Название: Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund
Автор: Benjamin Vogel
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
isbn: 9783429063610
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3.2 Formale Bestimmung des bonum coniugum
Das bonum coniugum ist ein neuer Begriff im kanonischen Eherecht. Zu seiner formalen Bestimmung werden verschiedene Konzepte und Kategorien herangezogen.
Ein Ansatz greift auf die Ehelehre des Augustinus zurück. Sie hat bis heute Einfluss darauf, wie kirchliches Lehramt und Kanonistik die Ehe und ihr Wesen beschreiben.158 Augustinus entwickelte seine Position in Auseinandersetzung mit dem Manichäismus.159 Diese das Leibliche und damit auch die Sexualität verdammende Weltanschauung bedeutete eine Infragestellung der jüdisch-christlichen Tradition, nach der die Ehe als von Gott gestiftet und damit als gut gilt.160 Zur Rechtfertigung der Ehe setzte Augustinus dem Manichäismus drei Güter (bona) entgegen, welche die Ehe auch nach dem Sündenfall als solche gut machen: Die Ehe ist gut, weil es gut ist, Nachkommen zu zeugen und zu erziehen (bonum prolis), weil es gut ist, dass sich die Ehepartner ein Leben lang treu sind (bonum fidei) und sich durch die Ehe untrennbar gebunden wissen (bonum sacramenti).161
Versteht man den prokreativen Sinngehalt der Ehe als bonum prolis, könnte es (wenigstens begrifflich) naheliegend erscheinen, das bonum coniugum als partnerschaftlichen Sinngehalt analog zu den drei augustinischen bona matrimonii zu bestimmen. In diesem Sinne erweitern einzelne Autoren augustinische Güter-Trias um ein viertes bonum, das bonum coniugum.162 Dabei wird nicht berücksichtigt, dass die augustinischen Ehegüter weder Aufnahme in den Codex von 1917 noch in den von 1983 gefunden haben. Sie können daher nur sehr eingeschränkt zur Bestimmung des Wesens der Ehe aus rechtlicher Perspektive dienen.163 Bedeutsamer ist allerdings ein sachlicher Aspekt: Die Gatten sind nicht – wie die übrigen bona – ein Qualitätsmerkmal der Ehe, also etwas, das die Ehe gut macht oder ihr einen Wert verleiht.164 Die Eheleute sind nicht Objekte zur Rechtfertigung der Ehe, sondern die Subjekte, die miteinander diesen Lebensbund begründen und eingehen. Eine Bestimmung des bonum coniugum als Ehegut analog zu den augustinischen bona matrimonii ist daher weder in der Sache angemessen, noch kann sie sich auf den Gesetzestext berufen; sie ist daher abzulehnen.
Ein weiterer Versuch, das bonum coniugum formal zu bestimmen, setzt bei der Kategorie der Ehezwecke aus dem CIC/1917 an. Dort wurden Zeugung und Erziehung von Nachkommen als Primärzweck (finis primarius) der Ehe bestimmt, sekundär diente die Ehe zur gegenseitigen Hilfeleistung der Partner sowie zur Heilung der Begierlichkeit.165 Der CIC/1983 hat den Begriff der Ehezwecke nicht übernommen, in Kanonistik und Judikatur wird jedoch auch nach Inkrafttreten des neuen Codex damit operiert. Gattenwohl und Elternschaft werden als neue Ehezwecke identifiziert.166 Beide Sachbereiche lassen sich im neuen Codex jedoch nicht länger mit dieser Kategorie erfassen: Das geltende Recht beinhaltet die Zwecklehre des CIC/1917 nicht mehr, sie wurde „völlig aufgehoben“167. Die Ehe ist angesichts der in Gaudium et spes vorgelegten Lehre nicht mehr als „Mittel zum Zweck“, also zur Zeugung von Nachkommen und zu einer bestimmten Form von Unterstützung der Eheleute, anzusehen. Das Wohl der Gatten und die Zeugung und Erziehung von Nachkommen gehören vielmehr als „Finalität in die Relation von Wille und Ziel“168, sind kein von den Partnern losgelöstes Gegenüber, dem diese bloß zustimmen und in das sie durch die Eheschließung eintreten, „sondern die Hinordnung gründet innerlich in der Eigenart der Ehe als umfassender Lebensgemeinschaft.“169 Das ordinatum ad drückt ein Ausgerichtet-Sein, eine Zielrichtung aus. Bonum coniugum und Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft können daher als Ziele der Ehe aufgefasst werden. „Zweck“ und „Ziel“ wurden im älteren deutschen Sprachgebrauch häufig synonym verwendet,170 in jüngerer Zeit wird mit „Ziel“ im Unterschied zum Zweckbegriff eine „innere Wesens- und Sinnbestimmung“171 ausgedrückt. Die Rede vom „Zweck“ hingegen suggeriert das Vorhandensein bestimmter Mittel zu dessen Erfüllung. Auch deshalb erscheint der Zielbegriff im Zusammenhang mit Gattenwohl und Elternschaft angemessener als das Zweck-Konzept. In der deutschsprachigen Kanonistik findet eine weitergehende terminologische Differenzierung statt, indem nicht einfachhin von Zielen der Ehe die Rede ist, sondern bonum coniugum und procreatio et educatio prolis aus c. 1055 § 1 als Sinnziele,172 Wesenssektoren173 oder Wesensziele174 bezeichnet werden. In der vorliegenden Arbeit wird der Terminus Sinnziel verwendet, weil er einerseits die sprachliche Abhebung vom Zweckbegriff ermöglicht und im Gegensatz zu bspw. Wesenssektor andererseits die in c. 1055 § 1 ausgedrückte Zielperspektive zum Ausdruck bringt. Es besteht ein Grundzusammenhang zwischen der Ehe und ihren Sinnzielen Gattenwohl und Elternschaft, sie stellen die beiden Dimensionen dar, auf welche die Ehe als umfassende Lebensgemeinschaft hingeordnet ist.
