Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book). Dominik Helbling
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СКАЧАТЬ die Anzahl der infrage kommenden fachlichen Perspektiven ein. Zur Beantwortung dieser Frage benötigen wir Wissen hauptsächlich aus Kompetenzbereichen des Lehrplans, die sich an der sozialen (Zugang zu Trinkwasser), wirtschaftlichen (Wasser als Wirtschaftsfaktor, Kosten der Wasserversorgung in der Gemeinde) und geografischen Perspektive (Wasservorkommen und deren Nutzung) orientieren. Wissensbestände anderer Perspektiven von NMG oder anderer Fächer sind in diesem Fall nur am Rand oder gar nicht gefragt. Da die zur Beantwortung der Frage hinzugezogenen Wissensbestände und Handlungsaspekte sich alle auf diese zentrale Fragestellung beziehen, ist bei den Kindern eine Vernetzung des erworbenen Wissens, das zu vertieftem Verstehen führen soll, zu erwarten.

      Eine vierte Variante, wie die vielperspektivische Ausrichtung von NMG im Unterricht umgesetzt werden kann, lässt sich als «transperspektivisch» bezeichnen (siehe Abb. 2b).

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      Komplexe gesellschaftliche Fragen, wie sie zum Beispiel von einer «Bildung für eine nachhaltige Entwicklung» (BNE) aufgeworfen werden, lassen sich selten allein durch die inhaltlichen und methodischen Angebote der fachlichen Perspektiven von NMG beantworten. Werden durch perspektivenübergreifendes Arbeiten Wissen sowie Denk- und Arbeitsweisen verschiedener fachlicher Perspektiven miteinander verbunden, so geht transperspektivisches Arbeiten darüber hinaus, indem ausserwissenschaftliches Akteurswissen zur Bearbeitung komplexer gesellschaftlicher Fragestellungen miteinbezogen wird.[27] Gemeindemitarbeitende und Angestellte von Wasserwerken könnten durchaus wertvolle Erkenntnisse beitragen, zum Beispiel zu unserem Unterrichtsthema «Ist Wasser kostbar?».

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      Eine fünfte Variante betrifft schliesslich das fächerübergreifende Arbeiten (siehe Abb. 2c). Während die perspektivenübergreifende Variante in Bezug auf eine übergeordnete Fragestellung Wissensbestände und Handlungsaspekte aus fachlichen Perspektiven von NMG ins Auge fasst, werden im fächerübergreifenden Unterricht neben Wissensbeständen verschiedener fachlicher Perspektiven von NMG auch Wissensbestände anderer Schulfächer zur Beantwortung einer übergeordneten Fragestellung hinzugezogen. Wenn wir wieder von der Fragestellung «Ist Wasser kostbar?» ausgehen, könnten dies die Fächer Mathematik (Wasserkosten oder Wasserverbrauch berechnen) oder Deutsch (Texte aufgrund von Interviews mit Gemeindevertretern entwerfen) sein. Der fächerübergreifende Unterricht in NMG bietet, wie der Lehrplan betont, «die Möglichkeit, die Grenzen der einzelnen Fachbereiche aufzulösen und Themen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Erst damit werden Komplexität und Zusammenhänge von Phänomenen und Situationen deutlich.»[28] Das, so heisst es weiter, trägt «zu einem bereichernden und vertiefenden Unterricht» bei.[29] Konkret kann fächerübergreifender Unterricht für NMG dann angebracht und sinnvoll sein, wenn die übergeordnete Fragestellung durch das Hinzuziehen von Wissensbeständen anderer Fachbereiche vertiefter und breiter beantwortet werden kann. Entscheidend ist dabei, dass es auch aus der Sicht der hinzugezogenen Fächer sinnvoll ist, sich auf diese Frage einzulassen. Blosse Alibibeiträge, Lückenfüller oder reine Unterhaltungsaktivitäten wären damit ausgeschlossen.

