Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book). Dominik Helbling
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СКАЧАТЬ wie sich die Kultur eines Fachs fassen lässt, das mehrere fachliche Perspektiven aufweist. An der damit verbundenen Frage nach dem Verhältnis von Disziplinarität und Interdisziplinarität wird – mit unterschiedlichen Konjunkturen – seit den 1970er-Jahren in unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen gearbeitet. Insbesondere die Konzepte aus den 70er-Jahren wurden in der Fachwelt zwar hoch gelobt, waren aber in Bezug auf Ihre Praxistauglichkeit eingeschränkt und fanden daher kaum Verbreitung. In der Zwischenzeit wurden vor allem perspektivenbezogene Arbeiten und Konzepte verfolgt, dies jedoch ohne den Grundanspruch der Interdisziplinarität explizit aufzugeben.

      Mit dem Aufkommen des fächerübergreifenden Anliegens einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) erhielt dieser Grundanspruch eine neue Bedeutung und Dringlichkeit. Aus der Zusammenarbeit zwischen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Sachunterrichtsdidaktik und BNE an der damaligen Pädagogischen Hochschule Solothurn wurden folgende Leitgedanken für einen integrativ verstandenen Sachunterricht erarbeitet:

      •«Der Unterricht dient dem übergeordneten Ziel, die Schülerinnen und Schüler bei der Erschliessung der Lebenswirklichkeit zu unterstützen und ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu fördern und zum Handeln zu ermutigen. Deshalb ist eine Rückbindung an übergeordnete Bildungsziele im Sinne der Allgemeinbildung notwendig.

      •Für den Unterricht werden komplexe, gesellschaftlich und fachlich relevante Themen gewählt; diese Themen werden sachgerecht und unter Hinzuziehen relevanten Wissens aus den Bezugswissenschaften des Sachunterrichts bearbeitet. Ausgangspunkt dazu ist die Formulierung einer übergeordneten Fragestellung.

      •Die Themen des Unterrichts werden so umrissen und aufbereitet, dass sie die Balance halten zwischen der Orientierung an fachwissenschaftlicher Relevanz und der Orientierung an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Der Unterricht vermittelt den Schülerinnen und Schülern belastbares Wissen sowie grundlegende Erfahrungen und Einsichten aus relevanten Gebieten wissenschaftlichen Denkens.

      •Die Wissensbestände und Vorgehensweisen verschiedener fachwissenschaftlicher Perspektiven des Sachunterrichts werden bei der Bearbeitung komplexer Themen nicht additiv nebeneinandergestellt, sondern anhand einer übergeordneten Fragestellung zu einer Gesamtsicht vernetzt. Mittel dazu ist ein interdisziplinär reflektierter perspektivenverbindender Sachunterricht.

      •Die verschiedenen ‹Modi der Weltbegegnung› und ein konstruktivistisches Lernverständnis, das das individuelle Lernen der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellt, charakterisieren den Sachunterricht.»[1]

      Das vorliegende Studienbuch zeigt, wie diese Leitgedanken in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung an der Pädagogischen Hochschule Luzern weiterentwickelt werden, und gibt praktische Hinweise, wie Sachunterricht anders verstanden und umgesetzt werden kann. Es ist erfreulich, dass Studierende mit diesen neuen Zugängen konfrontiert werden und Modelle für eine integrative Unterrichtsgestaltung kennenlernen. Das Studienbuch leistet damit einen wertvollen Beitrag im Hinblick auf einen integrativ konstituierten NMG-Unterricht.

      Prof. Dr. Christine Künzli David und Prof. Kuno Schmid

      Einleitung

      Neue Herausforderungen

      Als einziges Schul- und Studienfach, das sich mit der Welt in all ihren Facetten beschäftigt, stellt der Sachunterricht an sich – nach neuem Lehrplan «Natur, Mensch, Gesellschaft» (NMG) – schon eine grosse Herausforderung für Studierende und Lehrende dar. Wie soll mit der Vielzahl seiner fachlichen Perspektiven umgegangen werden? Welche Inhalte sollen zum Tragen kommen und warum gerade diese? Was soll das Fach zur Allgemeinbildung beitragen? Wie gelingt es, zum Nachdenken anzuregen, statt nur deklaratives Wissen anzuhäufen? Mit der Einführung des Lehrplans 21 kommen weitere Herausforderungen hinzu, wie zum Beispiel die Ausrichtung des Unterrichts auf Kompetenzen mit detailliert aufgeführten Kompetenzstufen und eine darauf aufbauende Zyklenstruktur, in der NMG nicht wie bisher nur die Primarstufe betrifft, sondern vom Kindergarten bis zum Ende der Volkschule reicht, oder die Forderung, die überfachlichen Kompetenzen von Medien und Informatik und von Bildung für nachhaltige Entwicklung in NMG einzubauen.

