Kontrolle. Frank Westermann
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Название: Kontrolle

Автор: Frank Westermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Andere Welten

isbn: 9783862871803

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СКАЧАТЬ an, die dem Raum ein warmes, gemütliches Licht gaben. Hinten links lagen mehrere bezogene Matratzen mit einer bunten Decke auf dem Boden - Flies Bett -, davor lag ein weicher, brauner Teppich. Eine VID-Kompakt-Anlage, einige persönliche undefinierbare Gegenstände und eine wuchtige Holztruhe mit ihren Klamotten füllten das winzige Zimmer ganz aus.

      Wir setzten uns auf den Teppich und Flie stellte leise Musik an. Sie setzte sich mir gegenüber. Ihr langes, schwarzes Haar fing das Licht einer Kerze ein. Ich kannte sie schon lange, länger als Lucky oder Stucker. Und ich war vor einigen Jahren ne ganze Zeit mit ihr zusammen gewesen. Noch bis vor Kurzem hatten wir manchmal Tage und Nächte gemeinsam verbracht, bis ich mich von allem zurückzog.

      Lucky war vor ungefähr vier Monaten aufgetaucht und einer ihrer besten Freunde geworden - und einer von meinen, wenn nicht überhaupt der beste, einzige. Er war hier eingezogen, nachdem die vorige Bewohnerin ihr Leben durch einen Sprung von der grünen Mauer beendet hatte. Ich hatte sie nicht gekannt, aber die Nachricht von ihrem Tod rief in mir wieder all die Gedanken über Selbstmord hervor, die ich schon tausendmal im Schädel gehabt hatte. Es führte zu nix, außer dass ich einige Tage wie besoffen in den Straßen rumhing. Im übrigen war die grüne Mauer natürlich nicht grün. Sie war nur von irgendwelchen Leuten so genannt worden, um an Gras und Pflanzen zu erinnern. Ich hatte noch nie Gras gesehen und ich glaubte auch nicht, dass es noch welches gab.

      Mit Lucky hing ich damals oft zusammen. Tagelang waren wir sozusagen unzertrennlich. Er konnte einfach auf Leute eingehen, wie ich es noch nie erlebt hatte. Und er hatte ähnliche Gedanken im Kopf wie ich. Wir erzählten uns gegenseitig, wie wir uns ein besseres Leben vorstellten und lauter so 'n Zeug. Wir packten Sachen gemeinsam an, die keiner von uns allein geschafft hätte. Er half mir, manchen Job durchzustehen. Ich besuchte ihn oft in der Bibliothek. Es konnte uns natürlich nie gelingen, eine alternative Lebenspraxis zu entwickeln. Das waren halt immer nur Überlegungen. Bis ich es dann nicht mehr aushielt und alles hinschmiss. Lucky konnte da etwas mehr ertragen. Er hatte auch einen nicht allzu schlechten Job.

      Ich hatte dann weder Wohnung noch Arbeit. Ich konnte eben die Wuchermiete ohne Arbeit nicht bezahlen. Der Staat aber ließ einen nicht verhungern. Das passte nicht in das Image einer Wohlfahrtsstadt. Er war so großmütig, dass er jedem erlaubte zu leben - unter seinen Bedingungen. Bloß wie soll man mit 300 Bucks im Monat auskommen. Das war gerade so viel, dass man nicht verhungerte. Und so arbeitete man eben meistens lieber.

      Aber ich konnte nicht mehr arbeiten, nicht in den riesigen, brutalen Maschinenhallen. Und was anderes kriegte ich nicht ohne so ne Scheiß Uni-Ausbildung. Da nahm ich doch lieber den entmenschlichenden Gang zum Wohlfahrtsamt auf mich und bettelte um das Geld, um mich so gut ich konnte durchzuschlagen. Jedes Mal machten mich die Verwaltungstypen an, dass sie mir gar kein Geld zu geben brauchten. Ich hätte ja selbst Schuld, dass ich mein Studium aufgegeben hätte. Und wenn ich schon nicht studieren würde, sollte ich wenigstens arbeiten. Sie saßen da lässig zurückgelehnt in ihren Stühlen, laberten gnädig wie Pfaffen, elende Arschkriecher. Sie wussten genau, dass sie Menschenleben entscheidend beeinflussen konnten, dass die Leute, die zu ihnen kamen, von ihnen abhängig waren. Und so zwangen sie einen, ihre Predigt bis zum Schluss anzuhören, nichts dagegen zu sagen, nur stumm zu nicken, sich selbst zu verleugnen. Widerlich!

