Название: Lords of the Left-Hand Path
Автор: Stephen Flowers
Издательство: Автор
Жанр: Эзотерика
isbn: 9783944180205
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Nach der traditionellen ägyptischen Geschichtsüberlieferung eroberte der Norden erfolgreich den Süden und vereinte das Land 3100 v.u. Z. unter Menes, dem ersten Pharao, der im Nildelta die Haupstadt Memphis gründete. Obwohl das vereinigte Land und einheitliche kosmische Prinzipien, die von den in den jeweiligen Regionen dominierenden Göttern repräsentiert werden, ein Bild zeichnen, in dem Horus und Seth zwar als polare Entsprechungen, aber trotzdem als ein Wesen dargestellt werden (siehe Abb. 3.4), gab es auch Tendenzen, Seth als den negativen, von Beginn an feindseligen Aspekt zu betrachten. Dennoch kann nicht oft genug gesagt werden, dass die Kraft und das Wesen Seths bis zum Ende der zwanzigsten Dynastie (um 1170 v.u. Z.) von den Ägyptern hoch geachtet und verehrt worden waren.
Der Fortbestand der Seth-Verehrung in Ritual und magischer Symbolik zeigt sich deutlich an der Doppelkrone des Pharaos, die aus der roten Krone Nordägyptens und der weißen Krone des Südens gefertigt ist, und an den Zeptern von was
In der „orthodoxen“ Religion Ägyptens scheinen zwei Konzepte oder Prinzipien vorherschend gewesen zu sein: die Regelung des kosmischen/ackerbaulichen Zyklus, erfahrbar im jährlichen Ansteigen des Nils, der dadurch den materiellen Wohlstand sicherte; und die Fortsetzung des Lebens des Einzelnen in einem transzendenten Jenseits. Für die Behauptungen Herodots (II, S. 123), dass die Ägypter an irgendeine Form der Reinkarnation oder Metempsychose geglaubt hätten, scheint es nicht den geringsten Beweis zu geben.53
Abb. 3.4. Vereinigung von Seth und Horus
Beim Versuch, die historische Entwicklung der ägyptischen Religion zu begreifen, kann es leicht zu Missverständnissen kommen, wenn die Unterteilung in rechtshändigen und linkshändigen Pfad zu früh oder zu strikt vorgenommen wird. In vielerlei Hinsicht war die frühe Religion Ägyptens der sumerischen oder der alten indoeuropäischen Religion ähnlich, in denen die strenge moralische Spaltung von „Gut“ gegen „Böse“ fehlte. Doch bereiteten die Ägypter, ähnlich den Zoroastriern in Persien, dieser Trennung im Laufe der Zeit den Weg.
Die Wurzeln einer Urform des rechtshändigen Pfades im Westen finden wir im kosmischen und agrarischen Kultus, den die Ägypter um den regelmäßigen Anstieg des Nil errichtet haben und der möglicherweise auch mit der extremen Isolation und Xenophobie Ägyptens und seiner Kultur zusammenhängt. Diese religiöse und mythische Tradition fand schließlich im Osiriskult ihren Ausdruck. Dieser Kult verkündete und entwickelte die Vorstellung von regelmäßigen und in sich geordneten Zyklen der Existenz und von einer Auferstehung des Leibes in einem transzendenten Reich, wobei vermutlich eine Parallele zu den natürlichen Zyklen des Nil gezogen wurde. Zur Zeit des Neuen Reiches (und der Ptolemäischen Periode), als der Osiriskult seinen höchsten Entwicklungsstand erreicht hatte, bildete sich ein exklusiver Kult des rechtshändigen Pfades heraus, der auf der Idee basierte, das menschliche Handeln mit den Kreisläufen der Natur in Einklang zu bringen. Diese Kreisläufe wurden reihum von der Gemeinschaft der ägyptischen Göttinnen und Götter symbolisiert.
