischen Gesprächskultur

      Philosophieren kann man auch allein, zusammen macht es allerdings mehr Spass und erhöht die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler am Unterricht. Ausserdem sehen viele Augen mehr als nur zwei, viele Köpfe denken mehr als ein einzelner. Indem Schülerinnen und Schüler zusammen nachdenken, schaffen sie sich eine gemeinsame Welt, sie bereichern einander mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen und Wissensbeständen. Man nennt dies dialogisches und ko-konstruktives Lernen. Durch das gemeinsame Nachdenken erfahren Lehrpersonen gleichzeitig, welche Präkonzepte, also welches Vorwissen, welche Erfahrungen, welche Haltungen in einer Klasse vorhanden sind. Auf diese Weise werden Fragen, Vorstellungen und Weltdeutungen der Schülerinnen und Schüler kenntlich und berücksichtigt. Zugleich fördert dieses gemeinsame Nachdenken demokratisches Lernen. Der gemeinsame Erkenntnis- und Aushandlungsprozess sensibilisiert für subjektive Anliegen und Vorstellungen. Schülerinnen und Schüler müssen dabei aufeinander hören und einander ausreden lassen, versetzen sich ineinander. Auf diese Weise entwickeln sie Gesprächsfähigkeit und üben einen konstruktiven Umgang mit Verschiedenheit.

      Ziele des Philosophierens. Oder: Was sollen Schülerinnen und Schüler lernen?

      Ziele haben die didaktische Funktion, das Resultat des Unterrichts zu beschreiben. Heute werden sie meist als Kompetenzen ausgedrückt. Nach Ekkehard Martens[81] erlernen die Schülerinnen und Schüler elementare Kulturtechniken, die hier als fünf Kompetenzen umschrieben werden.

WahrnehmungsfähigkeitSie lernen, die Welt aufmerksam zu betrachten und zu beschreiben. Sie stellen Fragen, wo sie staunen, sich wundern und zweifeln. (Phänomenologie)
Reflexions- und UrteilsfähigkeitSie lernen, selbst präzise und lückenlos zu denken, zu fragen, zu zweifeln, weiterzudenken, etwas infrage zu stellen. Sie lernen Sachverhalte zu differenzieren. So lernen sie kritisch zu sein und vermeintlich Klares und Vorgegebenes zu hinterfragen. (Analytik)
Perspektivenbewusstsein und -wechselSie lernen verschiedene Perspektiven kennen und voneinander zu unterscheiden: fachliche, geschlechtsspezifische, kulturelle, subjektive Perspektiven. Sie nehmen die Eingeschränktheit und Grenzen von Perspektiven, Modellen und Antwortmustern wahr und können zwischen verschiedenen Perspektiven wechseln. (Hermeneutik)
Argumentations- und DiskussionsfähigkeitSie lernen ihre Gedanken zu formulieren, sie präzise und verständlich auszudrücken. Sie hören einander aufmerksam zu, trauen sich aber auch, Aussagen in Zweifel zu ziehen und über den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu diskutieren. (Dialektik)
Partizipation und VerantwortungsübernahmeSie beteiligen sich am Denk- und Verstehensprozess und übernehmen Verantwortung für das Lernen. Indem sie kritisch denken lernen, lernen sie Verantwortung für sich und die Gesellschaft zu übernehmen und nicht alles als gegeben hinzunehmen. Sie fragen auch nach dem Wünschbaren gegenüber dem Vorgegebenen. (Spekulation)
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