Weiterglauben. Thorsten Dietz
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Weiterglauben - Thorsten Dietz страница 5

Название: Weiterglauben

Автор: Thorsten Dietz

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

Серия:

isbn: 9783961400485

isbn:

СКАЧАТЬ – und dann einen radikalen Kurswechsel vollziehen. Es spricht gewissermaßen ein ehemaliger Jünger des Zarathustra, der diesem gefolgt ist durch alle Zweifel hindurch zur Auflösung aller früheren Gewissheiten. Doch der Rausch permanenter Befreiung scheint umzuschlagen in das Gefühl unsäglicher Leere. Was ihn einst angezogen hat, stößt ihn nun ab. Dem Rausch der großen Abschiede folgt der Kater eines umfassenden Verlustgefühls. Nietzsche lässt Zarathustra antworten:

      „Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer! Du hast einen schlimmen Tag gehabt: sieh zu, dass dir nicht noch ein schlimmerer Abend kommt! Solchen Unsteten, wie du, dünkt zuletzt auch ein Gefängnis selig. Sahst du je, wie eingefangene Verbrecher schlafen? Sie schlafen ruhig, sie genießen ihre neue Sicherheit. Hüte dich, dass dich nicht am Ende noch ein enger Glaube einfängt, ein harter, strenger Wahn! Dich nämlich verführt und versucht nunmehr jegliches, das eng und fest ist.“15

      Nietzsche macht an dieser Stelle eine wesentliche Beobachtung. Der Schatten, d. h. der Mensch, der sich mit Zarathustra losgerissen hat von allen Traditionen und Ordnungen, kann nicht einfach zurück. In einer Zeit, in der sich vieles auflöst und alles im Fluss ist, entsteht zwar eine neue Sehnsucht nach beständigen, unveränderlichen Wahrheiten; aber die alten Gewissheiten sind nicht einfach wieder verfügbar. Attraktiv wird daher nun „jegliches, das eng und fest ist“.

      Mit seinem Bild des Schattens macht Nietzsche deutlich, wie Fundamentalismus funktioniert: Er ist eine Reaktion auf eine ungeheure Verunsicherungserfahrung. Und nun ist er radikal auf das fixiert, was er ablehnt. Er lebt nicht mehr in der fraglosen Gewissheit altehrwürdiger Tradition, sicher ist er sich vor allem in der Wut auf das, was ihn verunsichert hat. Nun lebt er gewissermaßen in permanenter Absetzung von seinem Gegner. Nichts ist für die Sehnsucht nach der großen Freiheit beflügelnder als die Beschäftigung mit den Ketten ehemaliger Gefangenschaft. Nichts ist für das Streben nach Sicherheit und Halt so bestärkend wie der angstvolle Blick auf die Mächte der Auflösung. Jeder Radikalismus lebt von der intensiven Beschäftigung mit seinem Gegenbild. Anfällig kann man dafür an allen Seiten des Spektrums werden: im radikalen Kampf gegen links wie gegen rechts, gegen Liberalität wie gegen Fundamentalismus. Je mehr sich eine Strömung durch die allgemeine Entwicklung der Gesellschaft an den Rand gedrückt fühlt, desto anfälliger wird sie für eine solche Radikalisierung.

      Ich möchte daher vorschlagen, die Erscheinung des Fundamentalismus mit Hilfe zweier Metaphern wahrzunehmen: als Seismograph und als Überdosierung. Als Seismograph reagieren fundamentalistische Strömungen auf kulturelle Veränderungen, auf den Verlust ehemaliger Geborgenheit, auf den Schwund früherer Wertschätzungen oder ganz allgemein die Erschöpfung früherer Gewissheiten, die vielen Menschen Halt und Orientierung gaben. Und mag man die fundamentalistischen Reaktionen noch so aggressiv und unverständig finden, in der besorgten oder wütenden Wahrnehmung von Veränderungen zeigt sich eine Sensibilität, die auch denen nicht gleichgültig sein sollte, die sich davon unbetroffen fühlen. Sehr häufig führen sämtliche Versuche, fundamentalistisch denkende Menschen auszugrenzen oder lächerlich zu machen, nur dazu, dass sie sich untereinander umso enger und entschiedener zusammenschließen und in ihrem Ausschluss einen Beleg, ja einen Beweis für das Recht ihrer kritischen Sicht auf die Außenwelt sehen. Daher ist es an der Zeit, nach den Wahrheitsmomenten fundamentalistischer Denkweisen zu fragen. Und wenn wir die Formel vom „Aufstand gegen die Moderne“ ernst nehmen, so reagieren Formen des Fundamentalismus ja auch auf problematische Erscheinungen der Moderne: die mit der zunehmenden Individualisierung verbundenen Entfremdungsprozesse in Familie und Nachbarschaft; die mit der Verwissenschaftlichung des Weltumgangs einhergehende Abwertung von Lebenserfahrung, Weisheit und Traditionen. Im Fundamentalismus verdichtet sich ein Krisenbewusstsein für die problematischen Seiten der Moderne.

