Название: Weiterglauben
Автор: Thorsten Dietz
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783961400485
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Es hat die Bibelausleger viel beschäftigt, wie realistisch die Schilderung gemeint ist. Was soll das denn heißen, dass Mose Gott von hinten sehen kann? Oder was bitte haben die Ältesten gesehen nach dem Bundesschluss am Sinai, wo es heißt: Und sie „sahen den Gott Israels. Unter seinen Füßen war es wie eine Fläche von Saphir und wie der Himmel, wenn es klar ist“ (Ex 24,10). Hat Gott einen Körper, mit Fußsohlen, Hand und Rücken? Heißt es nicht ganz eindeutig, dass man das Angesicht Gottes nicht sehen kann (Ex 33,20; vgl. auch Ri 6,22; 13,22 f.)? Widersprechen sich diese Texte?18
Man kann an dieser Stelle nicht einfach von Widersprüchen reden. Zu plan- und absichtsvoll stehen diese scheinbar gegensätzlichen Linien nebeneinander. Diese Unklarheit ist für die Offenbarung Gottes wesentlich. So offenbart sich Gott: offenbar verborgen und verborgen offenbar.
3. Geheimnis des Glaubens
Wenn wir von Gott reden, rühren wir an ein Geheimnis. „Gott wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann, den kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann“ (1Tim 6,16). Ja, Gott teilt sich den Menschen mit, durch die Schöpfung, durch die Propheten, schließlich durch seinen Sohn, durch Jesus Christus. Aber er bleibt darin stets unverfügbar, so, wie es im Blick auf den Heiligen Geist heißt: „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt“ (Joh 3,8). Was wir uns am Beispiel des Volkes Israels und Moses klargemacht haben, gilt für alle biblischen Geschichten. Gott redet, handelt, greift ein – und dies stets so, dass alles, was man hört, sieht und spürt, zweideutig bleibt. Ganz grundsätzlich kann Paulus sagen: „Wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen“ (2Kor 5,7). Nicht, dass es nichts zu sehen gibt, aber in dem, was zu sehen ist, wirklich Gott zu erkennen ist noch einmal etwas Anderes als das, was mit bloßem Auge zu erkennen ist. Diese Spannung lässt sich nicht auflösen. Gott macht sich anschaulich und bleibt doch unsichtbar, er lässt sich berühren und bleibt doch ungreifbar. Davon sind letztlich alle Einsichten des Glaubens geprägt.
Der Apostel Paulus macht diese Spannung durch eine Metapher deutlich: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild“ (1Kor 13,12).
Mit dieser doppelten Metapher macht Paulus zweierlei deutlich: 1. Unsere Gotteserkenntnis ist grundsätzlich indirekt.19 Wir sehen und erkennen Gott nie unmittelbar, sondern wie durch einen Spiegel. Gott wird sichtbar vermittelt durch Begebenheiten wie einen brennenden Dornbusch, durch Texte, durch Bilder und Geschichten. Jesus redete immer wieder in Gleichnissen und Bildern vom Reich Gottes (Mk 4,33). Alle Gotteserkenntnis ist immer indirekt.
2. Unsere Gotteserkenntnis ist bildhaft. Das „dunkle Bild“ der Lutherübersetzung steht eigentlich für: in Rätseln. Wenn wir jemandem sagen: Du sprichst in Rätseln, meinen wir: Kapier‘ ich nicht, sag es jetzt noch mal klar und deutlich. Paulus würde sagen: Ja, ich spreche in Rätseln, aber nicht, weil ich mich nicht klar ausdrücken will oder kann, sondern weil ich von Gott rede. Gott sprengt alle unsere Worte, alle unsere Gedanken. Darum können wir von Gott nicht anders reden als in Rätseln.
Immer gibt es diesen doppelten Abstand zur göttlichen Wirklichkeit. Alle unsere Erkenntnis als solche ist nur annäherungsweise Gotteserkenntnis. Und sie ist grundsätzlich indirekt, vermittelt und daher immer zu unterscheiden von einer unmittelbaren Kenntnis.
