Mein großes Geheimnis. Buzz Bissinger
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Название: Mein großes Geheimnis

Автор: Buzz Bissinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия: Fernsehen

isbn: 9783854456377

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СКАЧАТЬ Grund.

      Ich hatte einfach nicht den Mut. Deswegen habe ich so lange gebraucht.

      Ich wollte einfach nur dazugehören.

      Als mein Schulabschluss näher rückte, wusste ich immer noch nicht wirklich, was ich einmal machen wollte, außer erst einmal zu studieren – unter anderem, weil das bedeutete, dass ich vom Kriegsdienst in Vietnam zurückgestellt würde. Obwohl ich in den fünf Semestern an der Newtown High in allen Sportarten, in denen ich dort aktiv war (Basketball, Football und Leichtathletik), immer wieder als herausragender Spieler ausgezeichnet wurde, rissen sich die Colleges nicht um mich.

      Nur das Graceland College in Lamoni, Iowa, zeigte echtes Interesse. Ich wiederum fand Graceland nicht so prickelnd. Von Iowa wusste ich nur, dass die Winter dort kalt und die Landschaft flach sein sollen. Die Schule stand in enger Verbindung mit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, heute bekannt als Gemeinschaft Christi. Auch über sie wusste ich nicht viel, außer, dass sie es mit der Religion verdammt ernst meinte.

      Bis dahin war ich noch nie weiter im Westen gewesen als in Ohio. Und ich war auch erst einmal in meinem Leben geflogen. New York City erschien mir noch so weit weg wie die dunkle Seite des Mondes. Mit den Hippies hatte ich nichts am Hut, ich war so obrigkeitshörig und konservativ wie meine Eltern. Mein Plan sah daher zunächst vor, weiter daheim zu wohnen, um die Kosten gering zu halten, mir ein Junior College in der Nähe zu suchen, um meine Zensuren zu verbessern, schließlich einen vierjährigen Studiengang anzufangen und am Wochenende für die Baumschnitt-Firma meines Vaters zu arbeiten, um mir ein bisschen was nebenbei zu verdienen. Eigentlich hatte ich gar kein richtiges Ziel. Vielleicht war technisches Zeichnen was für mich. Ich wusste es einfach nicht so recht.

      Als ich am ersten Tag von meinem Junior College zurückkam, erhielt ich einen Anruf.

      „Hallo?“

      „Können Sie morgen hier sein und für uns Football spielen?“

      „Wer ist denn dran?“

      „L.D. Weldon. Ich bin Trainer am Graceland College.“

      „Äh … ich weiß nicht.“

      „Wissen Sie, eigentlich hatten wir einen Quarterback von einem Junior College angeheuert, aber der kommt nicht auf die erforderliche Punktzahl für seinen Abschluss und steht uns daher nicht zur Verfügung. Wir haben nur noch einen Quarterback auf der Reservebank, also brauchen wir noch jemand anderen.“

      „Okay.“ Football machte mir immer noch Spaß. „Rufen Sie mich doch morgen noch einmal an, dann sage ich Ihnen, ob es klappt.“

      Am Abend sprach ich mit meinen Eltern. Sie konnten es sich nicht leisten, mich aufs College zu schicken, also ging ich am nächsten Tag zur Bank und beantragte einen Ausbildungskredit, da das Stipendium nicht alle Kosten abdeckte. Als Weldon mich anrief, teilte ich ihm meine Entscheidung mit.

      „Okay, dann bin ich morgen da.“

      Er legte auf.

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      Mein erster öffentlicher Auftritt als Caitlyn findet in Los Angeles statt. Das weiße Abendkleid, das ich trage, ist maßgeschneidert von Donatella Versace. Zwar habe ich sie nicht persönlich kennengelernt, aber sie hat mehrere Male ein paar Mitarbeiterinnen zu mir geschickt, um sicherzustellen, dass es genau passt. Nur eine von ihnen spricht Englisch, aber eins habe ich in Keeping Up With The Kardashians gelernt: Die Sprache der Mode ist universell.

      Ich möchte schön und umwerfend aussehen. Nein: Ich muss schön und umwerfend aussehen. Wenn ich auf die Bühne gehe und das nicht tue, dann wird hinter meinem Rücken noch gehässiger über mich geredet, als das sonst schon der Fall ist. Falls jemand wissen will, wie sich gnadenloser Spott anfühlt oder welchen Einfluss so etwas auf das Leben hat, wenn das eigene Selbstbild ohnehin schon schwer durcheinander geraten ist, dann muss man nur einen Schwarm Paparazzi anheuern, damit sie einen zehn Jahre lang von morgens bis abends verfolgen.