Das ägyptische Wort für „ein Gott“ war Neter (pl. Neteru). Erik Hornung widmete diesem und anderen Begriffen für „Gott“ im Ägyptischen eine ganze Untersuchung. Die Herkunft des Wortes ist unklar.54 Doch aus seiner Bedeutung folgerte Hornung:
In der ständigen Wandlung ihres Wesens und ihrer Erscheinung gleichen die ägyptischen Götter den Tempeln des Landes, die in ähnlicher Weise niemals abgeschlossen und fertig sind, sondern stets ‚im Bau‘. […]
[Die ägyptischen Götter] … sind eher Formeln als Gestalten, in ihrer Welt fühlt man sich manchmal in die Welt der Elementarteilchen versetzt. […] Ein Gott verbindet sich mit einem anderen und ist ein neues Wesen mit neuen Eigenschaften, um im nächsten Augenblick in einer Vielzahl von Wesenheiten aufzutreten. Was er eigentlich ist, bleibt verborgen, aber seine leuchtende Spur ist sichtbar, seine Reaktion mit anderen deutlich, seine Wirkung spürbar. Er ist materiell und geistig, eine Kraft und eine Gestalt, er erscheint in wechselnden Formen, die eigentlich einander ausschließen, aber wir wissen, dass da etwas ist und seine Wirkung entfaltet.55
Doch einen gab es, der aufgrund seines Wesens gegen die anderen Neteru stand, und das war Seth. Wie wir bereits sehen konnten, reicht der Seth-Kult bis zu den Anfängen der ägyptischen Kultur zurück, vor allem in Oberägypten. Von Anbeginn und die ganze Geschichte hindurch stand Seth offenbar für:
1. den Gegensatz zu bestimmten natürlichen Abläufen,
2. das Draußen (Wüsten, fremde Länder etc.),
3. Kraft oder Macht (physisch oder magisch),
4. die Störung der natürlichen Ordnung durch eine Aktivierung dieser Faktoren.
Diese Eigenschaften wurden anfangs als notwendig für das Gleichgewicht im gesamten Kosmos betrachtet, doch mit der Zeit wurden diese Faktoren zu programmatischen Musterbeispielen für das Böse aus ägyptisch-osirianischer Sicht. Jedoch galt Seth nicht so sehr als böse wie ihm überwältigende Macht zugeschrieben wurde. Über die ägyptischen Götter und das Böse schreibt Hornung:
Die Götter Ägyptens können schrecklich, gefährlich und unberechenbar sein, aber nicht böse. Das gilt, wenigstens ursprünglich, selbst für Seth, den Mörder des Osiris. Kampf, ständige Auseinandersetzung, auch Verwirrung und In-Frage-Stellen der gesetzten Ordnung, wie Seth sie als eine Art trickster betreibt, gehören zu den notwendigen Bedingungen des Seins, zu der begrenzten Unordnung, die für lebendige Ordnung unerlässlich ist.56
In vielen Diskussionen darüber, wie und warum Seth zum Inbegriff des Bösen in Ägypten wurde, ist womöglich überbetont worden, dass der Konflikt zwischen der Priesterschaft des Osiris und der jenigen von Amun und Seth stark von dem überlagert gewesen ist, was wir heute als „politische Faktoren“ bezeichnen würden. Zum Beispiel ist es richtig, dass Seth der Hauptgott des zuvor bezwungenen Oberägyptens war und dass er als Gott der fremden Kräfte des semitischen Volkes der Hyksos galt, die von etwa 1700 bis 1550 v.u. Z. in Ägypten eingedrungen waren und das Land beherrschten.
Doch ebenso richtig und für unsere Untersuchung von größerer Bedeutung ist das folgende: Was Seth in seinem Wesen repräsentiert, wurde nahezu immer mit Misstrauen betrachtet – die menschliche Seele als Widerpart des natürlichen Vehikels, des Körpers, dargestellt als eine Kraft von außen, die der Menschheit eine Macht gibt, die sie umgebende natürliche Ordnung zu stören. Seth war der Gott des Außenseiters, des Fremden, und diese Qualität repräsentiert er im Pantheon und in der Gesellschaft Ägyptens. Von allen Göttern war Seth möglicherweise der einzige, der wirklich unsterblich war.57 Seth hat die Kraft und den Willen, „gegen Gesetz und Ordnung“ des Universums zu handeln.58 Hierin liegt der Kern, warum der Seth-Kult als Vorläufer des linkshändigen Pfades im Westen betrachtet wird.
Trotz der großen Zahl zugänglicher Dokumente bleibt die ägyptische Tradition heute eine der auf philosophischer Basis am schwierigsten verständlichen. Dies liegt zum einen Teil an der konkreten Ausdrucksweise der (vorhellenischen) ägyptischen Philosophie, und zum anderen an den späteren Bestrebungen, die Wirkungsweise von Seth zu verdunkeln und zu verunglimpfen. Doch zu einem Großteil liegt es an bestimmten СКАЧАТЬ