Briefgeschichte(n) Band 1. Gottfried Senf
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Название: Briefgeschichte(n) Band 1

Автор: Gottfried Senf

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783961450442

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СКАЧАТЬ Tante ein Haus hatte (die Familie meiner Mutter hatte damals noch die „Leipziger Brotfabrik Gebrüder Joachim“), die dann drei Jahre später auch enteignet wurde. Ich war auf dem Hof bei unserem guten Hofmeister Paul Wüstner und seiner Frau geblieben, um die Enteignungsfeier mit anzusehen. Ein großes Spruchband am Haus verkündete „Junkerland in Bauernhand“ und ein anderes am Stall schrie: „Nieder mit den Ausbeutern“. Ein Rednerpult, mit Getreidegarben geschmückt, stand im Hof, und davor versammelten sich dann die Neusiedler und die Herren von der Partei waren auch da und natürlich Herr Kopp auf seinem Pferd. Auch war ein Schwein geschlachtet worden, fürs Festessen. Am nächsten Tag ging meine Mutter aus irgendeinem Grund zum Rathaus am Markt, da das eigentliche Rathaus damals Kommandantur war. Von dort kam sie nicht wieder zurück und wir wussten nicht, wo sie war. Wir suchten sie überall. Schließlich lief eine Cousine von mir (die Schwester von Dr. Sommer aus Ulm) durch die Gasse hinter dem Rathaus und hörte über sich die Stimme meiner Mutter, die aus einem Zellenfenster um Hilfe schrie. Es stimmt, was Ihnen mein Vetter erzählt hat. Sie war schon im Gefängnis in Geithain sehr krank. Ich durfte sie nicht besuchen und einen Arzt hatte sie, soviel ich weiß, auch nicht. Einige Tage später wurde mir befohlen, mich zum Abtransport mit meiner Mutter bereitzuhalten. Früh, es war noch dunkel, wurden wir von zwei jungen Polizisten zum Bahnhof gebracht und dann mit dem Zug nach Coswig transportiert, wo uns zwei Polizisten in einem Sammellager für „Junker“ ablieferten. Eine Sieben-Tage-Reise im Viehwagen brachte uns auf die Insel Rügen. Es gelang uns, von dort zu fliehen. Aber nun waren wir vogelfrei, mit den Schergen auf unserer Spur. Wir kamen nach Leipzig zurück und fanden schließlich ein Krankenhaus mit einem jüdischen Chefarzt, der uns beide unangemeldet aufnahm, wofür dieser gute Mensch doch eigentlich gar keinen Grund hatte, nach allem, was wir Deutsche den Juden gerade angetan hatten. Dort ist meine Mutter am 23. November 1945 an ihren inneren Verletzungen gestorben. Es ist eine merkwürdige Geschichte, finden Sie nicht auch? Irgendetwas fehlt und man fragt sich, was das ist. Es ist mir immer so vorgekommen, als wäre da ein Geheimnis gewesen zwischen meinen Eltern und Herrn Kopp, etwas, wovon ich nichts weiß. Sie schreiben, dass er schon längst nicht mehr lebt. So hat er wohl die Erklärung dieser Geschichte mit ins Grab genommen. Es wurde mir mitgeteilt, dass schon im November 45 alle Einrichtungsgegenstände vom Sommerhof und vom Spediteur in Geithain zur Turnhalle hinter der Kommandantur gebracht wurden, wo sich dann jeder nehmen konnte, was er wollte. Frau Thiemann schickte mir eine große Menge Photographien und Briefe meiner Familie, die ihr Vater, Herr Kurt Müller, über all die Jahre aufbewahrt hatte. Herr Müller war Bürgermeister nach dem Krieg bis zum Einmarsch der Russen. Er war ein sehr vornehmer Mensch, der meiner Mutter in diesem letzten Sommer sehr beistand. Ich nehme an, dass Herr Müller diese Briefe etc. in der Turnhalle gefunden hat.

      Sie fragen, wem der Hof vor uns gehörte. Hier muss ich etwas ausgreifen. Mein Großvater Sommer war von abenteuerlicher Herkunft. Vielleicht erzähle ich Ihnen seine Geschichte einmal. Er war ein Mann voller Pläne und Ideen und er lebte auf großem Stil, er meinte sich das schuldig zu sein. Bis 1912 war er der Besitzer vom Rittergut in Lauterbach im Vogtland. Dann zog er nach Leipzig und kaufte das Bauchsche Kalk- und Ziegelwerk in der Nähe von Geithain sowie den Hof vom Bauer Götze daneben. Er und meine Großmutter lebten in der Bauchschen Villa am Bahnhof (im Mai 90 war da das Wehrbezirkskommando der Volksarmee drin), die Kinder waren im Krieg oder verheiratet. Möglicherweise wissen Sie mehr darüber als ich. Nach dem Kriege lebte mein Vater in dem kleinen Gartenhaus neben der Villa. Als etwa 1929 mein Großvater die Villa an Dr. Waurick verkaufte, richtete sich Dr. Waurick seine Praxis im Gartenhaus ein. 1919 lernten sich meine Eltern kennen und sie heirateten im April d. J. Meine Mutter war sehr vermögend und meine Eltern beschlossen, sich auf dem Bauchschen Grundstück ein kleines Gut aufzubauen. Vielleicht hatte mein Vater schon während des Krieges dieses Grundstück von seinem Vater gekauft. Man müsste im Grundbuch, wenn dass noch existiert, Nachforschungen anstellen. Der Sommerhof war als Landsitz wohlhabender Leute gedacht. Mein Vater wollte Turnierpferde züchten, eine Sache, die ihn sehr interessierte und wofür er großes Geschick hatte. Er war damals ein bekannter Turnierreiter. Die Inflation schrumpfte dann das Vermögen meiner Mutter erheblich und der Hof wurde ein Bauernhof wie jeder andere. Als Offizier des ersten Weltkrieges war mein Vater natürlich ein Mitglied des „Stahlhelms“ in den zwanziger Jahren. 1933 wurde der „Stahlhelm“ von den Nazis vereinnahmt, was meinem Vater erst nicht passte, aber dann hat er doch mit Eifer mitgemacht. Er war ganz in den Vorstellungen des ehemaligen Soldaten befangen. Die Nation stand über allem, Kommunisten waren vaterlandslose Gesellen. Meine Mutter hatte einiges von der Welt gesehen (sie studierte vor dem ersten Weltkrieg in England), und war, was man heute als liberal bezeichnen würde. Mein Bruder, der 1920 zur Welt kam, war ein mehr als begeisterter Hitlerjunge. 1939 meldete er sich sofort freiwillig und fiel im Mai 1940 im Westen.

