Kontrolle. Frank Westermann
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kontrolle - Frank Westermann страница 6

Название: Kontrolle

Автор: Frank Westermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Andere Welten

isbn: 9783862871803

isbn:

СКАЧАТЬ ich aufwachte, schien die Sonne. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die meisten Gebäude jetzt so hoch gebaut wurden, dass die Sonne keine Chance hatte, dazwischen durchzuscheinen. Aber hier mussten sie eine Lücke gelassen haben - wohl ein Konstruktionsfehler. Ob der Chef-Architekt deswegen degradiert worden war?

      Ich hatte reichlich fest und tief geschlafen.

      Nur langsam kamen die Erinnerungen an den letzten Tag hervor. Ich schüttelte ungehalten den Kopf. Ein andermal! Jetzt war ich wirklich nicht in Stimmung, darüber nachzudenken.

      Neben mir vernahm ich die regelmäßigen Atemzüge von Lucky. Vorsichtig, um ihn nicht aufzuwecken, stützte ich mich auf meinen linken Arm und sah ihn an. Aber es war gar nicht Lucky. Es war Flie, die neben mir lag. Schon wieder eine Überraschung. Aber diesmal eine schöne, freudige. Ich hatte das Gefühl, als würde ich mit einer Gewaltkur aus meinem Gewohnheitstrott herausgerissen. Trotzdem war ich mir nicht sicher, ob es ausreichen würde.

      Es sah aus, als hätte sich Flie im Schlaf in ihr Haar eingewickelt. Ihr Mund hatte sich zu einem kleinen Lachen verzogen. vielleicht träumte sie gerade was Angenehmes. Ich hatte nichts gemerkt, als sie zu mir ins Bett gekrochen war. Ich dachte kurz an die Zeit zurück, als wir näher und öfter zusammen waren. Mir fiel nur ein, dass sie oft verrückte Ideen im Kopf hatte und dass wir uns manchmal gestritten hatten, dass die Fetzen flogen.

      Ich sah auf Luckys Uhr auf dem niedrigen Tisch neben dem Bett. Es war noch nicht so spät, wie ich gedacht hatte. Ob Flie noch immer diese blöde Schule besuchte? Dann hatte sie wohl Ferien.

      Und wieder musste ich daran denken, was ich aus mir machen sollte. Ich war mir irgendwie sicher, dass ich es nicht aushalten würde, noch längere Zeit hier zu leben. Wenn man bloß irgendwie raus könnte! Mit ein paar Freunden. Außerdem brauchte ich dringend Geld. Ich hatte Schulden. Und dann wollte ich mir zwei oder drei bestimmte verbotene Bücher beschaffen. Ich kannte einen Typen, der welche vertickte, nicht weil er damit eine Überzeugung oder so verbreiten wollte, sondern weil es ihm nen Haufen Bucks einbrachte. Ich erinnerte mich, dass ich Lucky fragen wollte, ob er ein Buch verstecken konnte, das ich bei mir trug. Andere hatte ich draußen gelassen. Draußen … Ob ich jemals wieder so einen

      Platz finden würde? Ich hatte Ruhe gehabt und Zeit. Aber es war auch nichts auf die Dauer.

      Flie bewegte sich leicht und legte im Halbschlaf den Arm um meinen Nacken.

      »Komm her, Speedy. Du siehst so traurig aus.«

      Das stimmte wahrscheinlich. Aber nun hatte ich wirklich keine Lust mehr, über irgendwas nachzudenken. Ich begriff nur, dass sich zwischen uns nicht so viel geändert hatte, wie ich angenommen hatte. Ich kuschelte mich an sie und eine Welle von Wärme und Zärtlichkeit breitete sich aus. Zeit und Gegenwart verschwammen und hatten keine Gültigkeit mehr.

      Es wurde ein glücklicher, beruhigender Tagesanfang. Ich hatte mich lange Zeit nicht mehr so wohl gefühlt. Welch ein Unterschied zu gestern, dieser Verwirrung und Niedergeschlagenheit! Da kam ich wirklich nicht so recht mit. Und trotzdem konnte ich mir vorstellen, dass meine Stimmung ebenso plötzlich wieder umschlagen konnte.

      Irgendwann kam Lucky rein, setzte sich zu uns, nahm uns in die Arme und fragte, ob wir mit frühstücken wollten. Wir standen dann langsam auf, und ich glaubte, dass ich mich in Flie immer wieder verlieben konnte, ein unheimlich gutes, befriedigendes Gefühl. Wir hatten mal darüber gesprochen, und sie meinte, dass es ihr auch so ginge. Und so war die Beziehung wie eine immerwährende Wiederkehr zueinander.