      Lange Kleider sind ziemlich tückisch, wenn man das Tragen nicht gewöhnt ist. Womöglich tritt man auf den Saum und stürzt. Glücklicherweise habe ich mich für ein paar Schuhe mit niedrigem Absatz entschieden, um das Risiko zu verringern. Da man meine Füße sowieso nicht sieht, hätte ich vielleicht am besten sogar meine alten Kugelstoßer-Schuhe anziehen sollen.

      Bitte, lieber Gott, du hast mir sowieso schon ein ziemlich verwirrendes Leben gegeben.

      Bitte, lieber Gott, lass mich bloß nicht stolpern.

      Ich kann an nichts anderes denken, während ich darauf warte, das kleine Treppchen zur Bühne des Microsoft Theaters in Los Angeles hinaufzugehen, um dort einen der renommiertesten Preise der Sportwelt in Empfang zu nehmen.

      Wenn ich stolpere, wird das Foto davon größere Bekanntheit erlangen als das von Annie Leibovitz, die mich vor eineinhalb Monaten in einem cremefarbenen Mieder für das Cover von Vanity Fair abgelichtet hat. So möchte ich einfach nicht in Erinnerung bleiben. Diese Genugtuung will ich den Paparazzi nicht geben. Das würde einen Wirbelsturm in den sozialen Medien auslösen.

      Außerdem habe ich eine Menge zu sagen. Für mich ist es ein ganz wichtiger Augenblick, vielleicht der wichtigste in meinem Leben, sieht man von der Geburt meiner Kinder ab. Der letzte Tag des Zehnkampfs in Montreal, als sich entschied, ob ich entweder die Goldmedaille gewinnen oder als Nichts und ohne Gold nach Hause zurückkehren würde, ohne etwas für die zwölf Jahre harten Trainings vorweisen zu können, verblasst im Vergleich. Das hier ist mein Leben, kein Sport­ereignis.

      Die Trans-Community hat mit mir bereits ihre Probleme, dabei zähle ich gerade erst seit vier Monaten dazu. Alle, die ihr angehören, sind wunderbar, aber es gibt auch sehr harte, kritische Meinungen, und das ist manchmal frustrierend und kräftezehrend. Es heißt bereits, ich wäre nicht „repräsentativ“. Das würde ich sicher auch nicht bestreiten, obwohl mir ein solches Urteil sehr feindselig, ausgrenzend und kontraproduktiv vorkommt, was unser gemeinsames Ziel angeht, denn schließlich kämpfen wir ja auch darum, dass die Gesellschaft nicht mehr ständig bedeutungslose Schlagworte wie „repräsentativ“ verwendet. Eigentlich wollen wir doch alle dasselbe. Jedenfalls theoretisch.

      Aber man mag dazu stehen, wie man will – heute Abend bin ich für all jene, die noch nie eine Transfrau oder einen Transmann gesehen haben, das Gesicht der Transgender-Community. Und der erste Eindruck ist ja oft der entscheidende. Wenn ich mich hier blamiere, wird das der Bewegung schaden. Und ich hätte eine der seltenen Gelegenheiten verschwendet, uns alle, die wir anders sind, sichtbar zu machen und dafür zu kämpfen, dass wir in unserem Anderssein bestätigt und nicht in den Untergrund verbannt werden.

      Jedenfalls hat der Streit um meine Person schon vor der Verleihung der ESPY-Awards begonnen. ESPY steht für Excellence in Sports Performance of the Year, also für eine herausragende Leistung im Sport, und ich soll den Arthur Ashe Courage Award bekommen, der nach dem großen, sympathischen Tennisstar benannt ist, der 1993 an AIDS starb. Das ist eine große Ehre, zumal ich Ashe sehr bewundere, ebenso wie die früheren Preisträger: Muhammad Ali, Billie Jean King, Tommie Smith, John Carlos, Nelson Mandela und Robin Roberts.

      Soweit, so einfach.

      Dass dies Caitlyns erster öffentlicher Auftritt überhaupt ist, das allein ist schon beängstigend genug. Und dann findet er noch vor den Augen der Sportwelt statt, aus der ich komme. Und vor vielen Millionen Zuschauern an den Fernsehschirmen. Glaube ich, diesen Preis verdient zu haben? Ganz sicher nicht. Aber eine solche Ehre würde wohl auch СКАЧАТЬ