Die dünne Frau. Dorothy Cannell
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Название: Die dünne Frau

Автор: Dorothy Cannell

Издательство: Автор

Жанр: Ужасы и Мистика

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isbn: 9783867549929

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      Behutsam spießte ich einen Pilz auf. »Ihre Sorgfalt im Detail ist beeindruckend. Sehr professionell. Ist Ihr Rufname Bentley oder haben Sie eine Kurzform, Benny?«

      »Ben«, sagte er frostig, »und Ellie, kommt das von Ellen?«

      Ich schnitt ein Stück Fleisch ab, schob es auf dem Teller hin und her, zerschnitt es noch einmal.

      »Von Ellen also nicht.«

      »Da wir angeblich eng befreundet sind, werden Sie es erfahren müssen. Mein richtiger Name ist Giselle.« Ich schaute auf und erwischte ihn dabei, wie seine Lippen zuckten. Ob die Kellnerin was merken würde, wenn ich ihn mit der Gabel erstach und das blütenweiße Tischtuch Blutflecken bekam? Zu meiner Überraschung wurde sein Gesicht ernst und er berührte meine Hand.

      »Eltern können sehr unreif sein. Solche Höhenflüge der Phantasie sind für Kleinkinder hübsch, die in ihren Stühlchen ruckeln und brabbeln, aber auch Herzblättchen und Heideröschen werden erwachsen. Namen sollten zur Ansicht vergeben werden – mit Umtauschrecht nach Entfaltung des Verstandes.«

      »Danke.« Meine Stimme gab einen rauen Ton von sich. Ich werde unsicher, sobald Leute, besonders Männer, nett zu mir sind. »Mutter hat es gut gemeint, die Arme. Sie träumte davon, ich würde in ihre Fußstapfen treten und in einem duftigen rosa Tutu umherflattern.«

      »Deine Mutter ist Tänzerin?«

      »War. Nur in der Gruppe an kleinen Stadttheatern. So viele Pirouetten und Arabesken, und dann stolperte sie, als sie die Bahnhofstreppe runterrannte; genau wie ich kam sie immer zu spät. Inzwischen ist sie seit zehn Jahren tot.«

      »Tut mir leid. Und dein Vater?«

      »Irgendwo auf der Suche nach sich selbst. Momentan ist er Landwirt und Schafzüchter in Neusüdwales. Zuletzt hatte er zwei – Schafe, nicht Bauernhöfe – und wie ich Papas Pech kenne, nimmt das Mutterschaf die Pille. Eigentlich ist er toll; nächstes Jahr versucht er’s vielleicht als Feuerwehrmann oder Zirkusclown.«

      »Was meine Theorie untermauert, dass Eltern, sie mögen noch so liebenswert sein, die wahren Kinder sind.« Ben ließ sich von der Kellnerin mit der Morgenhaube einen Kaffee servieren. Sie umschwänzelte ihn in sattsam bekannter Manier. Zeit, Mr. Haskell daran zu erinnern, dass er im Dienst war. Ich hatte ihn zur Genüge mit spritzigen Einzelheiten aus meiner Familiengeschichte – ausgenommen Vanessa – versorgt, jetzt war Bentley T. Haskell dran.

      Er begann seine Erzählung mit der Eröffnung, er sei von seinen Eltern verstoßen, enterbt und zum Teufel gejagt worden. Wieder ein Familienstammsitz verloren? Dieser entpuppte sich als Gemüseladen in Tottenham. Ich sah die armen Eltern mit ihren verarbeiteten Händen vor mir, wie sie den aus der Art geschlagenen Sohn mit Kohlköpfen zur Tür hinausbombardierten, abriegelten und ein Schild mit der Aufschrift »Geschlossen« anbrachten. Aber warum?

      Sein Vergehen war interessant. Mami und Papi konnten sich nicht damit abfinden, dass ihr Sohn praktizierender Atheist war.