3.3 Bonum coniugum und Ehenichtigkeit
Um zu erklären, inwiefern das bonum coniugum bzw. die ordinatio ad bonum coniugum für die Ehegültigkeit relevant sind, zieht die Kanonistik c. 1101 § 2 heran.175 Die Norm beschreibt mehrere Formen von volitiven Konsensmängeln, die dann vorliegen, wenn einer oder beide Nupturienten durch einen Ausschluss den Ehewillen so verändern, dass keine gültige Ehe zustande kommt. Der Gesetzgeber unterscheidet dabei zwischen dem Ausschluss der Ehe selbst, dem Ausschluss einer Wesenseigenschaft und dem Ausschluss eines Wesenselements der Ehe und nennt damit drei mögliche Anknüpfungspunkte für eine formale Bestimmung des bonum coniugum.
Nach Ansicht mancher ist bonum coniugum ein Synonym für die Ehe.176 Dabei wird jedoch die Aussagestruktur des c. 1055 § 1 übersehen: Die Ehe ist hingeordnet auf zwei gleichrangige, aber voneinander unterschiedene und unterscheidbare Sinnziele, von denen eines das bonum coniugum ist. Wären bonum coniugum und Ehe synonyme Begriffe, ergäbe sich nach c. 1055 § 1, dass die Ehe hingeordnet wäre auf die Ehe selbst – womit die Aussage tautologisch würde. Vielmehr bezeichnen Gattenwohl und Elternschaft zwei Ausrichtungen der ehelichen Lebensgemeinschaft, nämlich die partnerschaftliche und die prokreative. Keines dieser beiden Sinnziele kann folglich mit der Ehe selbst identisch sein.
Das bonum coniugum ist auch nicht eine Wesenseigenschaft der Ehe.177 Dagegen spricht der Umstand, dass c. 1056 nur Einheit und Unauflöslichkeit als Wesenseigenschaften der Ehe nennt und für weitere Wesenseigenschaften keinen Raum lässt.178 Auch begrifflich entspricht das Gattenwohl nicht einer essentialis matrimonii proprietas. Denn die Frage: „Wie ist die Ehe?“ lässt sich mit „Wohl der Gatten“ nicht beantworten.179
Diesem Einwand entgeht Pierro A. Bonnet, indem er nicht das bonum coniugum, sondern die Hinordnung darauf (ordinatio ad bonum coniugum) als eine von insgesamt vier Wesenseigenschaften der Ehe qualifiziert.180 Er erkennt zutreffend, dass Gattenwohl und Elternschaft als Ziele der Ehe nicht identisch mit ihrem Wesen sind, sondern außerhalb desselben liegen und dennoch in einer engen Beziehung zum Wesen stehen. Um diesen Zielen angemessen zu sein, müsse das Wesen der Ehe allerdings so beschaffen sein, dass die Ziele auch verwirklicht werden können. Das werde durch die Wesenseigenschaften erreicht: Sie seien notwendig mit dem Wesen verbunden, gehen aus diesem hervor und beschreiben dessen erforderliche Beschaffenheit.181 Damit das Ziel bonum coniugum erreicht werden könne, müsse das Wesen der Ehe über die Eigenschaft ordinatum ad bonum coniugum verfügen.182
Bonnets Ansatz hat gegenüber der o. g. Position, das bonum coniugum als Wesenseigenschaft zu bestimmen, den Vorteil, dass „Hingeordnet auf das Wohl der Gatten.“ durchaus eine passende Antwort auf die Frage „Wie ist die Ehe?“ darstellt. Gleichwohl hat auch dieser Ansatz keinen Rückhalt im Gesetzestext, wo ausschließlich unitas et indissolubilitas als Wesenseigenschaften normiert sind.183 Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass es sich bei unitas und indissolubilitas um absolute СКАЧАТЬ