Название: Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund
Автор: Benjamin Vogel
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
isbn: 9783429063610
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9Vgl. Banjo: Relevance; Bertolini: Bonum; Bertolino: Matrimonio; Bwambale: Bonum; Kimengich: Bonum; Posa: Bonum.
10Die Mehrheit der genannten Monographien ist erschienen, bevor die Rota erstmals ein Urteil in Bezug auf einen Ausschluss des Gattenwohls fällte. Michael A. Banjo befasste sich schwerpunktmäßig mit bonum coniugum und der Gleichheit der Gatten in der Ehe und behandelt vor diesem Hintergrund nur ein Urteil ausführlicher; vgl. Banjo: Relevance, 151–155.
11Vgl. Bertolini: Bonum, 57–298.
12Der bislang umfangreichste deutsche Beitrag stammt von Norbert Lüdecke aus dem Jahr 1995; vgl. Lüdecke: Ausschluß.
2. SINNGEHALTE DER EHE BIS ZUM CIC/1983
C. 1055 § 1, die das Eherecht einleitende Norm des CIC/1983, nennt zwei Bereiche, auf welche die Ehe hingeordnet ist: das Wohl der Ehegatten (bonum coniugum) und die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft (procreatio et educatio prolis).13 Beide Hinordnungen scheinen gleichberechtigt nebeneinander zu stehen. In ihrer heutigen Gestalt ist die Norm das (vorläufige) Ergebnis eines langwierigen Ringens. Es soll in Grundzügen nachgezeichnet werden, bevor in Kapitel 3 der Gesetzestext eingehend untersucht wird.
2.1 Lehramtliche Festlegungen und theologische Entwürfe vor dem II. Vatikanischen Konzil
Welche Sinngehalte14 gehören zum Wesen der Ehe? Stehen sie gleichrangig nebeneinander oder besteht unter ihnen eine Hierarchie? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen lässt sich bis ins 4. Jh. n. Chr. zurückverfolgen. Sowohl die Paarbeziehung der Eheleute als auch ihre Aufgabe als Eltern waren dabei Gegenstand theologischer Erörterung.15 Beide Dimensionen finden sich auch in der Eheenzyklika Arcanum divinae sapientiae von Papst Leo XIII. aus dem Jahr 1880. Als Zwecke der Ehe werden dort genannt: Fortpflanzung des Menschengeschlechts, die Verbesserung des Lebens der Eheleute und das Wohlergehen der Familie. Die Fortpflanzung und damit der prokreative Sinngehalt der Ehe steht in dieser Aufzählung zwar an erster Stelle, doch gibt es keine Anzeichen für eine Überordnung über die anderen Zwecke.16 Eine eindeutige lehramtliche Festlegung lässt sich zu dieser Zeit nicht erkennen, auch bei den Kodifikationsarbeiten zum CIC/1917 wurde das Verhältnis der Ehezwecke noch diskutiert: Die einen sprachen sich für eine Nennung der Ehezwecke aus, ohne eine Rangfolge festzulegen; die anderen lehnten die Gleichstellung der Ehezwecke ab: Unter Verweis auf Thomas von Aquin betrachteten sie die Fortpflanzung als primär, während den Sekundärzwecken mutuum adiutorium bzw. remedium concupiscentiae keine rechtliche Bedeutung für die Gültigkeit der Ehe beigemessen wurde.17
Die letztgenannte Position setzte sich durch und fand ihren rechtlichen Niederschlag in c. 1013 § 1 CIC/1917: „Matrimonii finis primarius est procreatio atque educatio prolis; secundarius mutuum adiutorium et remedium concupiscentiae.“ Das Nebeneinander von partnerschaftlicher und prokreativer Dimension wurde im piobenediktinischen Codex zugunsten einer alleinigen Vorrangstellung der Elternschaft verstanden. Papst Pius XI. hielt 1930 in seiner Eheenzyklika Casti connubii an dieser Rangfolge fest und betonte die Unterordnung der Sekundärzwecke unter den Hauptzweck der Fortpflanzung.18 Zugleich würdigte er aber auch den Stellenwert der partnerschaftlichen Beziehung:
„Diese wechselseitige innere Formung der Gatten, das beharrliche Bemühen, sich gegenseitig zu vollenden, kann in einer gewissen sehr richtigen Weise, wie es der Catechismus Romanus lehrt, auch als erste Ursache und Begründung der Ehe bezeichnet werden, wenn die Ehe nicht im engeren Sinn als Einrichtung zur ordnungsgemäßen Zeugung und Erziehung von Nachkommen verstanden wird, sondern im weiteren als Gemeinschaft, Vertrautheit und Verbindung des ganzen Lebens.“19