      »Praktizierend?«

      »Ich war Mitorganisator einer Protestversammlung vor der Halleluja-Erweckungskirche. Das ist eine von diesen giftigen engstirnigen Sekten, die Ketzer immer noch am liebsten auf dem Scheiterhaufen verbrennen würden. In diesem Fall hatten sie sich geweigert, ein kleines Kind in geweihtem Boden zu bestatten. Wenn das Religion sein soll, kann ich darauf verzichten.«

      »Deine Eltern sind fromm?«

      »Sehr. Vater ist orthodoxer Jude und Mutter stramme Katholikin. Eines muss man den beiden lassen, sie führen eine großartige Ehe. Seit vierzig Jahren verzehren sie sich in missionarischem Eifer und versuchen, sich gegenseitig zu bekehren. Wir haben eine Mesusah in der Haustür und auf dem Kaminsims eine Jungfrau Maria. Mutter behauptet, sie habe Vater schon vor Jahren beim Haarewaschen getauft und er nennt sie vor seinen Freunden immer Ruth, obwohl sie Magdalene heißt.«

      »Dann staune ich, dass sie bei dir so schnell aufgegeben haben. Hinter deiner Vertreibung muss doch mehr stecken als nur die Halleluja-Erweckungs-Demo. Was für Sünden hast du noch begangen?«

      Ben hielt nach der Kellnerin mit der Rechnung Ausschau und sagte dabei in liebenswürdigem Tonfall: »Und ich staune, dass du beim Gehen nicht über deine Nase fällst. Wie kommst du dazu, mir Missetaten zu unterstellen?«

      Fasziniert beobachtete ich, wie die Kammerzofe auf seinen leisesten Wink hin angedackelt kam. Mit nervtötender Langsamkeit steckte sie das Geld ein, das ich hingelegt hatte. Endlich verzog sie sich schweifwedelnd.

      »Heraus damit!«, rief ich. »Die Spannung schlägt mir auf den Magen. Was hast du angestellt, die Tochter vom Bürgermeister entführt? Die Leihbücher nicht zurückgegeben?«

      »Mein Kardinalfehler war, als einziges Kind geboren zu werden. Meine Eltern hatten alles auf eine Karte gesetzt. Als ich zur Welt kam, war Mutter fast vierzig. Danach war es aus mit dem Kinderkriegen.«

      Hatte wahrscheinlich Angst, die arme Frau. »Dann ist deine Mutter nicht mehr die Jüngste?«, soufflierte ich listig.

      »Sie geht auf die siebzig zu.«

      Also war Ben an die dreißig, in meinen Augen das beste Alter, vor allem für ledige Männer.

      »Was weiter?«, fragte ich.

      »Wenn du es unbedingt wissen willst, ich habe ein Buch geschrieben, ein sehr … anschauliches Buch, sehr … avantgardistisch.« Er suchte nach dem passenden Wort. »Sehr … sinnenfreudig.«

      »Mit diesem Adjektiv schmücken sich eigentlich Weinkenner und Frauen mit meiner Figur. Vielleicht wäre pornografisch treffender?«

      »Der Ansicht bin ich durchaus nicht.« Seine schwarzen Brauen senkten sich in jener arroganten Manier, die Lore-Roman-Helden auf der Stelle zu verwegenen Teufelskerlen macht. Bentley Haskell dagegen sah aus wie ein kleiner Junge, der seinen Ball wiederhaben will.

      »Hat das Meisterwerk schon das Licht der Öffentlichkeit erblickt?«

      »Bitte keinen Hohn. Ich arbeite an der zweiten Fassung.«

      »Ah ja. Der Ruhm lässt also noch auf sich warten. Aber deinen Eltern musstest du es sofort unter die Nase halten, noch bevor es gedruckt ist! Was ist an solcher Ehrlichkeit bewundernswert? Wolltest du zwei alten Leuten neue Schimpfwörter beibringen?«

      Ben war verletzt. »Ich dachte, es gefällt ihnen. Außerdem musste ich ihnen was entgegensetzen. Sie verlangten, ich sollte bei Onkel Solomon arbeiten. Er hat ein Restaurant am Leicester Square.«

      »Ins Familienunternehmen einsteigen, hört sich doch gut an.«

      »Sicher, es war ja auch mal das, was ich wollte. Ich bin in den besten Hotels Europas und der Vereinigten Staaten ausgebildet worden, bis zum Chef. Aber dann letztes Jahr in Paris hat mich das Schreibfieber gepackt und ich habe meine Kreativität in andere Bahnen gelenkt. Es reizt mich nicht mehr, für den Rest meines Lebens am Herd zu stehen.«

      Ein Koch? Gab es für mich kein Entrinnen vom Essen? Mitgefühl für jemand, der einem Cordon Bleu fröhlich den Rücken kehrt, war mir nicht gegeben. »Auch nur halbtags für Onkel Solomon zu arbeiten«, sagte ich scharf, »hätte sich natürlich nicht mit deinem künstlerischen Gewissen vertragen. Ich nehme an, du haust in einer zugigen Mansarde?«

      Ben faltete seine Serviette und СКАЧАТЬ