Herz des Todes. Magret Kindermann
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Название: Herz des Todes

Автор: Magret Kindermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Herz des Todes

isbn: 9783947147687

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СКАЧАТЬ diesem Geflecht hing ein ausgewaschenes Herz. Obwohl es blutleer weiß erschien, war es nicht tot. Seinem Körper entnommen, pochte es noch immer wie ein für den Kastanienwald eigener Erdkern.

      Viele Meter darüber schaukelte ein Mädchen in den Ästen, die wie Lianen fast bis zum Boden reichten. Mit Leichtigkeit umklammerten ihre Hände das biegsame Holz, die Beine folgten und schwangen über den Abgrund, der sich hinter der Kastanienallee auftat.

      Über ihr saß ein türkisfarbenes Huhn in der Baumkrone und guckte zu. Der Blick des Mädchens war auf die Wiesen und die Stadt im Moor vor ihr gerichtet. Nichts dort schien zu ihr zu halten. Doch zwischen diesen alten Bäumen war sie sicher.

      Das Mädchen ließ den Ast los und sprang in den grasigen Hügel. Sie jauchzte. Als sie zurück nach Jui lief, dachte sie, die starken Kastanien würden sie ein Stück begleiten. Dabei blieb das Herz sicher im Wurzelgeflecht zurück.

      Aru wusste, dass etwas mit ihr nicht stimmte, weil sich jeder ihr gegenüber seltsam benahm, aber sie wusste nicht, woran es lag. Niemand wollte ihr die Geschichte erzählen, lieber unterhielten sie sich darüber ohne sie. Mit der Zeit kamen immer mehr Details dazu, ob der Tod nun auf einem Bullen angeritten kam, sie am Tag ihrer Geburt schon holen oder sie gar zu seiner Nachfolgerin machen wollte.

      Ihre Eltern verstärkten Arus Ängste. Ihr Vater, der Redner, vollzog in regelmäßigen Abständen eine Reinigung. Dabei bedeckte er ihre gesamte Haut mit einer Paste aus Umbutkraut, das an den Unterseiten der Holzbretter bis in die Tiefen des Moores hinein wuchs, und setzte sie in die Sonne, bis die Masse trocknete und von alleine abfiel. Nicht selten leisteten die Hühner ihr Gesellschaft und spielten mit den herabgefallenen Umbutklumpen. Manchmal fanden sie darin eine Schnecke.

      Wenn Aru Pech hatte, sah ein anderes Schulkind sie. Diese wurden nie müde, ihr neue Spitznamen zu geben. Aru-Stinkekuh hielt sich am hartnäckigsten, nach den Kühen, die am Rande des Moores lebten, weil sie die jungen Umbut-Triebe liebten, die dort auf toten Bäumen wuchsen. Manchmal wagten sie sich zu weit hinein und verendeten in Schlamm. Noch schlimmer fand Aru aber Todeshure, auch wenn sie den Begriff nicht ganz verstand.

      Ihre Mutter beachtete sie nicht. Aru hatte schon erlebt, wie sie von ihren vier Kindern sprach und damit ihre älteste Tochter ausschloss. Die Frau des Redners fürchtete sich vor der seltsamen Kleinen, die oft lange ins Leere blickte. Eines Tages schrie sie den Redner an, er solle sie aus dem Haus werfen. Doch er weigerte sich, da er nicht den Zorn des Todes auf sich lenken wollte.

      »Sie steht unter seinem Schutz und wir haben die wichtige Aufgabe, Jui vor ihr zu schützen«, sagte der Redner.

      Die Köchin mischte sich in den Streit ein: »Oh, hätte ich bloß nie den Rhabarberkuchen für Armondin gebacken!«

      Sie war es gewesen, die die gute Bilgrim mit dem Kuchen vor der Geburt gnädig stimmen wollte. Noch zehn Jahre später machte sie sich Vorwürfe, dass sie keine kleinere Frucht gewählt hatte, an der man nicht so gut ersticken konnte.

      Was Arus Eltern und die Köchin nicht wussten, war, dass Aru unter dem Küchentisch saß und zuhörte. Den Ort hatte sie einige Tage vorher entdeckt, als das Huhn, das nach der Geburt auf ihr gelegen hatte und seitdem nicht mehr von ihrer Seite wich, darunter lief und sich in einen großen Suppentopf legte.

      Der Ort brachte Bilder in Arus Kopf, die Geschichten aus uralten Zeiten zeigten, als es Jui noch nicht gab und die Mooräpfel sich von den Wurzeln lösten und an die Wasseroberfläche ploppten. Niemand sammelte sie ein und sie trieben davon, um irgendwo neue Moorapfelbäume wachsen zu lassen.

