Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund. Benjamin Vogel
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СКАЧАТЬ Rota Romana vom 03.10.1941 verurteilte Papst Pius XII. die Auffassung, Primär- und Sekundärzweck seien „ugualmente principale“.34 Der Sekundärzweck dürfe zwar nicht bestritten werden, doch sei er dem Primärzweck wesentlich unter- und seiner intrinsischen Struktur nach auf diesen hingeordnet.35 Das Hl. Offizium mahnte dies in einem von Pius XII. approbierten Dekret vom 30.04.1944 ebenfalls an. Anstoß gaben nicht näher genannte Veröffentlichungen, welche verneinten, dass die Zeugung von Nachkommen den Primärzweck darstelle, oder die Unterordnung der Sekundärzwecke unter den Primärzweck ablehnten.36 Exemplarisch wird die Behauptung angeführt, die Ehe sei vorrangig zur persönlichen Ergänzung und Vervollkommnung der Partner eingerichtet.37 Weil aus solchen Ansichten Irrtümer und Unsicherheiten entstehen könnten, sah sich die Kongregation veranlasst, einzuschärfen, dass diese Positionen nicht geduldet werden könnten.38 Pius XII. wiederholte das in mehreren Ansprachen, besonders deutlich und mit ausdrücklicher Berufung auf das Dekret des Hl. Offiziums in seiner Ansprache bei der Versammlung der katholischen Hebammen Italiens vom 29.10.1951.39 Obwohl das kirchliche Lehramt die personale Dimension der Ehe in den o. g. Lehrschreiben anerkannte, betonte es, diese sei vom Fortpflanzungszweck abhängig und ihr komme rechtliche Bedeutung nicht zu. Insofern wurde den ehe- und moraltheologischen Vorstößen, die Ehezwecklehre zu modifizieren, eine klare Absage erteilt. Eine Weiterentwicklung der Ehetheologie, die der Paarbeziehung einen Eigenwert einräumte, und das lehramtliche Beharren auf der Hierarchie der Ehezwecke standen einander unversöhnlich gegenüber.

      Der italienische Kanonist Arturo C. Jemolo zeigte an einem fiktiven Fall eindrücklich die Diskrepanz zwischen dem personalen Eheverständnis und der damals geltenden Rechtslage auf: In diesem Beispiel will ein Mann eine Frau mit dem Ziel heiraten, an ihrer Familie Rache zu nehmen. Er hat vor, seine Braut in der Ehe zu quälen, um so deren Familie leiden zu lassen und sie zu demütigen. Wie war ein solcher Ehewille nach der Rechtslage des CIC/1917 zu beurteilen? Jemolo konstatierte: Solange der Mann nicht durch positiven Willensakt eines der drei augustinischen Ehegüter oder die gegenseitige Übertragung des Rechts auf zeugungsgeeigneten Geschlechtsverkehr (ius in corpus) ausschlösse, wäre der Ehewille in rechtlicher Hinsicht ausreichend, um eine gültige Ehe einzugehen.40 Das wäre sogar dann der Fall, wenn der Mann darüber nachdächte, seine Braut zu töten.41 Technisch gesehen, würde es sich um eine gültige Ehe handeln, doch sei gleichermaßen klar, dass es sich bei dieser Heirat zur Erfüllung einer vendetta um etwas handle, das keinesfalls dem entspreche und dessen würdig sei, was gemeinhin als Ehe angesehen werde.42

      Die lehramtlichen Zurückweisungen neuer ehetheologischer Entwürfe vermochten weder die Diskussion um das Zueinander der Sinngehalte der Ehe gänzlich zu unterbrechen, noch boten sie eine Lösung für das zugrundeliegende Problem.43 Der Fragenkomplex wurde im Kontext der Vorbereitungen und Beratungen des II. Vatikanischen Konzils (1962–1965) erneut behandelt und kontrovers diskutiert.

      Bei seiner Ansprache zur feierlichen Eröffnung des Konzils vom 11.10.1962 warnte Papst Johannes XXIII. vor einer negativen Sicht auf den Verlauf der Geschichte und rief die Konzilsväter dazu auf, die Aufmerksamkeit nicht nur auf die kirchliche Überlieferung, sondern auch auf die Entdeckungen und Bedürfnisse der Gegenwart zu richten.44 Das so verstandene aggiornamento im Sinne einer Inkulturation der Offenbarung im Dialog mit der Gegenwart sollte zu einem Leitmotiv des Konzils werden.45 Besonders deutlich tritt dieses Grundanliegen in der „Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute“ Gaudium et spes hervor: Bereits in der Überschrift des ersten Artikels wird die „engste Verbundenheit der Kirche mit der ganzen Menschheitsfamilie“46 ausgesagt. Die Kirche steht der Welt nicht einfachhin als (be-)lehrende Institution gegenüber, sondern ist innigst (intima) mit ihr verbunden und von ihr betroffen.47 Nach dieser programmatischen Einleitung entfaltet die Konstitution eine christliche Anthropologie, auf deren Basis sie wichtige Einzelfragen des menschlichen Lebens erörtert, darunter auch die „Förderung der Würde der Ehe und der Familie“48.