      Die Barriere von Misstrauen, Neid, Eifersucht und Konkurrenz hatte ich eigentlich ziemlich schnell überwunden, weil es sie unter diesen Leuten hier nicht gab. Das ganze Hin und Her um Zweierbeziehungen, Besitzansprüche, mit wem man schläft und mit wie vielen, konnte mich auch reichlich ankotzen. Nachdem ich das einmal durchgespielt hatte, reichte es mir für immer. Die Gesellschaft tolerierte alle Arten von Beziehungen offiziell. Aber unter der Hand waren Ehe und Zweierbeziehungen nach wie vor erwünscht. Niemand sagte etwas gegen Vielbeziehungen oder Kommunen. Aber man bekam die Benachteiligung auf andere Art zu spüren. Man erhielt nicht so schnell einen Job, kriegte weniger Geld als andere für die gleiche Drecksarbeit. Und man wurde von den ganzen gesellschaftlichen Etiketten, Traditionen und Zeremonien ausgeschlossen, was uns natürlich wenig kratzte, aber für viele ein Grund war, sich den Standardnormen zu unterwerfen. Denn ein Outsider lebt nicht besonders angenehm.

      Die Kirche dagegen hatte kaum noch Einfluss, seitdem die Regs alles in die Hände genommen hatten. Das hatte wenigstens uns geholfen, veraltete Moral- und Lebensvorstellungen über den Haufen zu werfen. Denn wir hatten sowieso nicht vor, uns in irgendeiner Weise zu etablieren.

      Wahrscheinlich war die Sexualerziehung nicht mehr so verklemmt wie vor dem Krieg, aber in einer solchen Gesellschaft ist Sexualität natürlich eine beliebte Ware und so blühte das Geschäft mit dem Sex und männliche und weibliche Prostitution standen hoch im Kurs. Von Liebe Zärtlichkeit und Gefühlen blieb dabei natürlich nicht viel übrig.

      Unter Leuten in unserem Alter war es weiterhin üblich, Zweierbeziehungen einzugehen, allerdings oft ohne Ehe. Aber was besagte das schon. Die Eingeengtheit, Stumpfsinnigkeit und eingefahrenen Gewohnheiten machten sich genauso breit und lähmten jegliche Neugier und Erfahrungsmöglichkeit - sehr im Sinn der Regs und ihrer Bürokratie.

      Wir waren Außenseiter - eine geduldete Minorität -, weil wir diese Tretmühle und die Scheinsicherheit in dieser Form des Zusammenlebens grundsätzlich ablehnten. Es klappte natürlich auch bei uns bei Weitem nicht alles - es war eben wahnsinnig schwierig seine Gefühle unter Kontrolle zu haben und gleichzeitig auszuleben -, aber immerhin besser als das sogenannte normale Gefühlsleben. Was wir im Großen und Ganzen überwunden hatten, waren Konkurrenzkisten und Eifersucht, großartige Szenen, in denen sich jeder beweisen musste, und die Brutalität einer eheähnlichen Lebensweise. Ich hatte den Kram ja mal praktiziert, und mir wurde schlecht vor mir selbst, wenn ich daran dachte.

      Da wir mit mehr Leuten engen Kontakt hatten, waren wir sensibler geworden, empfänglicher für andere Gedanken und Handlungen, wir verstanden einander besser und konnten uns mehr aufeinander einstellen. Wir lernten viel mehr Anschauungen, Ideen, Lebensweisen, Fantasien kennen als der Durchschnittsbürger. Während meiner Studiumszeit an der Hohen Universität hatte ich oft mit Leuten diskutiert, die den Normen entsprachen und sie verteidigten. Das ganze Geschwafel, dass man sich eben nur auf eine Person konzentrieren könnte, eine besondere Geborgenheit brauchte, darum auch nur eine(n) lieben könnte und so weiter, durchschaute ich jetzt als mühsame Verteidigung vorgelebter Erfahrungen, alles schon etliche Male und Generationen vorexerziert, ohne jeglichen neuen Erfahrungswert für jemanden, der sich nicht an die überlieferten Schemata zu halten gedachte, teilweise mit einem progressiven Touch (»du kannst auch ruhig mit nem anderen Typen schlafen«), und teilweise ebenso verlogen, wenn man sich die Praxis der Leute ansah, die mit so vielen und nichtssagenden Worten um sich warfen. Ich hatte die Lebensgewohnheiten dieser Klugscheißer kennengelernt, ihre versteckten Streitereien, ihre nur notdürftig verborgene Geilheit auf andere Frauen und Typen, den wöchentlichen Gruppensex und seine wissenschaftliche Begründung, die Konkurrenten, die sich am liebsten duelliert hätten, und es sehr hinterhältig und versteckt auch taten, die Gutgläubigen, die immer eins aufs Dach kriegten, weil sie die Spielregeln nicht beherrschten, die dummen Mitspieler und die Leidenden (oft Frauen), die Macker und Regisseure, immer potenzkräftig, problemlos und modern gekleidet, die Redner und Zuhörer, die Zupacker und die Always Loser -, bis der morsche Bühnenboden unter mir krachend nachgab, und Unwissenheit und Unsicherheit meine sicheren Begleiter wurden.

      Dafür waren wir Ausgestoßene. Die Regs wussten, welches Potenzial in uns stecken konnte, in den Fragen, auf die es keine Antwort gab. Sollte es zum Vorschein kommen, würden wir radikal bekämpft werden. Es gab eine ungeschriebene, unausgesprochene Grenze, bis zu der wir uns bewegen durften. Und СКАЧАТЬ