Название: Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund
Автор: Benjamin Vogel
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
isbn: 9783429063610
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Doch es ist eine andere Verwendungsweise des Liebesbegriffs, die das Ehekapitel dominiert:64 So wird bereits zu Beginn von GS 48 mit der Liebe nicht nur ein Teilaspekt, sondern die gesamte Wirklichkeit der Ehe definiert.65 Derselbe Artikel handelt vom Segen Christi über die Liebe, womit auch an dieser Stelle die Ehe als Ganzes gemeint ist.66 Zweimal tritt die Liebe als Subjekt neben der Ehe auf, wenn erklärt wird, dass Ehe und Liebe auf Nachkommenschaft hingeordnet seien.67 An diesen Aussagen wird erkennbar, dass die eheliche Liebe nicht als ein bloßer Teilaspekt der Ehe verstanden wird, sondern die ganze Wirklichkeit der Ehe betrifft und beschreibt. Norbert Lüdecke sieht daher in der Liebe das „Strukturprinzip der gesamten Ehewirklichkeit“ und den „kontinuierliche[n] Referenzpunkt des ganzen Ehekapitels.“68
Die widersprüchliche Beschreibung des amor coniugalis als eigenständiger Sinngehalt neben der Fortpflanzung einerseits und als ein die ganze Ehe durchdringendes Strukturprinzip andererseits liegt darin begründet, dass während des Konzils noch keine klare Terminologie für einen partnerschaftlichen Sinngehalt zur Verfügung stand.69 Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Konzilstext neben dem prokreativen Sinngehalt ein selbständiger personaler Wert ausgedrückt werden sollte. Das wird sehr anschaulich in GS 48: Die Ehe wird hier vorgestellt als „innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“, als ein „heilige[s] Band“, das „im Hinblick auf das Wohl der Gatten und der Nachkommenschaft sowie auf das Wohl der Gesellschaft nicht mehr menschlicher Willkür“ unterliege.70 Als dem Zugriff des Menschen entzogen werden demnach nicht mehr nur die Wesenseigenschaften der Ehe, Einheit und Unauflöslichkeit, sowie die prokreative Ausrichtung der Ehe betrachtet, sondern auch das Wohl der Gatten und das Wohl der Gesellschaft.71 Weiter heißt es, die Ehe sei „mit verschiedenen Gütern und Zielen ausgestattet“, die „von größter Bedeutung für den Fortbestand der Menschheit, für den persönlichen Fortschritt der einzelnen Familienmitglieder und ihr ewiges Heil; für die Würde, die Festigkeit, den Frieden und das Wohlergehen der Familie selbst und der ganzen menschlichen Gesellschaft“72 seien. Auch hier ist der Bezug zur Nachkommenschaft gegeben, gleichzeitig wird jedoch ausführlich die Wichtigkeit für die einzelnen Personen beschrieben und dieser Zusammenhang – allerdings nicht im Sinne einer Rangfolge – von der prokreativen Dimension abgesetzt.73 Die Güter und Ziele „lassen sich sowohl textgeschichtlich als auch in bezug auf die offizielle Endfassung des Ehekapitels textanalytisch als die beiden neben den Wesenseigenschaften der Einheit und Unauflöslichkeit bestehenden Werte der Partnerschaft und der Nachkommenschaft identifizieren.“74 Diese Werte werden mit den beiden folgenden Sätzen jeweils konkretisiert: Zunächst beschreibt die Konstitution die natürliche Hinordnung der Ehe und der Liebe auf Nachkommen, die als „Krönung“ angesehen werden.75 Danach wird die partnerschaftliche Dimension durch das biblische Bild des Ein-Fleisch-Werdens näher bestimmt.76 Die Gatten sind aufs Engste miteinander verbunden, bestreiten gemeinsam ihr Leben und „erfahren und vollziehen dadurch immer mehr und voller das eigentliche Wesen ihrer Einheit.“77 Diese eheliche Partnerschaft, die „Lebenseinheit der Ehegatten“78 wird nicht als Nebenzweck zur Fortpflanzung verstanden, sondern stellt einen „Wesenszug der Ehe“79 dar. Es geht hier um die Intersubjektivität der Partner und um die Bereicherung, die sie aus dem täglichen Miteinander erfahren.80
