Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book). Dominik Helbling
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      Mit Hebammenfragen Gedanken gebären helfen: Der Fragenkatalog als Grundinstrument

«Der berühmte Philosoph Sokrates lebte von 469–399 v. Chr. in Athen. Er schrieb keine Bücher, sondern befragte alte und junge Menschen auf dem Marktplatz nach ihren Meinungen und Gedanken über das gute Leben und wie man es führen sollte. Seine Art zu philosophieren soll er mit der Arbeit seiner eigenen Mutter, die Hebamme war, verglichen haben. Er helfe zwar nicht bei der Geburt von Kindern, aber durch seine Fragetechnik leiste er den Menschen Hilfe beim ‹Gebären› eigener Gedanken. Beim Philosophieren mit Kindern versuchen wir, es ihm gleichzutun. Durch unsere ‹Hebammenfragen› leiten wir Kinder an, ein Thema sorgfältig und kritisch zu durchdenken, Meinungen darüber zu hinterfragen, gute Gründe für ihre Ansichten zu suchen und ihre Ideen verständlich zu formulieren, sei es in Worten oder manchmal auch durch Zeichnungen oder szenische Darstellungen. So leisten wir ‹Geburtshilfe› für ihre ‹Weisheiten›. So helfen wir ihnen, selber zu denken, denn: Selber denken macht schlau!»[88]Image - image19.png

      Das Zitat von Eva Zoller Morf macht deutlich, dass das Philosophieren mit Kindern in der Primarschule kein Philosophieunterricht ist, sondern eben Hebammenkunst (gr. Mäeutik). Ein in Kategorien gegliederter Katalog von Fragen hat die Funktion, die Ziele des Philosophierens als Methode des Nachdenkens praktisch umzusetzen, indem Fragen zu verschiedenen Fragekategorien gestellt werden. Er bildet die Grundlage für ein philosophisches Gespräch. Dabei werden verschiedene Fragetypen voneinander unterschieden:

      Typen von Hebammenfragen am Beispiel der Frage «Warum sammeln Menschen Dinge?»

      Viele Menschen sammeln etwas: Feriensouvenirs, Kakteen, Figuren, Bücher, Rezepte, Fotos, Witze usw. Interessant an diesem Phänomen ist, dass Menschen Dinge sammeln, obwohl sie sie nicht zum Überleben brauchen oder sie zuweilen überhaupt nicht «für etwas» brauchen.

      Im Spiegel dessen, was Menschen sammeln, lässt sich vieles über ihre Vorlieben, Charaktereigenschaften, Interessen usw. erfahren. Aus diesem Grund wäre diese philosophische Frage im Unterricht im Zusammenhang mit dem Thema Identität oder mit der (ebenfalls philosophischen) Frage «Wer bin ich?» zu stellen. Aus dem Klassenzimmer wird dabei eine Zeit lang ein Museum der Schätze. Die Schülerinnen und Schüler dürfen etwas mitbringen, was sie sammeln. In einer Morgenrunde stellen jeweils einige Kinder den Gegenstand und seine Geschichte vor.

      Während der «Eisbrecher» Nähe zwischen dem Phänomen oder der Frage und den Schülerinnen und Schülern herstellt und klärt, was etwas für mich und in meinem Leben ist, klären die nachfolgenden Fragekategorien, was etwas für sich selbst ist.[89] Sie schaffen Distanz, um die Phänomene und Fragen zu objektivieren.

Tabelle 4Hebammenfragen
Fragetyp und seine FunktionBeispiele zum Thema «Sammeln»
Philosophische FrageSie beschreibt das, was im Zentrum des Philosophierens steht. Dies ist wichtig, damit alle wissen, worum es sich dreht. Sie wird zu Beginn des Gesprächs oder der Unterrichtseinheit unterbreitet und aufgeschrieben. Dies gibt dem Nachdenken ein Zentrum, auf das hin alle Gedanken gerichtet werden sollen.Warum sammeln Menschen Dinge?
Einstiegsfrage («Eisbrecher»)Sie folgt gleich im Anschluss und hat die Funktion, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Lebenswelt abzuholen. Sie ist so beschaffen, dass die Schülerinnen und Schüler zunächst von persönlichen Erfahrungen erzählen können. Auf diese Weise wird eine Verbindung zwischen dem Thema und den Schülerinnen und Schülern hergestellt; es wird das Eis gebrochen, um das Gespräch in Gang zu bringen.Was sammelst du? Stell es uns vor.