      Gerade für die ersten beiden Zyklen kann die Vielzahl der aufgelisteten Kompetenzen, Kompetenzstufen und Inhalte dazu führen, dass diese einfach nacheinander abgearbeitet werden. Auf der Strecke blieben dadurch gerade jene Aspekte, die das Wesentliche des Fachs ausmachen: den Lernenden eine vertiefte und vernetzende Begegnung und Auseinandersetzung mit der Welt in all ihren Perspektiven zu ermöglichen. Ziel des vorliegenden Studienbuches ist deshalb, für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen des ersten und zweiten Zyklus Anregungen zu geben für einen auf Nachdenken beruhenden und Perspektiven vernetzenden Unterricht in NMG, der bildungsrelevant und kompetenzorientiert ist. Es zeigt Grundlagen und Nutzen eines solchen Unterrichts auf, bietet eine Basis für die Erarbeitung von kompetenzorientierten Aufgaben, hilft bei der Planung des eigenen Unterrichts und stellt ausgehend von übergeordneten Fragestellungen elf didaktische Analysen mit konkreten Aufgabenbeispielen vor, zu denen Hinweise zu Unterrichtsmaterialien und weiterführender Literatur geliefert werden. Das Studienbuch ist in fünf Teile gegliedert.

      Teil 1: Fachverständnis

      Durch seine vielfältigen Bezüge zu verschiedenen Disziplinen bzw. Fächern stellt NMG als Schulfach des ersten und zweiten Zyklus ein besonderes Konstrukt dar. Ein Konstrukt, das jedoch nicht als blosse «kleine Ausgabe» der überwiegend auf fachlichen Strukturen beruhenden Perspektiven des dritten Zyklus verstanden werden darf. Auch eine Reduzierung seiner Rolle und Bedeutung auf eine reine Zubringerfunktion für weiterführende Schulen würde entschieden zu kurz greifen. In den ersten beiden Zyklen besitzt NMG einen eigenständigen Bildungswert, der sich in der vielfältigen Auseinandersetzung und Begegnung von Schülerinnen und Schülern mit der Welt manifestiert. Seine Berechtigung als Schulfach erhält es, so wie alle anderen Fächer auch, durch explizit auszuweisende Beiträge zu einer grundlegenden Bildung.[2] Wissen und Können der fachlichen Bezugsdisziplinen, der Zielstufe entsprechend konkretisiert in den Kompetenzen und Kompetenzstufen des Lehrplans, bilden dabei die Grundlage des Fachs. Sie dienen dazu, verschiedene Erkenntnisinteressen und Zugänge zur Welt voneinander zu unterscheiden und die Lebenswelt zu erschliessen und zu ordnen. Das Verstehen einer komplexen Welt bedingt jedoch zudem die Fähigkeit, Wissen zu vernetzen und über grundlegende Fragen nachzudenken. Lehrpersonen müssen deshalb fähig sein, ein solches Wissen und Können bei den Lernenden im Hinblick auf die Beschäftigung mit gesellschaftlichen, das heisst bildungsrelevanten Fragestellungen zu entwickeln. Übergeordnete Fragestellungen dienen dabei als Dreh- und Angelpunkt des NMG-Unterrichts und bilden sozusagen den roten Faden, der sich durch eine Unterrichtseinheit zieht, da sowohl Zielsetzung als auch Sachanalyse und Auswahl der Methoden sich danach ausrichten.

      Teil 2: Philosophieren

      Ein an Fachwissenschaften orientierter Lehrplan macht Schülerinnen und Schülern spezifisches Wissen und Zugänge verfügbar. Er kann jedoch auch dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler vor allem lernen, dass es auf alles eine Antwort gibt und die Lehrperson sie weiss. Eine solche Welt, die bis in den hintersten Winkel vermessen ist, ist für Kinder denkbar uninteressant. Und eine pädagogische Haltung, die sie mit Erwachsenenwissen belehrt, verhindert Neugierde und Entdeckungslust. Der Ansatz des Philosophierens mit Kindern möchte deshalb das Staunen und Hinterfragen kultivieren und das kritische Nachdenken fördern. Dazu braucht es kein eigenes Fach, denn in allen Fächern lassen sich Fragen stellen, die nicht fachlich zu beantworten sind und deshalb nach einem Gespräch verlangen. Damit dies für den NMG-Unterricht nutzbar gemacht werden kann, wird der Ansatz des Philosophierens eingeführt und es werden einige grundlegende Arbeitsmittel vorgestellt. Gerade die übergeordnete Fragestellung ist häufig philosophischer Natur, weil sie uneindeutig ist, fachliche Perspektiven überschreitet, einen existenziellen Kern aufweist und ergebnisoffen formuliert ist. Sie kann die Schülerinnen und Schüler dazu anregen, Wissen miteinander zu vernetzen СКАЧАТЬ