Anschließend werden aus beiden Sinngehalten – und zwar gleichermaßen aus dem partnerschaftlichen wie dem prokreativen – die Wesenseigenschaften der Ehe abgeleitet: Treue und unauflösliche Einheit der Partner liegen in der Vereinigung und der Selbstschenkung der Gatten ebenso begründet wie im Wohl der Kinder.81 Die traditionelle Herleitung der Wesenseigenschaften allein aus dem bonum prolis wird damit überwunden.82 Auch daran lässt sich ablesen, dass die Konzilsväter eine Gleichrangigkeit zwischen beiden Werten vertreten.83 GS 48 schließt mit dem Auftrag an die Ehepartner und die ganze Familie, Zeugnis für das Wirken Christi abzulegen. Erreicht werden soll das „durch die Liebe der Gatten, in hochherziger Fruchtbarkeit, in Einheit und Treue“84 und durch die Kooperation der Familienmitglieder. Liebe ist hier wiederum nicht Synonym für die Ehe als Ganzes, sondern drückt den partnerschaftlichen Wert aus. Entscheidend ist, dass partnerschaftlichem und prokreativem Wert in gleicher Weise Zeugnischarakter zugeschrieben wird.85
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Konzilsväter in GS 47–52 die im CIC/1917 normierte und später lehramtlich wiederholt eingeschärfte Unterscheidung zwischen dem Primärzweck der Zeugung und Erziehung von Nachkommen und den Sekundärzwecken der gegenseitigen Hilfe bzw. dem Heilmittel gegen die Begierlichkeit aufgeben. Stattdessen etablieren sie neben dem prokreativen Sinngehalt der Ehe einen diesem gleichwertigen und eigenständigen partnerschaftlichen Sinngehalt. Die Verbindung der Ehepartner wird nicht länger in erster Linie als Gemeinschaft zur Fortpflanzung gesehen, sondern als gleichermaßen von beiden Werten geprägter Liebesbund. Dies lässt sich – trotz begrifflicher Unschärfen im Endtext – anhand der Textgeschichte aufzeigen. Beide Sinngehalte gehören zum Wesen der Ehe, zwischen ihnen besteht eine Balance und nicht eine Rangfolge.86 Insofern ist die konziliare Lehre auch eine Absage an ehetheologische Entwürfe, die der Paarbeziehung als solcher einen Vorrang vor der Fortpflanzung einräumten.87 Dass die Konzilsväter bewusst auf eine juristische Terminologie verzichteten, bedeutet indes nicht, dass mit dem Ehekapitel der Pastoralkonstitution keine verbindlichen Aussagen getroffen wurden.88 Vielmehr enthalten alle Konzilsbeschlüsse, auch das Ehekapitel von Gaudium et spes, „Grundsatzentscheidungen oder Fundamentalprinzipien“, die zwar rechtlich noch zu konkretisieren sind, aber die bereits eine Position bestimmen, „hinter welche die Kirche nicht zurück kann und will.“89 Tatsächlich hat die konziliare Rede von einem eigenständigen partnerschaftlichen Sinngehalt der Ehe im CIC auch eine rechtliche Konkretion erfahren.
2.3 Der personale Sinngehalt der Ehe bei der Revision des Codex Iuris Canonici
Schon vor dem Ende des Konzils hatte Papst Paul VI. dazu ermahnt, bei der Revision des CIC die konziliaren Erkenntnisse zu berücksichtigen.90 Die mit der Redaktion des Eherechts befasste Studiengruppe (Coetus Studiorum De Matrimonio)91 war von Anfang an bestrebt, diesen Auftrag auch im Hinblick auf das konziliare Eheverständnis zu beherzigen. Dies erwies sich als nicht ganz einfach: Bereits bei den ersten Zusammenkünften machten die Konsultoren mehrere Vorschläge für einen Canon zur Beschreibung der Ehe.92 Einerseits enthielten alle Vorschläge neben der Hinordnung auf Zeugung und Erziehung von Nachkommen ein partnerschaftliches Element, das in der Mehrzahl der Entwürfe als conformatio93 der Gatten ausgedrückt wurde.94 Andererseits wurde die Zuordnung von prokreativer und partnerschaftlicher Dimension sehr unterschiedlich vorgenommen: Teils wurde eine Hinordnung der Ehe auf die wechselseitige Formung erklärt,95 teils wurde die conformatio als Strebeziel („Matrimonium […] tendit“96) oder als causa der Ehe angesehen.97 Bei der Aufnahme der ehetheologischen Impulse von Gaudium et spes bestand Unsicherheit, welche rechtliche Relevanz den dortigen Aussagen zukommen sollte.98 Dabei wurde auch diskutiert, ob mit den altkodikarischen Begriffen „Primärzweck“ und „Sekundärzweck“ überhaupt noch operiert werden könnte99 und was das Fehlen einer Rangfolge der Zwecke in der Pastoralkonstitution bedeuten sollte.100 Strittig war ebenso die Frage nach der Aufnahme des amor coniugalis und dessen rechtlicher Relevanz.101 Zur Lösung dieser Fragen wurde mehrfach der Wunsch nach einer lehramtlichen Klarstellung geäußert,102 die jedoch offenbar ausblieb. Der Berichterstatter der Arbeitsgruppe, Pieter Huizing, teilte später mit, dass innerhalb des Coetus die Entscheidung gefallen sei, im Anschluss an Gaudium et spes auf den Zweckbegriff und die Zweckhierarchie zu verzichten.103 Zusammengefasst gab es zu Beginn des Revisionsprozesses Stimmen, die ein Umdenken im Sinne der Aussagen über die Ehe in der СКАЧАТЬ