      Fassen wir zusammen: Was ist die beste Unterrichtsform in NMG – perspektivisches, perspektivenaddierendes, perspektivenübergreifendes, transperspektivisches oder fächerübergreifendes Arbeiten? Entscheidend ist, dass man als Lehrerin oder Lehrer die Stärken und Schwächen dieser Möglichkeiten kennt und bewusst für die Planung und Umsetzung des eigenen Unterrichts berücksichtigt. Und bei allen dargestellten Varianten müssen sie sich Fragen stellen wie: Warum sollen sich Kinder eine gewisse Zeit lang mit diesem Unterrichtsthema auseinandersetzen bzw. inwiefern ist es bildungsrelevant für sie? Werden sie in der Beschäftigung mit diesem Unterrichtsthema zu «Spezialistinnen und Spezialisten für Zusammenhänge», erwerben sie dadurch vernetztes Wissen? Dient das erworbene Wissen dazu, «grundlegende Fragestellungen, die uns als Menschen oder unsere soziale, kulturelle und natürliche Um- und Mitwelt betreffen»,[30] anzugehen? Die zunehmende Komplexität und Widersprüchlichkeit vieler Probleme und Fragen heutzutage erfordert allerdings immer stärker eine perspektivenübergreifende bzw. transperspektivische Betrachtung. Am Beispiel des Ersatzes fossiler durch erneuerbare Energieträger kann dies gut illustriert werden: Einheimisches Rapsöl oder aus Indonesien importiertes Palmöl wird zunehmend als (sauberer) Biotreibstoff vermarktet. Daneben findet Palmöl auch in der Kosmetik, in Reinigungsmitteln und in Nahrungsmitteln (Margarine, Süsswaren) Verwendung. Durch die Rodung von Regenwäldern für den Plantagenbau ist die CO2-Bilanz von Palmöl jedoch höchst bedenklich: Eine Tonne Biokraftstoff aus Palmöl setzt zwei- bis achtmal mehr CO2 frei als die Verbrennung einer Tonne Erdöl.[31] Naturwissenschaftlich-technische, soziale, ökonomische, politische, ethische, geografische Wissensbestände und unterschiedliche Akteursperspektiven müssen herangezogen und vernetzt werden, will man diesen Sachverhalt gründlich verstehen. Das bedeutet, dass a) fundiertes Wissen aus verschiedenen Wissensdomänen bzw. von unterschiedlichen Akteuren benötigt wird und b) diese unterschiedlichen Wissensbestände sinnvoll miteinander in Verbindung gebracht werden müssen, um zu einem vertieften Verständnis des Problems gelangen zu können. Im folgenden Abschnitt wird der Fokus deshalb auf die Variante «perspektivenübergreifender Unterricht» in NMG gelegt.

      Grundlagen und Chancen perspektivenübergreifenden Unterrichts in NMG

      Beziehen wir das Biotreibstoff-Beispiel auf den Unterricht in NMG, heisst dies, dass auf der Basis von fachlichem Wissen und Können aus verschiedenen fachlichen Perspektiven von NMG den Lernenden ein vernetztes, perspektivenübergreifendes Verständnis komplexer Phänomene und Sachverhalte unserer Welt ermöglicht werden soll. Ausgehend von der Definition Klaus Moeglings für fächerübergreifenden Unterricht kann perspektivenübergreifender Unterricht wie folgt umschrieben werden:

      Fächerübergreifender Unterricht [bzw. perspektivenübergreifender Unterricht] ist der didaktische Oberbegriff für alle Unterrichtsversuche, bei denen verschiedene Fachperspektiven [bzw. fachliche Perspektiven von NMG] systematisch zur Lösung eines Problems [bzw. einer übergeordneten Fragestellung] so miteinander vernetzt werden, dass ein thematisch-inhaltlicher Zusammenhang erkennbar wird, eine mehrperspektivische Analyse und Beurteilung gefördert werden und eine handlungsorientierte Problemlösung oder handlungsorientierte Problemlösungsalternativen aus verschiedenen Blickwinkeln heraus entwickelt werden können [...].[32]

      Es geht demnach darum, «die Leistungsfähigkeit des Fachlichen einschätzen zu lernen, auch in Verbindung damit dessen Grenzen zu erkunden und darüber hinaus das Fachliche zu überschreiten»[33].

      Didaktische Begründungen für perspektivenübergreifenden Unterricht

      Perspektivenübergreifender Unterricht als Mittel zum Verstehen der Welt lässt sich anhand unterschiedlicher didaktischer Blickwinkel begründen.[34]

      •Der entwicklungspsychologische Ansatz: Frühkindliches Denken ist schon rudimentär vernetzt, da es Sachverhalte (noch) nicht nach Fächern trennt. Ein perspektivenübergreifendes Vorgehen kann an dieses Denken anknüpfen und es im Sinne eines bewussteren und strukturierteren Denkens weiterentwickeln.

      •Der konstruktivistische Ansatz: Ein perspektivenübergreifender Unterricht unterstützt die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler, verschiedene Perspektiven zu einem Gegenstand kennenzulernen, einzunehmen und zu vertreten (Wie wird beobachtet? Wer beobachtet? Mit welchen Absichten, Interessen?); es geht dabei um Rekonstruktion, Dekonstruktion und Konstruktion fachlicher Blickwinkel durch die Schülerinnen und Schüler. Durch die Beschäftigung mit exemplarischen und aktuellen Themen wird sowohl an das Vorwissen und die Fragen der Kinder als auch an das Wissen der Fachperspektiven von NMG angeknüpft.

      •Der bildungstheoretische Ansatz: Bildungsprozesse sind nicht auf Fachinhalte zu reduzieren (Klafki).[35] Sie sind Anregungen zur Entwicklung von Selbstkompetenz, Sachkompetenz, Mitbestimmungsfähigkeit und Fähigkeit zur Solidarität. Es geht um die Persönlichkeitsentwicklung СКАЧАТЬ