      Man mag fundamentalistischen Haltungen vorwerfen, sich einseitig und ungerecht von einem Kulturpessimismus bestimmen zu lassen, der nicht wahrzunehmen vermag, dass die negativen Seiten der Modernisierung seit Generationen öffentlich diskutiert werden.16 Man sollte dabei nicht übersehen, dass die Anhänger fundamentalistischer Religionen nicht selten eine für sie befriedigende Lösung finden, in ihren Kreisen eine Gegenkultur zum gesellschaftlichen Mainstream zu entwickeln. Um das Phänomen radikaler Frömmigkeit zu verstehen, muss man auch wahrnehmen, was sie für viele so attraktiv macht. Welche Vorteile bietet Fundamentalismus?

       Er bietet klare und eindeutige Lebensorientierung. Das Leben ist schon unübersichtlich genug, viele Menschen haben kein Interesse daran, alle Komplikationen des modernen Denkens z. B. in ihrer Religion wiederzufinden. Fundamentalistische Religion ist einfach, klar und praktisch; und das bietet vielen eine echte Hilfe im Leben schon dadurch, dass alles Wesentliche wieder übersichtlich wird.

       Er stiftet Motivation zum persönlichen Einsatz. Menschen, die klare Überzeugungen und eindeutige Orientierungen haben, setzen sich für die Ziele und Werte ein, die sie für sinnvoll und notwendig halten.

       Er schafft Verbundenheit mit anderen Überzeugten bzw. im Fall der Religion mit anderen Gläubigen. Fundamentalismus lässt sich nicht einfach mit weiterem Fortschreiten von Bildung und Aufklärung abschaffen. Weltweit gibt es stark wachsende religiöse Gemeinschaften, die durch ihr Angebot von dichter Verbundenheit und Zugehörigkeit viele Menschen anziehen.

      Das Problem dieser Haltung möchte ich mit dem Bild der Überdosierung beschreiben. Im Fundamentalismus kann es um berechtigte, wichtige Ziele und Werte gehen, sei es Bibeltreue, sei es soziale Gerechtigkeit etc. In der Bekräftigung dieses Wertes gerät alles andere, vielleicht auch sehr Wichtiges, aus dem Blick. Das Bedürfnis nach Klarheit und Eindeutigkeit setzt sich durch auf Kosten der Wahrhaftigkeit und manchmal auch der Menschlichkeit. Zum Fundamentalismus gehört wesentlich sein Freund-Feind-Denken, die polare und polemische Wahrnehmung der Welt. Die eigene Wahrheit überzeugt absolut – im Gegensatz zum Liberalismus, zu den Linken bzw. den Rechten, zur Moderne oder wem oder was auch immer. Und diese Gegensatzlogik, dieses Fixiertsein auf das, wovon man sich abgrenzt, wirft nun seinerseits seine Schatten. Menschen, die z. B. so geprägter Frömmigkeit den Rücken zuwenden, leiden an:

       der Unfähigkeit fundamentalistischer Religion, bei ihren Gegnern überhaupt noch wichtige Anliegen wahrzunehmen, die positiv, hilfreich, bereichernd oder würdigenswert sein könnten.

       der Verdrängung von Problemen und Schwierigkeiten in den eigenen Kreisen, die tabuisiert und verschwiegen werden müssen.

       dem Partei- und Lagerdenken, der Neigung zum Bekämpfen der anderen, häufig nicht nur anderer Gedanken, sondern gerade auch anderer Menschen, die man für die eigenen Kreise als gefährlich einschätzt und die man darum ausgrenzen muss.

       der Offenheit gegenüber Verschwörungstheorien und allen Denkansätzen, die konkreten Gegnern Schuld und Versagen im Blick auf Fehlentwicklungen der Gesellschaft zuschreiben.

       4. Theologie der dritten Wege

      Was kann Theologie in einer solchen Situation leisten? Nun kann Theologie solche Konflikte nicht einfach klären. Wenn wir uns die Basismentalitäten des heutigen Denkens ansehen, dann ist die wissenschaftliche Theologie hoffnungslos modern. Für die einen kann sie kein Teil einer Lösung sein, denn sie ist für den christlichen Glauben das Problem schlechthin, die Ursache allen Niedergangs in der liberalen Christenheit. Für die anderen postmodernen Geister ist sie schlicht und einfach zu kompliziert – und daher letztlich irrelevant. Nun ist jede Theologin bzw. jeder Theologe in heutigen Fragen in irgendeiner Form auch Partei und kann sich nicht anmaßen, wie ein Schiedsrichter über den Gegensätzen zu stehen. Es wäre in den politischen wie in den religiösen Fragen unserer Zeit auch unsinnig, der Sehnsucht nach der verlorenen Mitte nachzuhängen, sich in eine spannungslose, konsensfixierte Harmonie flüchten zu wollen. Konflikte sind wesentlich, sie sind notwendig – nur muss man auch das Streiten lernen.

      Es kann nicht darum gehen, СКАЧАТЬ