Somit stehen in der Enzyklika zwei Ansätze nebeneinander: auf der einen Seite die Bekräftigung einer Zweckhierarchie mit dem allein rechtsrelevanten Primärzweck der Fortpflanzung, wie sie dem CIC/1917 entspricht, auf der anderen Seite die Wertschätzung der Paarbeziehung der Eheleute. Die Spannung zwischen diesen Ansätzen sollte durch die Unterscheidung der Definition der Ehe in einem engeren bzw. einem weiteren Sinn überwunden werden: Die Ehe im engeren Sinn wird primär als Zeugungsgemeinschaft angesehen, nur in einem weiteren Sinn komme der Paarbeziehung grundlegende Bedeutung zu.20 Da aus der Definition im weiteren Sinn jedoch keine Konsequenz für die rechtliche Umsetzung bzw. das hinter der kodikarischen Norm stehende Eheverständnis erfolgte, wurde diese Divergenz nicht aufgelöst.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde auch vonseiten der akademischen Theologie das Verhältnis der ehelichen Sinngehalte thematisiert. Bereits 1905 schrieb der Tübinger Moraltheologe Anton Koch der Lebensgemeinschaft der Gatten noch vor der Elternschaft die erste Stelle zu.21 Ausführlich widmete sich Herbert Doms22 dieser Fragestellung: Dabei legte er u. a. die ehepsychologische Erkenntnis zugrunde, dass meist nicht die Fortpflanzung ausschlaggebendes Ehemotiv sei, sondern der Wunsch der Gatten nach gegenseitiger Vollendung. Diese werde zwar auch durch die Kinder bewirkt, in erster Linie jedoch durch die Gemeinschaft der Partner.23 Diese „zweieinige Lebensgemeinschaft“24 sei der innere Sinngehalt der Ehe, sie sei „zunächst etwas tief Sinnhaftes in sich selbst, bevor sie ‚zu etwas‘ ist […].“25 Doms unterschied diesen Ehesinn von den Ehezwecken (Vollendung der Gatten bzw. Zeugung von Nachkommen) und plädierte dafür, auf die Festlegung einer Rangfolge dieser Zwecke zu verzichten.26 Von diesen Überlegungen auf der metaphysischen Ebene trennte er die rechtliche Ebene der Ehe ab und erreichte so eine Kompatibilität mit der lehramtlichen bzw. kodikarischen Auffassung. Ähnlich wie in Casti connubii stehen in diesem Entwurf die beiden Sphären unvermittelt nebeneinander und der personale Zweck wird rechtlich nicht relevant.27
Auch der Berliner Jesuit Hermann Muckermann bejahte die Bedeutung der personalen Dimension neben der prokreativen, nahm die Verhältnisbestimmung jedoch anders vor als die beiden zuvor genannten Autoren. Er ging von einem doppelten Sinn der Ehe aus28 und sah die „unmittelbare Aufgabe“ des ehelichen Zusammenlebens darin, „aus der Ergänzungsfähigkeit heraus durch den seelischen Austausch die Entwicklung zu einem höheren Menschentum zu erreichen“29. Die Zeugung und Erziehung von Nachkommen seien diesem Sinngehalt jedoch nicht gleich-, sondern übergeordnet: Er betonte, dass „der tiefste Sinn der Ehe nicht nur in der Lebensgemeinschaft von Gatte und Gattin [liege], sondern vor allem in der ehelichen Fruchtbarkeit.“30 Die Ergänzung der Partner könne erst dann als vollkommen betrachtet werden, wenn ein Kind aus der Ehe hervorgehe.31 Zusammengefasst bestehe die Ehe
„ganz allgemein in der Ergänzung der beiden geschlechtlich verschiedenen Menschen, um der gegenseitigen Vervollkommnung zu dienen und die gesamte Lebensaufgabe – jeder auf seine Art – gemeinsam zu lösen. Dieser allgemeine Sinn, den als solchen auch der römische Katechismus anerkennt, schließt den zweiten Sinn ein, der, von der Natur sowohl als von der Übernatur aus gesehen, der wichtigste ist. Man bezeichnet ihn als finis primarius. Dieser Sinn betrifft das Kind, und zwar seine Entstehung und seine Gestaltung und Erziehung […].“32
Auch hier ergibt sich aus der Anerkennung des Eigenwerts der Paarbeziehung keine Konsequenz in rechtlicher Hinsicht.
Die damaligen Versuche stimmen im Bemühen überein, die traditionelle Engführung auf den Fortpflanzungszweck durch die Würdigung eines eigenständigen personalen Zieles zu überwinden. Neben diesem Anliegen waren die Autoren bestrebt, eine Anschlussfähigkeit an die lehramtlichen und kodikarischen Vorgaben zu bewahren. Damit lässt sich auch der Verzicht auf rechtliche Folgerungen erklären. Ferner ist zu beachten, dass die Autoren einen genuin sakramenten- bzw. moraltheologischen Ansatz verfolgten; daher standen Grundlegung und Darstellung des Ehelebens im Vordergrund und nicht die Anforderungen an den Ehewillen.33
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