      Lieber Dr. Senf: Das ist nun aber genug. Wenn wir, wahrscheinlich Ende April, nach Dover fahren, will ich versuchen, Antworten auf Ihre Fragen, Paul Guenther betreffend, zu finden. Ich kann mir vorstellen, dass Sie viel zu tun haben. Die Probleme in Sachsen müssen überwältigend sein. Hoffentlich gelingt die Umstellung ohne schreckliche Rückschläge, wie sie sich, zum Beispiel, in Russland anbahnen. Was für ein Jahrhundert!

      Adolf Anger, der zweitälteste Sohn der Angers aus Ottenhain, lebt in der Nähe von Köln. Wir besuchen sie immer, wenn wir in Europa sind. Er und seine Frau sind reizende Menschen. Interessieren Sie sich für seine Anschrift?

      Herzliche Grüße auch von meiner Frau.

      Ihr Ulrich J. Sommer

       Georgetown, 18. Juni 1991

      Lieber Dr. Senf,

      vor zwei Tagen sind wir aus Dover zurückgekommen, wo wir (meine Frau und ich sowie ein befreundetes Ehepaar) außerordentlich interessante Tage verbracht haben. Wir besuchten dort drei alte Herren, die sich sehr gut an Paul Guenther erinnerten und mir Sachen erzählten, die Ihnen möglicherweise unbekannt sind. Außerdem unterhielt ich mich ausführlich mit zwei Stadthistorikern und mit einer alten Dame, die mit Frau Margaret Reiner befreundet war. Ich lege Ihnen einige Seiten mit Daten über Dover bei sowie Karten, aus denen Sie ersehen können, dass Dover etwa so viele Einwohner wie Geithain hat. Oder irre ich mich? Dover und Rockaway fließen ineinander. Man merkt nicht, wo die eine Stadt aufhört und die andere anfängt. Dadurch macht Dover den Eindruck, mehr als 14.600 Einwohner zu haben. Vor hundert Jahren war es nicht größer, als Geithain damals war. Es hatte etwa 6000 Einwohner. Als Paul Guenther nach Dover kam, mietete er sich ein Zimmer im obersten Stock eines Hauses, in dem der Hausmakler Schwarz sein Büro hatte. Der Sohn dieses Maklers betreibt sein Geschäft noch im gleichen Haus. Ich hatte eine sehr nette Sitzung mit ihm und er gab mir die beiliegende Karte der Guentherschen Fabrik mit den Arbeiter- und Beamtenhäusern. In seinem Büro hing das Foto seines Geschäfts-Hauses, wie es vor hundert Jahren aussah. Ich habe das abfotografiert und dann noch eine Aufnahme vom selben Gebäude gemacht, so wie es jetzt aussieht. Unterdessen ist nun wieder der Sohn des Herrn Sidney Schwarz der Leiter des Maklergeschäfts und Sidney Schwarz, der wohl bald 90 Jahre alt sein wird, kommt nur selten ins Büro. Während des Winters war er in Florida. Herr Schwarz gab mir schließlich noch zwei Fotos der Turnhalle, die Paul Guenther für seine Arbeiter gebaut hatte. Dieses Gebäude wurde vor einigen Jahren abgerissen. Paul Guenther hatte also ein Zimmer im Haus 28 – 30 North Sussex Street in Dover, und er arbeitete für sieben Jahre in verschiedenen Textilfabriken in Dover und Umgebung. Unterdessen hatte er 1896 Olga Mechel geheiratet. Er lieh sich von einer Frau Reinhardt, einer Freundin von Olga und ihm, 400 Dollar und gründete damit eine ganz kleine Strickerei in Paterson bei Dover. Bald zog er nach Dover in ein größeres Gebäude, das er mietete und schließlich in seine eigene Fabrik an der Oak Street, die dann bald vergrößert werden musste. Von 1902 an wuchs sein Geschäft rapide. Er importierte Ludwig- und Richter-Strickmaschinen aus Deutschland, die von deutschen Mechanikern installiert wurden. Zwei seiner Meister, Max und Otto Hahn (Vater und Sohn), erfanden eine neue Art Fersen zu stricken, worauf die ganze Welt diese seidenen Modestrümpfe haben wollte. Alle Einzelheiten dieser Erfolgsgeschichte können Sie auf der beiliegenden Seite aus der Geschichte von Northwestern New Jersey nachlesen. Meine Farbfotografien geben Ihnen hoffentlich einen СКАЧАТЬ