Tabelle 5Typen von Hebammenfragen
Sachverhalte beschreiben und Begriffe klärenIm Gespräch wird versucht, das Phänomen oder die Frage, die behandelt wird, ganz genau zu beschreiben (Phänomenologie). Dies hilft, danach Umschreibungen und Definitionen für das Phänomen zu finden (Analytik).•«Was ist genau x?»•«Warum nennen wir es so?»•«Wie kann man x beschreiben?»•«Was bedeutet x?•«Wie ist es, wenn man ...»•«Was tut man, wenn man ...»•«Was meint genau xy?»•«Was bedeutet yx?»•«Woran sieht man, dass xy xy ist?»Was gefällt uns am Sammeln? Was bedeutet es uns? Worauf achten wir bei einem neuen Stück?Wozu sammeln wir Dinge, obwohl wir sie nicht nötig haben?Gibt es Menschen, die gar nichts sammeln?Sammeln die meisten Menschen etwas? Aus welchen Gründen?Was würde ihnen fehlen, wenn sie es nicht tun würden?
Unterschiede und Ähnlichkeiten herausarbeitenEine hilfreiche Technik ist es, Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Phänomenen herauszuarbeiten und zu benennen. Damit lassen sich Phänomene gegeneinander abgrenzen und man erhält einen schärferen Begriff davon (ebenfalls Phänomenologie und Analytik).•«Gibt es verschiedene Arten von xy?»•«Was sind Merkmale von x und y?»•«Sind x und y dasselbe?»•«Worin gleichen sich x und y?»Gibt es Lieblingsstücke? Was macht sie zu dem?Welches Objekt würden wir hergeben? Welches nicht?Was unterscheidet das Sammeln von anderen Dingen, die wir ebenfalls besitzen?
Meinungen begründen und Wertungen reflektierenBeim Philosophieren geht es ja auch darum, dass genau überprüft wird, wie ein Gedanke oder eine Aussage zustande kommt. Dabei spielt die fachliche, geschlechtsspezifische, kulturelle, subjektive Perspektive eine Rolle. Auf diese Weise gelingt es, sich in eine Perspektive hineinzuversetzen und zwischen verschiedenen Perspektiven zu wechseln (Hermeneutik, Dialektik). Meinungen werden gegenübergestellt.•«Was meinst du, wenn du sagst ...?»•«Hast du ein Beispiel dafür?»•«Warum denkst du, dass dies so sei?»•«Stimmst du der Aussage zu?»•«Wer ist auch dieser Meinung?»•«Peter sagt ..., Janine sagt ...»Wem würde deine Sammlung auch gefallen?Gibt es Dinge, die man nicht sammeln sollte? Warum?Ist es besser A statt B zu sammeln? Warum?
Hypothesen erstellen und Folgen überlegen (Gedankenexperimente)Das Anliegen des Gedankenexperiments (auch Spekulation) ist es, Vorgegebenes infrage zu stellen oder darüber hinaus zu denken. Damit wird die Phantasie der Schülerinnen und Schüler angeregt und sie werden ermutigt, vermeintlich Klares nicht einfach hinzunehmen.•«Könnte es noch ganz anders sein?»•«Ist das gut so, wie es ist?»•«Was wäre, wenn ...?»•«Ist es erstrebenswert, wenn ...»Welche Sammelleidenschaft könnte dich anstecken?Wenn du nicht mehr sammeln würdest, würde dir etwas fehlen?Wärst du traurig darüber, wenn deine Sammlung verloren ginge? Würdest du wieder dieselben Dinge sammeln?

      Eulengespräche inszenieren. Gestaltungshilfen beim Philosophieren

      Ein unterrichtliches Grundprinzip der Primarstufe ist, dass Lerngelegenheiten inszeniert werden. Die Einkleidung des Lernprozesses fördert die Aufmerksamkeit und das Erinnerungsvermögen und schafft eine Ritualisierung. Nachfolgend einige Möglichkeiten, das Philosophieren stufengerecht im Unterricht zu inszenieren.

      Die Inszenierung beginnt beim Vokabular. Man kann Philosophieren als solches bezeichnen oder – insbesondere in der Unterstufe – als «Eulengespräch». Um die Idee einzuführen, eignet sich die unten stehende Erklärung (siehe Kasten) oder eine kurze Geschichte, die sich zwischen zwei Eulen abspielt. Diese Figuren mit Namen Philo und Sophia können aus Föhrenzapfen, Wollpompons oder Kartonrollen gefertigt werden. Ein bestimmtes Zeichen (z. B. Gong) markiert Anfang und Ende des Gesprächs. Ein farbiges Tuch in der Mitte, auf das die Figuren oder auch im Gespräch verwendete Gegenstände gelegt werden, unterstreicht die Ritualisierung. Auch können Karten mit einem Eulenmotiv als Eintrittstickets für das philosophische Gespräch verteilt werden, gewissermassen als Lizenz zum Nachdenken.

Eule der WeisheitDie Eule resp. der Steinkauz ist das Attribut der griechischen Göttin Athene, Stadtgöttin Athens und Göttin der Weisheit/Klugheit, weshalb sie auch die Patronin der Philosophie war. Angeblich nisteten an den Hängen der Akropolis zahlreiche Steinkauze. Aristophanes prägte um 400 v. Chr. die Redewendung «Eulen nach Athen tragen» für eine СКАЧАТЬ