Название: Warnung vor Büchern. Erzählungen und Berichte
Автор: Ханс Фаллада
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Reclams Universal-Bibliothek
isbn: 9783159618708
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Und dann: Die Welt, in der er lebt, ist eine sehr einfache Welt. Die Liebe, die einen Knecht und ein Hofgängermädel zusammenbringt, ist auf die primitivsten Anlässe rückgeführt, sagen wir, auf den Anlass. Hier fehlt völlig das versteckende Spiel der Redensarten, der Ideale, keine Mäntelchen, alles ist nackt. Keine Umwege, jedes kennt sein Ziel.
Das aber ist seine Sünde, dass der lesende Agrarier, vielleicht von der Schule, vielleicht von der Religionsstunde her, an eine andere Welt glaubt. Diese Welt lebt er, aber ein bisschen glaubt er doch an die andere. Er schlägt das Buch auf und nun ist sie um ihn, diese andere Welt. Hier erlebt er unfassbare Verzichtleistungen, einen Edelsinn, den er bewundert, eine Treue an das Ideal, die er nie besessen hat (und selbst nie haben möchte). Er, der am Tage einfach sein muss, auf kotigen Landwagen, unter wind- und regengerüttelten Bäumen, am Abend ist er in der lauen Luft der Ballsäle, sein kupferrotes Gesicht, nun von bleicher Blässe neigt sich über eine schmale Hand ….
Armer Ostelbier! Die Phantasie, die du nie hattest, deine Romanciere muss sie für dich haben! (Die schlichten Erdruchgeschichten liest man nicht auf dem Lande.)
Wie diese Leute nie denken gelernt haben und nie denken lernen wollten, so haben sie auch nie lesen gelernt. Wir wissen, wie wir uns von unsern ersten Jungenstagen weiterlasen, von Buch zu Buch, wie wir eindrangen in diese Geheimgänge, wie wir allen Verwandten unbegreiflich trostlos erschienen, da wir jeden neuen Tag die Götter vom vorigen lachend entthronten, bis wir schließlich [44]vordrangen bis zum Blute des Buches selbst, dem Stil, seinen Verästelungen nachspürten, wie uns die leise Hebung einer Zeile entzückte, ein Beiwort, das ein wenig aus dem Gefüge herausgerückt war und das schlicht und unaufdringlich für sich stand, zu Tränen verführte.
Was wissen diese von alledem? Sie lesen Bücher, um die Leere ihrer Abendstunden zu füllen. Ich weiß nicht, ob die Anekdote schon bekannt ist, von jenem Landwirt, dem ein Buchhändler Maeterlinks Leben der Bienen vorlegte. Der Landwirt blättert eine Weile in dem Buch und fragt dann den Buchhändler: »Haben Sie vielleicht ein solches Buch auch über Rindvieh?«
Gibt es eine Brücke? Es gibt keine Brücke.
Sicher, da sind Ausnahmen. Den Freund meines Lebens erwarb ich dadurch, dass ich bei einem viertelstündlichen Aufenthalte auf seinem Gut in seiner Hand Sternes Tristram Shandy sah. Da ließen wir das Gespräch über Lichtschachtdrillung bei Hafer und hatten zu sprechen. Aber das war die eine Ausnahme, die ich erlebte.
Diese »schöne« Literatur im Bücherschranke des Landwirts führt über die Brücke von Dinters Sünde wider das Blut in jenen Werken, die der Weltkrieg oder Der Große Krieg heißen, und ihre letzte Ergänzung in den Memoirenwerken großer Feldherrn und in Regimentsgeschichten fanden. Friedlich daneben steht die Schweinezucht und Kellners Fütterungslehre.
Künstler Deutschlands, hier liegt eine große Provinz, die zu erobern euch vorbehalten ist! (Ihr werdet sie nicht erobern.)
[45]II Ansehen kostet ja nichts
[47]Liebe Ordensgeschwister!
Mitte September hielten in Hamburg die Naturforscher eine Tagung ab. Und im Rahmen dieser Veranstaltung zog der Verein abstinenter Ärzte einen Vortragsabend auf, an dem auch unser Großtempler, Professor Dr. Strecker, sprach. Natürlich waren wir Guttempler uns einig darüber, dass wir unsern Großtempler hören müssten. Und so ist denn auch der Besuch dieses Vortragsabends durch die Guttempler ein sehr guter gewesen. Aber dieser Abend sollte ja mehr sein. Er sollte für den Abstinenzgedanken werben und war nicht ohne Vorbedacht in das Hamburger Studentenheim verlegt worden. Die abstinenten Ärzte hatten gehofft, dass die Studentenschaft in großen Scharen kommen würde. Gerade unter den Studenten mit ihrem Verbindungs- und Korpswesen wurzelt ja ein Gutteil unserer deutschen Trinksitten, und man hatte da von der Leitung der Tagung gehofft, werbend und aufklärend wirken zu können.