      Unter dem Tisch blieb Aru verschont von Schlammsäuberungen oder Hänseleien. Dafür bekam sie die Gespräche der Erwachsenen mit und hatte schon viel über die Nacht, in der sie geboren wurde, erfahren.

      »Wir verheiraten sie, so schnell es geht mit einem Mann von anderswo«, sagte ihr Vater. Aru sah nur seine erdverkrusteten Schuhe und Hosenbeine.

      »Geht das denn? Sie ist noch sehr jung. Vielleicht ja auf dem Festland.« Ihre Mutter stand weiter weg und so sah Aru sie nur bis zum dicken Bauch, in dem ihr neues Geschwisterteil heranwuchs.

      Aru umklammerte ihre Knie, um nicht laut schluchzen zu müssen. Stattdessen weinte sie still.

      »Ein paar Jahre werden wir noch warten müssen«, sagte der Redner. »Aber sie sieht auch älter aus, als sie ist. Das wird schon gehen.«

      Arus jüngster Brüder Kamur hing an der Hand ihrer Mutter. Er war erst knapp über einem Jahr, doch auch er hatte schon mitbekommen, dass Aru nicht wirklich zur Familie gehörte.

      Das Kleinkind streckte den Arm aus, zeigte auf seine große Schwester unter dem Tisch und rief: »Da!«

      Die Mutter zog ihr Kind an sich, ohne es weiter zu beachten. Es verstummte und krallte sich am Bein fest, doch der Blick blieb auf das Versteck gerichtet.

      Aru wünschte sich, dass sie sie bemerkt hätten. Sie wollte den Ausdruck in ihren Augen sehen, der zeigte, dass sie wussten, dass ihre Gedanken falsch waren. Als ihre Eltern mussten sie sie doch lieben, sie war doch gut, ein braves, gesundes Kind, genau wie die anderen. Aber ihre Geschwister waren anders, das spürte sie. Vor ihnen schreckte niemand weg.

      Sie kroch unter dem Tisch hervor und stellte sich mit verheultem Gesicht und erhobenem Kopf vor ihre Eltern. Zu gerne hätte sie etwas gesagt, hätte ein Urteil gesprochen. Aber für den Schmerz in ihr gab es keine ihr bekannten Ausdrücke und so schaute sie nur in die überraschten Augen. Sie zog den Rotz hoch, doch er rann ihr sofort wieder aus der Nase.

      »Da!«, sagte ihr Bruder erneut, doch er wurde von Arus Schluchzen übertönt.

      Niemand rührte sich, selbst der Marktplatzlärm schien nicht mehr hinein zu dringen. Nie hatten ihre Eltern ihr gezeigt, dass sie mit ihnen reden durfte, wenn sie etwas auf dem Herzen hatte. Sie hatte beobachten müssen, wie ihre Geschwister umarmt und gedrückt wurden. Berührungen kannte sie nur, wenn sie aus Versehen geschahen.

      Selbst jetzt wurde sie nicht erhört. Niemand beugte sich hinunter und zog sie an sich. Niemand, und das Verlangen danach war so groß, dass sie dieses schlussendlich herunterschlucken musste.

      Aru war fertig mit der Hoffnung. Sie hatte keinen Platz auf der Welt. Das, was sie schon lange wusste, begriff sie nun.

      Sie rannte aus dem Haus. Noch immer weinte sie bitterlich, doch das Rennen half und schließlich versiegten die Tränen. Als die Häuser weniger dicht standen, verlangsamte sie ihren Schritt.

      Weite Moorapfelfelder lagen vor ihr. Man erkannte sie an den rechteckig angeordneten Stegen, von deren Eckpfählern je ein Ende eines Netzes ins Wasser reichte. Im Hochsommer wurden damit die Mooräpfel geerntet und weiterverarbeitet.

      Aru lief jedoch weiter, ignorierte die Mücken, die um sie schwirrten und sie stachen, und erreichte nach einer langen Wanderung den Rand des Moores. Die Sonne stand bereits tief und glitzerte in den letzten Pfützen. Danach wurde der Boden höher und weniger wässrig. Aru sprang vom Steg und landete auf der festen Wiese.

      Sie überlegte, ob sie bis zu den Kastanien laufen sollte, doch sie empfand keine Lust, auf ihren Ästen zu schaukeln. Hinter sich vernahm sie ein Gackern und wusste, dass ihr das Serenikahuhn gefolgt war.

      Unschlüssig stand sie im Gras, bis es kühl wurde. Die Sonne war schon fast hinter den Bäumen verschwunden. Sie wollte nicht zurück nach Jui, aber sie fürchtete sich zu sehr, um im СКАЧАТЬ