Название: Die letzte Sinfonie
Автор: Sophie Oliver
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Ein viktorianischer Krimi mit den Ermittlern des Sebastian Club
isbn: 9783948483340
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»Diese Musiker machen uns doch alle was vor«, schimpfte Crispin neben ihr. »Die schließen die Reihen und halten dicht. Laurence Verbier kann seine Freude darüber, zum ersten Trompeter aufgestiegen zu sein, kaum beherrschen. Und der Dirigent würde uns am liebsten fortscheuchen und zur Tagesordnung übergehen. Was sind das nur für Menschen?«
»Künstler eben. Für die zählt nichts anderes als ihr Gefiedel«, bemerkte Iggy mit ironischem Unterton. Für sein jugendliches Alter – mit achtzehn Jahren sah er keinen Tag reifer aus als fünfzehn – besaß er eine umfassende Lebenserfahrung, die einem harten Alltag auf der Straße und im Armenhaus geschuldet war. Sein Unterkommen bei Annabel Arnholtz war die Rettung für den Jungen gewesen. Und auch gewissermaßen für die Hausherrin, die ihn in ihr Herz geschlossen hatte.
»Warum kochst du den Tee und nicht Freda?«, fragte Freddie dazwischen.
»Weil ihr Gebräu abscheulich schmeckt«, flüsterte Iggy mit sichtbarem Schaudern.
Freddie grinste. Freda hatte vormals als Dirne im Bordell von Annabel gearbeitet und war als Hausangestellte mit ins neue Leben übernommen worden. Die resolute Endvierzigerin gab sich redlich Mühe in der Küche, aber eine gute Köchin würde aus ihr nicht mehr werden. Umso besser, dass Iggy Gefallen daran fand, wohlschmeckende Gerichte zu zaubern und den Tee zuzubereiten. Der Junge steckte wirklich voller Überraschungen. Er hatte eine Vorliebe für gute Schuhe und schicke Anzüge. Über der modisch grau karierten Hose trug er eine ordentlich geknotete Küchenschürze, um sein weißes Hemd zu schützen. Kurz vor Ankunft der Ermittler hatte er Scones gebacken, die auf einer Etagere angerichtet darauf warteten, serviert zu werden. In der Küche lag ein herrlicher Duft nach Kuchen und Marmelade, vermischt mit Kräuterwohlgerüchen, die durch die offen stehende Hintertür aus dem Gemüsegärtchen hereinwehten. Es herrschte eine entspannte Atmosphäre. Wann immer Freddie zu Besuch bei Annabel Arnholtz war, zog es sie sofort in die Küche, wo Iggy ein heimeliges Ambiente geschaffen hatte, nach dem er sich wohl auch selbst gesehnt hatte. Darüber hinaus wollte sie ihrem Onkel Zeit allein mit Annabel gönnen und nicht ständig wie eine Anstandsdame dabeisitzen.
Es war für Freddie nicht immer einfach, die Frau an der Seite ihres Onkels zu akzeptieren, obwohl sie Annabel schätzte und wusste, wie tief die beiden füreinander empfanden. Ihre Bedenken begründeten sich nicht in Eifersucht. Vielmehr verspürte sie Mitleid, weil Lord Philip Dabinott und Annabel Arnholtz sich aufgrund von bornierten Klassenressentiments ihrer Mitmenschen wahrscheinlich nie öffentlich zueinander würden bekennen können. Sie würde stets die Geliebte bleiben, über die getuschelt wurde, und er offiziell Junggeselle. Wegen des Altersunterschieds von lediglich zwölf Jahren betrachtete Freddie ihren Onkel eher wie einen Bruder. Dem der Weg in die Ehe mit Annabel verwehrt blieb. Es durfte gemunkelt und gemutmaßt werden, aber eine ordentliche Beziehung zwischen dem Adligen und der ehemaligen Bordellbesitzerin galt als ausgeschlossen. War das vielleicht besser so, nun da Lord Philip die Nachfolge von Professor Brown als Vorsitzender des Sebastian Clubs angetreten hatte? Auch Brown war zeitlebens ungebunden geblieben und hatte sich vornehmlich auf seine Arbeit konzentriert. Lord Philip war erst sechsunddreißig, Annabel um die Vierzig. Vor ihnen lag eine familienlose Zukunft.
Um auf andere Gedanken zu kommen, trug Freddie die Etagere hinüber in den Salon, wo sie ein Glänzen in Doktor Pebsworths Augen zauberte. Nach der anstrengenden Befragung der Musiker hatten sich die Ermittler nach Greenwich zurückgezogen. Annabels Haus war mittlerweile eine weitere fixe Anlaufstelle für Treffen und Besprechungen geworden. Oder einfach nur, um in privatem Rahmen gemütlich Tee zu trinken.