      Das Ehekapitel in der jetzt vorliegenden Gestalt hat eine bemerkenswerte Vorgeschichte.49

      In den ersten Entwürfen wurde noch an der Hierarchie der Ehezwecke festgehalten: So bekräftigte bspw. das Schema De castitate, virginitate, matrimonio, familia vom 07.05.1962 die Vorrangstellung des Primärzwecks der Zeugung und Erziehung von Nachkommen vor den Sekundärzwecken und allen übrigen subjektiven Zielen, welche die Partner mit der Eheschließung verbinden.50 Diese Ordnung der Ehezwecke zu leugnen, wurde als zu verurteilender Irrtum angesehen.51 Das überarbeitete Schema Constitutio dogmatica de castitate, matrimonio, familia, virginitate, das Papst Johannes XXIII. am 13.07.1962 genehmigte und das den zukünftigen Konzilsvätern übersandt wurde,52 beinhaltete diesbezüglich kaum Änderungen.53 In einem nächsten Schema wurde zwar auf die Zweckterminologie verzichtet, doch verwies man zunächst noch auf das Dekret des Hl. Offiziums von 1944 und implizierte damit einen gewissen Vorrang der Fortpflanzung.54 Später wurde der Verweis auf das Dekret aufgegeben und die Rolle der ehelichen Liebe stärker betont; personaler und prokreativer Sinngehalt wurden in einer Balance gesehen.55 Diese Entwicklung setzte sich bis in die Endphase der konziliaren Beratung fort, blieb aber bis zum Ende nicht unwidersprochen: Noch unter den letzten Änderungsvorschlägen zum Schema Constitutio pastoralis de Ecclesia in mundo huius temporis, wenige Wochen vor der Abstimmung über den endgültigen Text, wurde von 190 Vätern gefordert, sowohl die Hierarchie der Ehezwecke als auch die Übertragung des ius in corpus als Konsensobjekt im Ehekapitel festzuschreiben, „und damit versucht, diese deutlich kontraktuell geprägte Konzeption des alten Codex in den Konzilstext hineinzuretten.“56 Die zuständige Kommission wies diesen Vorschlag jedoch zurück: Einerseits mit dem formalen Argument, dass die Pastoralkonstitution nicht der richtige Ort für eine juristisch präzise Festlegung sei, andererseits wollte man nicht mehr davon abrücken, dass der Konsens wesentlich mehr umfasse als die bloße Übertragung von Rechten und Pflichten.57 Am 04.12.1965 wurde auf der 167. Generalkongregation des Konzils in zwölf einzelnen Abstimmungen über die Berücksichtigung der Änderungsvorschläge durch die Kommission entschieden. Der verbesserte Text des Ehekapitels wurde mit großer Mehrheit angenommen58 und die Konstitution schließlich am 07.12.1965 feierlich verabschiedet.59

      Der endgültige Text des Kapitels über die Ehe umfasst sechs Artikel: Zunächst stellt GS 47 die fundamentale Bedeutung von Ehe und Familie für das Wohl der Person und der ganzen Gesellschaft fest, bevor einzelne Gefährdungen (bspw. Polygamie oder Egoismus) für die Würde dieser Institution aufgezählt werden. Die Lehre des Konzils versteht sich demgegenüber als Stärkung für die von diesen Problemen betroffenen Menschen. GS 48 beschreibt die Ehe in schöpfungstheologischer und soteriologischer Hinsicht.60 Gott wird als Urheber dieser „innige[n] Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“, vorgestellt, die auch als Bund, als Ort inniger Verbundenheit und als „gegenseitiges Sich-Schenken zweier Personen“ beschrieben wird und als Sakrament die Eheleute stärkt. Die beiden Artikel 49 und 50 befassen sich mit der Bedeutung der Liebe bzw. der Fruchtbarkeit für die Ehe. Die Liebe umgreift die gesamte Wirklichkeit der ehelichen Gemeinschaft und kennt verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten. Diese eheliche Liebe und die Ehe sind auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommen hingeordnet, Kinder werden als „vorzüglichste Gabe für die Ehe“ verstanden, doch wird explizit erklärt, dass auch eine kinderlose Ehe ihren Wert behalte. Die Aufgabe der Elternschaft sollen die Partner verantwortet und im Hören auf das eigene Gewissen wahrnehmen. GS 51 führt diesen letzten Gedanken weiter und hebt hervor, dass bei der Geburtenregelung nicht auf unsittliche Methoden zurückgegriffen werden dürfe.61 Mit Aussagen über die Erziehung der Kinder und einem Appell an alle Menschen, sich für den Schutz und die Förderung der Familie einzusetzen, schließt Artikel 52 das Ehekapitel der Pastoralkonstitution ab.

      In Bezug auf das Verhältnis der Sinngehalte der Ehe ist von Bedeutung, welche Rolle die Konzilsväter der ehelichen Liebe (amor coniugalis) zuschreiben: Nach der Charakterisierung СКАЧАТЬ