Warnung vor Büchern. Erzählungen und Berichte. Ханс Фаллада
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СКАЧАТЬ lesen dürfen? Da sitzt er nun mit einem Kriegsecho, einem Roman von der Mahler oder gar einem jener elenden Traktätchen, die ein völlig verlogenes Hirn geschrieben haben muss, und liest es nun zum dritten Mal Wort für Wort, Satz für Satz, Seite für Seite – muss sein Hirn da nicht revoltieren?

      Die lyrischen Dichter haben Unrecht: Kein Gefangener in einer preußischen Strafanstalt darf, das Gesicht gegen die Stäbe seines Gitters gepresst, dem Zuge der Wolken nachschauen oder sein Herz an Baumwipfeln erfreuen. Das Reglement verbietet das. Zum ersten ist sein Fenster aus geripptem, milchigem Glase, durch das kein Gegensand zu unterscheiden ist, dann aber darf er gar nicht auf sein Bett klettern und oben durch den freien Raum des Klappfensters spähen. Das wird streng bestraft. Ich habe selbst erlebt, dass ein Gefangener für diese Sünde mit drei Tagen schweren Arrests belegt wurde. Fluchtversuche werden mit schwerem Arrest bestraft. Die Beschädigung von Bibliotheksbüchern wird mit schwerem Arrest bestraft. Unbegründete Beschwerden werden mit schwerem Arrest bestraft.

      Was schwerer Arrest ist? Eine Zelle im Keller, 1,80 m lang und breit, der meiste Raum wird von einer [21]Holzpritsche eingenommen. Wasser und Brot. Keine Bewegungsmöglichkeit. Keine Wärme. Am zweiten bis dritten Tag hat sich der Gefangene schon wund gelegen, das Frostgefühl verlässt ihn nicht mehr.

      Strafe? Ja, Strafe, er hat ja aus dem Fenster gesehen.

      Hier scheint das Missverhältnis so groß, dass ich beim Schreiben zögere. Sätze fallen mir ein, die ich von Beamten gehört habe: »Frieren sollt ihr ja.« – »Es soll ja eine Strafe sein.« – »Es soll ja schwer sein.«

      Ich verstehe nichts mehr.

      Wie ist das eigentlich? Jemand wirft in der Betrunkenheit ein paar Scheiben ein und prügelt eine Frau: neun Monate Gefängnis. Jemand schlägt aus Eifersucht seine Liebste tot: acht Jahre Zuchthaus. Jemand bittet einen anderen um zehn Pfennige: sechs Wochen Gefängnis.

      Ich werde eifrig, ich beginne zu rechnen: Sechs Birnen weniger sechs Äpfel, was macht es? Ah, ich beginne zu begreifen, Strafe, Bestrafung, das ist etwas Überliefertes, etwas, von dem längst der Sinn verloren ging. In der Kirche singen sie ja auch Lieder und sagen Gebete auf, ohne dass sie sich etwas dabei denken: Der Sinn ist verloren gegangen, die Einrichtung besteht noch.

      Wer denkt an Sühne, Reue, Buße? Wird es gut, bist du wieder der Alte, wenn du nach neun Monaten frei wirst? Gar nicht.

      Heute ist es so, dass es gewisse Spielregeln gibt. Man kann sie außer Acht lassen, dann muss man bezahlen mit acht Jahren oder neun Monaten, je nachdem. Fünf Mark sind auch nicht das Buch, das du dafür kaufen willst, Geld und Buch sind etwas ganz Verschiedenes, aber unter gewissen Umständen sind fünf Mark eben doch das Buch.

      [22]Eine der ersten Fragen, die der Strafgefangene an den Ankömmling richtet, lautet: »Hast du auch etwas davon gehabt?« Er will wissen, ob du deine Ware fürs Geld bekommen hast, denn er hat gelernt, dass man auch unwissentlich die Spielregeln verletzen kann. Doch nur von der wissentlichen Verletzung hat man etwas. Er grinst über das Gerede von Strafe, Reue, Besserung. Das ist es ja gar nicht. Und er hat sicher recht. Man gibt Geld für das Buch, man gibt Lebenszeit für die Tat. Alles andere ist unwahres Gerede, diese kalte, klare Tatsache zu umnebeln.

      Darüber sei man sich klar. Und ist man so ehrlich, so grenze man auch den Begriff Strafe reinlich ab. Sie ist eine Freiheitsberaubung mit Arbeitszwang. Alles andere lasse man fort. Was soll das, dass der Gefangene keine Briefe schreiben soll? Er soll keine Ablenkung haben, zur Besinnung kommen, Reue verspüren? Glaubt man, dass ausgerechnet der Gefangene dazu da ist, das Rätsel von Gut und Böse zu lösen oder von der Willensfreiheit des Menschen?

      Das ist alles Unsinn. Auch hier Reinlichkeit. Dies und dies ist deine Strafe, sonst nichts, damit ist es gut. (Damit ist es noch lange nicht gut.)