Was wir uns mit Hilfe der biblischen Geschichte und anhand einiger Aussagen des Apostels Paulus vor Augen geführt haben, hat grundsätzliche Bedeutung für die Ausgangsfrage in diesem Buch. Gar nicht so wenige Menschen sagen heute: Ja, ich wurde christlich erzogen, ich habe als Kind oder als Jugendlicher geglaubt. Jetzt tue ich das nicht mehr. Denn der christliche Glaube ist überholt. Er ist nicht zeitgemäß. So sagen und sehen das diese Menschen, und das Tragische ist m. E. Folgendes: Diese Menschen verwechseln ihren eigenen Kinderglauben mit dem christlichen Glauben als solchem. Sie haben Gott kennengelernt in einer bestimmten Gestalt, in einem altersgemäßen Horizont. Und dann haben sie sich als Menschen weiterentwickelt, viel Neues erfahren und gelernt. Irgendwann haben sie gemerkt, dass ihr christlicher Glaube aus Kinder- und Jugendzeiten nicht mehr passt zu dem, wie sie inzwischen die Welt und sich selbst betrachten. Und leider gibt es christliche Gruppen, die genau dazu ermutigen: bloß nicht weiterdenken, bloß keine gefährlichen Fragen zulassen, dass du ja nicht deinen Glauben verlierst … Und genau auf diesem Weg verlieren viele Menschen ihren Glauben.
Manchmal ist der Glaube einfach nicht auf neue Herausforderungen eingestellt. Es gibt Menschen, deren Glaube ungeheuer tragfähig war in Lebenskrisen. Er bot Halt, gab Kraft, er stützte, stabilisierte. Und sie sind dankbar dafür. Und nun sind diese Menschen in einer neuen Lebensphase, einem Lebensabschnitt, wo es nicht darum geht zu überleben, standzuhalten, sondern zu bauen, zu gestalten. So habe ich das von manchen früheren Pfarrern gehört, die in den Erfahrungen des Krieges gelernt hatten, sich mit ihrem Glauben in größter Lebensgefahr zu bewähren. Ihr Konfirmandenunterricht war darauf eingestellt, den jungen Christen eine eiserne Ration mitzugeben: Wenn ihr in Kriegsgefangenschaft kommt, dann braucht ihr eine tragfähige Grundlage. Viele Jugendliche fragten sich in der Nachkriegszeit heimlich: Und wenn ich nicht nach Stalingrad muss? Wenn es nicht darum geht, durchzuhalten – sondern leben zu lernen in einer Nachkriegsgesellschaft mit unendlich vielen Möglichkeiten? Was bedeutet Glaube denn dann?
Und manchmal ist es umgekehrt: Menschen haben einen heilen Glauben mitbekommen. Einen Glauben, der sie leicht und fröhlich umhüllte wie ein Frühlingskleid, dessen Muttersprache Dankbarkeit war, der ihr schönes Leben bereicherte und vertiefte, solange sie behütet waren in einer weit überwiegend liebevollen Umgebung. Und später führte ihr Weg sie in ihre ganz persönliche Wüste, auf ungewohnte Bahnen, ins Unwegsame und Ausweglose. Und alles, was sie an Glauben je kennengelernt hatten, bot ihnen keine Worte für die Erfahrung von Leere, Enttäuschung und Frustration.
Viele Menschen erleben auf die eine oder andere Weise solche neuen Herausforderungen. Ich halte diese Geschichte von der Gottesbegegnung des Moses für eine ungeheure Hilfe in solchen Phasen der Umgestaltung. Denn wir können hier eine wesentliche Unterscheidung lernen. Gott ist immer größer als alle bislang bewährten Erfahrungen. Manchmal wachsen Christen heraus aus alten Gewissheiten. Manche Gewissheiten sind aufgebraucht, bestimmte Geschichten sind auserzählt. Sie haben in einer bestimmten Lebensphase getragen, jetzt tun sie es nicht mehr. Manchmal wachsen ihnen neue Herausforderungen über den Kopf. Und in beiden Fällen ist es entscheidend, sich dem Wandel zu stellen, ohne sich von der Angst lähmen zu lassen, den Glauben oder Gott zu verlieren.
Gott ist größer. Du kriegst keinen Gott zum Anfassen. Und zugleich steht dieser Text auch dafür: Gott ist näher. Gott lässt dich nicht los. Er hält die Treue, über alles Zweifeln und Scheitern hinweg. Es gibt Neuanfänge. Du kannst weiterglauben, weil Gott mit dir weitergeht, hinein in neue Herausforderungen, in neue Erkenntnisse. Wie er sich in Jesus Christus ganz neu eingelassen hat auf das menschliche Leben, so begleitet er Menschen durch alle Herausforderungen und Wandlungen ihres Lebens hindurch. Größer, als wir fassen, näher, als wir uns vorstellen können.
Gott begibt sich in den jeweiligen Horizont der Menschen und sprengt diesen zugleich. Als der nahe Gott ist er ungreifbar. Er macht sich verständlich und bleibt unergründlich. Ist das widersprüchlich bzw. unlogisch? Nein. Es ist paradox, mit einem biblischen Wort: geheimnisvoll. Dieses Staunen vor dem Geheimnis Gottes zieht sich durch die СКАЧАТЬ