»Scones!«, rief der Doktor aus. »Mit Erdbeermarmelade!«
»Von Iggy höchstselbst gebacken«, sagte Annabel, die neben Lord Philip auf einem Sofa mit elegant geschwungener Rückenlehne saß.
»Köstlich. Der junge Mister Hegan entwickelt ungeahnte Talente. Wer hätte das gedacht, als er zerlumpt im Gebüsch vor Ihrem Haus auf der Lauer lag, Lord Philip?«
»Also ich habe sein Potenzial schon damals erkannt«, behauptete der, bevor er sich an seine Nichte wandte. »Du hattest dich vorhin gut unter Kontrolle. Ich kann mir vorstellen, wie Mister Wilfrieds Einstellung dich enerviert hat, aber du hast dich zurückgenommen, um die Befragung nicht zu erschweren. Respekt, Freddie.«
»Er ist ein Esel«, sagte sie dumpf.
»Dem wir leider weiterhin auf den Zahn fühlen müssen.« Er wollte noch etwas hinzufügen, hielt aber sichtlich irritiert inne. »Von wem sind die Blumen, Annabel?«
Auf einem Beistelltisch stand ein Strauß weißer Rosen.
»Von Laurence Verbier. Ich war selbst überrascht, als sie heute geliefert wurden und dachte zuerst, sie wären von dir. Woher kennt Mister Verbier meine Adresse?«
»Und weshalb sendet er dir Rosen?«
Sie hielt ihm die Karte hin, die dabei gewesen war.
»Musik und Schönheit gehen Hand in Hand. In aufrichtiger Bewunderung, Laurence Verbier«, las Lord Philip vor. Es war unschwer zu erraten, was er dachte, als er die Karte zerknüllte und nach Freda klingelte, damit sie die Vase entfernte.
»Mir scheint, Sie haben einen neuen Bewunderer, Mrs Arnholtz«, merkte Doktor Pebsworth an. »Mister Verbier scheint über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein zu verfügen.«
»Ich schlage vor, dass sich zwei von uns morgen den ganzen Tag über im Great Eastern aufhalten und die Musiker nicht aus den Augen lassen. Für diese Aufgabe melde ich mich gern freiwillig«, brummte Lord Philip. »Die anderen beiden Ermittler dürfen ein Ausflug aufs Land unternehmen.« Er deutete auf Crispin, der rasch den letzten Bissen seines Scones hinunterschluckte und einen großen Schluck Tee nahm, bevor er sprach.
»Was die Nachforschungen bezüglich Professor Brown betrifft – die wir natürlich nicht vernachlässigen wollen – ich habe herausgefunden, wo Ridgeway House liegt. Es ist der Landsitz von Colonel Ellingford, Professor Browns früherem Freund aus Indien. Wer möchte sich zusammen mit mir dorthin auf den Weg machen? Die Adresse habe ich notiert.« Aus der Innentasche seines Jacketts zauberte er flugs einen gefalteten Zettel hervor, den er eingeklemmt zwischen Zeige- und Mittelfinger in Richtung Freddie hielt. Seine Mundwinkel zuckten, als sie sofort nach dem Papier griff.
Kapitel 5 – Middlesex – Freddie
»Wie großzügig von deinem Onkel, uns alleine ermitteln zu lassen. Für gewöhnlich passt er auf wie ein Schießhund, damit ich dir nicht zu nahe komme.« Crispin beugte sich in der schaukelnden Kutsche zu Freddie und küsste sie. Als sie durch ein Schlagloch rumpelten, wurden sie auseinandergeschleudert und mussten lachen.
»An seiner Stelle wäre ich auch vorsichtig«, antwortete sie neckisch. »Wo wir doch bei jeder Gelegenheit übereinander herfallen.«
»Wenn es nur so wäre!« Er verdrehte theatralisch die Augen und sah dabei sehr jungenhaft aus. »Aber mal ehrlich, Freddie. Wir wissen beide, dass es nicht ewig so weitergehen kann. Irgendwann werde ich eine ehrbare Frau aus dir machen müssen.«
Sie spürte einen nervösen Stich im Magen, wie immer, wenn das Thema auf ihre unkonventionelle Beziehung kam. Crispin machte zwar gern Scherze darüber, doch ginge es nach ihm, wären sie längst verheiratet. Freddie wusste, dass er lediglich aus Angst vor Zurückweisung die alles entscheidende Frage noch nicht gestellt hatte und dafür war sie ihm dankbar. Das Schlimmste, was sie sich vorstellen könnte, wäre nicht mehr ermitteln zu dürfen. Und wer hatte je von einer verheirateten Frau gehört, die einen Beruf ausübte? Noch dazu unter Männern?
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