      3

      Ein toller Unfug wurde in unserer Strafanstalt mit der Bewährungsfrist (B.-F.) getrieben. Nehmen wir ein Beispiel: Ein Gefangener, der eine halbjährige Strafe zu verbüßen hat, tritt an. »So«, wird ihm gesagt, »Sie sind noch nicht vorbestraft? Führen Sie sich nur gut, dann können Sie nach der Hälfte der Strafzeit B.-F. bekommen.«

      [23]Der Gefangene hat erwartet, an dem und dem Tage entlassen zu werden, nun hört er, dass es vielleicht ein ganzes Vierteljahr früher sein kann. Nur drei Monate, wenn er sich nur gut führt? Er wird sich schon gut führen! Drei Monate, das scheint ihm nichts, übermorgen, denn er war ja auf sechs Monate eingestellt. Hoffnung beseelt ihn, wann – –?

      Er beginnt sich einzuleben, er begreift, dass drei Monate im Gefängnis eine endlose Zeit, dass sie gar nicht gar nichts sind, er schaudert bei dem Gedanken, noch weitere drei Monate … Er arbeitet bis zum Äußersten. Nur das Wohlwollen jedes Beamten erwerben. Ein böses Wort kann alles zerstören.

      Er ist vereinzelt worden. Die Mitgefangenen sind eine geschlossene Schar, er muss besser sein als sie alle, damit er seine Bewährungsfrist bekommt.

      Er beginnt sich zu erkundigen. Es scheint sicher zu sein, dass es zwecklos ist, ein Gesuch um B.-F. einzureichen, ehe er die Hälfte seiner Strafzeit verbüßt hat. Früher gestellte Gesuche werden erfahrungsgemäß abgelehnt. Aber dann kann er ja sein Gesuch erst nach Ablauf eines Vierteljahres stellen? Wie lange dauert die Beantwortung? Vier Wochen? So können ihm also im besten Falle nur zwei Monate geschenkt werden, vielleicht nur sechs Wochen, vielleicht gar nur ein Monat?

      Er gibt sich auch damit zufrieden. Er hat gelernt, dass ein Monat eine endlose Zeit ist, er wird auch damit zufrieden sein. Er verdoppelt seine Anstrengungen. Er ist glücklich, wenn er einem Beamten eine Gefälligkeit erweisen kann. Er belauert die anderen, um Ungehörigkeiten melden zu können, sich als der Vertrauensmann zu beweisen, der er [24]sein muss, um eine Befürwortung seines Gesuchs durch die Anstaltsleitung zu erreichen.

      Das weiß er so auch schon, wie wichtig diese für ihn ist. Von den andern erfuhr er, dass die Gerichte ganz verschieden mit der Zubilligung von B.-F. verfahren. Manche sind »freigebig« damit, andere, die Mehrheit, lehnen es ab, immer. Wenn dann sein Gesuch von der Anstalt befürwortet ist, geht es trotz der Ablehnung durch das verurteilende Gericht an das Ministerium weiter. Das entscheidet dann.

      Und wie lange dauert das? Man zuckt die Achseln. Man erzählt ihm lächelnd den Fall, dass ein Gefangener ein Gesuch einreichte. Es wurde befürwortet, vom verurteilenden Gericht abgelehnt, es ging ans Ministerium. Da lag es. Es kam keine Antwort, das Gesuch wurde vergessen. Nach Monaten reichte der Gefangene – er hatte eine lange Strafe zu verbüßen – ein zweites Gesuch ein. Dieses Gesuch hatte sofort Erfolg, der Gefangene wurde entlassen. Als er schon Wochen auf freiem Fuß ist, trifft die Antwort des Ministers auf das erste Gesuch ein: Das Gesuch ist abgelehnt. Verzweiflung der Leitung: Was soll man tun? Der Entlassene ist zu Unrecht frei und zu Recht frei, er hat B.-F. Ich weiß nicht, was daraus geworden ist, es scheint dies eine juristische Frage mit immerhin menschlichem Hintergrund zu sein.

      Schließlich ist unser Beispiels-Gefangener so weit, dass er die Hälfte seiner Strafe verbüßt hat, er wird beim Sekretär vorgeführt, sein Gesuch wird aufgenommen und er bittet demütig darum, es zu befürworten. Das ist es, er bittet demütig. Es wird ihm zugesagt. Er dankt, aber er ist nicht sicher, dass es auch wirklich geschieht. Er durchschaut schon dies System. Er erlebt an jedem Montag, wenn die [25]Kolonnen zur Außenarbeit abrücken, die Ansprachen des Anstaltleiters. Er hat gemerkt, je höher bestraft der Gefangene, je aussichtsloser seine Sache ist, umso größere Hoffnungen werden ihm gemacht. »Führe dich nur gut, mein Sohn.« Der Gefangene soll abgehalten werden, einen Fluchtversuch zu machen.

      Und trotzdem er dies durchschaut, trotzdem glaubt er daran. Denn sein Fall liegt auch anders wie die andern, nicht wahr, sein Fall ist ein ganz besonderer СКАЧАТЬ