      Gerade das mit der Uni hatten kaum Leute verstanden. Denn mit so einer Ausbildung hätte ich ja selbst einer von diesen Blutegeln werden können. Oder vielleicht Oberaufseher in einer Fabrik, immer vergnügt die Leute zur Arbeit anhaltend. Oder Jurist, um einen Computer um Gnade für einen Systemschädling anzuflehen. Oder Architekt, um einen prunkvolleren Regierungspalast zu entwerfen. Oder … nein danke. Das reicht wohl. Und man kann sich vorstellen, mit was für Leuten ich da zusammengekommen bin. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich es eigentlich geschafft habe, mich von dieser erlauchten Gesellschaft abzusetzen. Ich hatte ja damit nicht nur einen Beruf verloren, sondern gleichzeitig alle Rechte. Als Abschaum der Gesellschaft wird man von niemandem akzeptiert außer von denen, die auch in dem Schaum rumspülten.

      Tja, so waren mal wieder die Gedanken mit mir durchgegangen. Lucky hatte längst Bier aus seinem Zimmer geholt. Eine leichte Unterhaltung über Gott und die Welt war in Gang gekommen. Ich erfuhr, dass das fremde Mädchen Yuka hieß und das Glück hatte, in einem der Randbezirke im Büro zu arbeiten. Ich beteiligte mich kaum an dem Gespräch, denn ich war eigentlich schrecklich müde und überlegte dauernd, ob ich mich in Luckys Zimmer schlafen legen sollte.

      Und dann geschah auf einmal etwas Merkwürdiges mit mir.

      Ich lehnte an der Wand und hatte plötzlich den Eindruck, als ob sie nach hinten wegkippte. Ich fand keinen Halt mehr und fiel hintenüber. Mir kam flüchtig der Gedanke, dass irgendein Dope im Bier gewesen war, aber ich verwarf das sofort wieder, da ich keinem hier so was zutraute. Ich versuchte mich aufzurichten - vergeblich. Ich steckte irgendwie in einer dicken, zähen Suppe. Ich konnte weder rufen noch mich sonst irgendwie bemerkbar machen. Ich kriegte furchtbare Angst, da ich mir das alles nicht erklären konnte. Dann verschwand auch noch die gewohnte Umgebung, und ich sah nur noch ein milchigweißes Flimmern.

      Und dann hörte ich auch noch Stimmen. Stimmen, die ich noch nie vorher gehört hatte. Ich dachte, ich würde durchdrehen. Von dem, was sie sagten, verstand ich immer nur einzelne Satzbrocken, weil sie manchmal so leise waren, dass sie bis auf ein Flüstern erstarben. Ich hörte:

      »… funktioniert … wenig … Energie … sichtbar machen.«

      Und die zweite Stimme;

      »… Unsinn … nichts … anfangen … vor dem Rat.«

      Es machte mich stutzig, dass vom Rat die Rede war, denn so nannte sich die Regierung.

      Ehe sich mein Kopf noch weiter vernebelte, verschwand der ganze Spuk wieder und ich rappelte mich mühsam auf.

      »Bist du eingeschlafen?«, fragte Flie.

      Ich schüttelte vollkommen benommen den Kopf.

      »Leg dich doch zu mir rüber. Ich muss morgen erst später hin. Wir können dann noch zusammen frühstücken.«

      Das ließ ich mir von Lucky nicht zweimal sagen. Es war auch das Beste, was ich jetzt tun konnte. Mein Kopf fühlte sich an, wie ein Feuerwerk. Und dieser Spuk war richtig unheimlich gewesen. Er hatte den Eindruck hinterlassen, als hätte ich das alles nicht nur gefühlt und gehört, sondern mit dem ganzen Körper aufgenommen. Und das war trotz aller Angst ein gutes Gefühl gewesen. Es war heute einfach zu viel geschehen. Ich war unheimlich froh, als ich auf Luckys Bett lag. Ich brachte es gerade noch fertig, meine Klamotten auszuziehen, bevor ich einschlief.

       I am a man who looks after the pigs

       Usually I get along okay.

       I am man who reveals all he digs,

       Should be more careful what I say.

       I'm getting put down,

       I'm getting pushed round,

       I'm being beaten every day.

       My life's fading,

       But things are changing,

       I'm not gonna sit and weep again.

      The Who - »The Dirty Jobs«

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