Leider hat man sich in dieser Hoffnung getäuscht. Die Studentenschaft ist, trotzdem die Vorträge in ihrem eigenen Heim veranstaltet wurden, ferngeblieben. Es scheint so, als ob diese Kreise jede Aufklärung von vorneherein ablehnen. Wenn sich auch gegen früher manches gebessert haben mag, so will die Studentenschaft – die farbentragende wenigstens –, nichts davon wissen, ihre alten Trinksitten, oder richtiger Trinkunsitten, aufzugeben.
Ein Fehlschlag also, aber nicht der erste Fehlschlag: Grade unser Großtempler, Bruder Strecker, erzählte unter dem Thema »Alkohol und Studentenschaft« von einem Mann, der schon früher den Kampf gegen das unsinnige Trinken [48]der Studenten aufgenommen hatte und der ebenfalls nichts erreichte.
Dieser Mann war der erste Rektor der 1811 gegründeten Berliner Universität und war der Philosoph und Vorkämpfer der Deutschen gegen die damalige französische Bedrückung: Johann Gottlieb Fichte.
Als Fichte 1811 in seiner Rektoratsrede den Kampf gegen den Alkohol mit wissenschaftlichen Waffen forderte, hatte er schon bittere Gelegenheit gehabt, die Frage Alkohol in Verbindung mit der Studentenschaft zu studieren.
1794 war Fichte auf Goethes Veranlassung an die Universität Jena berufen worden, dort sah er die Trinkgelage der Studenten, ihre Händel, ihre Mensuren, ihre Schlägereien. Er erkannte, dass dies alles unvereinbar mit den Zielen der Studentenschaft war, der Student sollte einmal, sei es als Gelehrter, als Richter, als Arzt, als Theologe, Führer und Beraten seines Volkes werden, es war ein Unding, dass diese künftigen Führer sich in ihren wichtigsten Entwicklungsjahren systematisch an den übermäßigen Alkoholgenuss gewöhnten. Gewöhnungen, deren Nachwirkungen viele von ihnen in ihrem ganzen Leben spüren würden.
Fichte wandte sich nun mit flammendem Aufruf an die Studentenschaft und er erreichte, dass die begeisterten Musensöhne die Auflösung ihrer Trinkverbände beschlossen.
Nun musste Fichte als Professor über diese wichtige Änderung an seiner Universität Jena seiner vorgesetzten Behörde berichten und deren Billigung und Weisung für seine weiteren Schritte einfordern. Damals, 1794, war Deutschland ja noch viel zerrissener als heute, 12 thüringischen [49]Landesregierungen gemeinsam gehörte die Universität Jena, an 12 Stellen hatte sich Fichte zu wenden, von 12 Stellen hatte er Antwort zu erwarten.
Diese Antworten kamen nicht sehr rasch, blieben teilweise ganz aus. Und unterdes verrauchte das erster Feuer der Begeisterung. Wie es immer bei derartigen Gelegenheiten geschieht, wagten sich nun die Freunde des studentischen Trinkwesens wieder hervor, sie hetzten gegen Fichte, beschuldigten ihn, er wolle nur die akademischen Freiheiten der Studentenschaft beschneiden – die kostbare Freiheit, sich zu besaufen, nämlich –.
Und diese Herren erreichten, dass Demonstrationen gegen Fichte vorgenommen wurden, ihm wurden die Fenster seiner Wohnung eingeworfen, ein nächtlicher Einbruch wurde in diese Wohnung versucht, an deren Folgen später sein erschreckter Schwiegervater stirbt, und schließlich musste Fichte noch 1795 ein Semester lang seine Lehrtätigkeit unterbrechen, bis sich die erregten Gemüter wieder ein wenig beruhigt hatten.
Das war Fichtes erster Angriff gegen den Alkohol, auch sein Angriff 1811 hat keine sichtbareren Erfolge gehabt, und Sie haben gehört, dass auch an jenem Vortragsabend abstinenter Ärzte, von dem ich Ihnen erzähle, der Erfolg gleich Null war. Die Studentenschaft fehlte.
Woran liegt das? Woher kommt es, dass das Interesse der breiten Öffentlichkeit, des Gebildeten wie des Einfachen, so unendlich schwer auf diese Dinge zu lenken ist? Woher kommt es, dass man immer wieder schlankweg ablehnt, uns auch nur anzuhören?
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