Название: Blanchisserie oder Von Mäusen, Moder und Literatursalons
Автор: Jurgis Kuncinas
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Literatur aus Litauen
isbn: 9783898968560
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In der Zwischenzeit hatte Nabė mit ihren scharfen Nägeln den mürben Stoff des Sacks aufgerissen, schob ihren dünnen Arm bis zum Ellbogen heraus und bald darauf auch den zweiten; sie hatte immer noch zwei. Sie klatschte mit ihren pergamentenen, perlmutternen Händen und begann zu schaukeln, ruhig und würdig, freiwillig und vorsätzlich. Jetzt begehrte ich sie.
Die Nachbarn hatten genug von diesem Spektakel, obwohl es kostenlos war, und zerstreuten sich. Dafür torkelte der betrunkene Maurer der fünften Kategorie Zepas Išganytojas auf dem Weg zu unserem Plumpsklo an uns vorbei, machte kurz Halt und knöpfte hastig seine Arbeitshosen auf. Seine Knie zitterten bereits vor Ungeduld, aber trotzdem überhäufte er mich mit Vorwürfen: »Warum machst du das? Warum quälst du unschuldige Tiere?« Er hielt Nabė für eine Katze. »Sind sie keine Geschöpfe wie wir? Kitzle sie, und sie lachen. Erschrecke sie, und sie weinen!« Zepas Išganytojas stampfte mit dem Fuß auf, aber da ertönte es auch schon wie fernes Donnergrollen. Er konnte sich nicht mehr beherrschen, flüchtete wie von der Tarantel gestochen in das Klohäuschen, schloss sich rasch ein, und während er bereits über der offenen Kloake hockte, rief er: »Lass sofort die Katze frei, hörst du!« Er stampfte noch einmal auf eines der fauligen Bodenbretter, und wieder rollte der Donner, aber diesmal schon etwas matter.
Was sollte ich tun? Ich musste an Rudyard Kiplings Werk »Der Schmetterling, der stampfte« denken, so viel Kunst und Literatur heute Abend, und mit dem gesamten Hof und dem Himmel als Publikum! Die Situation war unerfreulich, daran war nicht zu rütteln.
»Bleiben Sie sitzen, wo Sie sind!«, rief ich auf die kalkverschmierte Tür zu, die von der Besatzungszeit her immer noch den russischen Buchstaben »Ž« für »Frauen« trug. Zepas Išganytojas – allein der Geheimdienst MGB kannte seinen echten Vor- und Nachnamen – furzte nur noch schwach und rief nicht mehr den Effekt von Kiplings Schmetterling hervor, bevor er tatsächlich vorübergehend verstummte.
Eigentlich hatte ich durchaus vorgehabt, Nabė herunterzuholen, mochte sie in den glitschigen Hanf- und Wegerichpflanzen herumliegen! Aber dieser Teufelsbraten fühlte sich in dem Sack inzwischen ganz in seinem Element und hatte mitnichten vor herauszukriechen, schließlich hatte sie es dort warm und gemütlich. Also reckte und streckte sie sich, schlief ein und schnarchte sogar ein bisschen, eine Zikade des Nordens in einem Hof in Žvėrynas!
Zepas Išganytojas hockte immer noch hinter der Tür mit dem russischen »Ž«, offenbar dachte er ernsthaft über etwas nach.
Der letzte Zuschauer war meine Frau Terezija, die ihren üblichen Gogel-Mogel mixen und sich noch einmal die Haare waschen wollte. Sie wusch sich mindestens zweimal am Tag die Haare, das hatte ihr Krishna im Traum geraten, außerdem wurden angeblich auch die Gedanken durch das Shampoo aufgeschäumt und erhellt. Wenn Terezija die anständige Vertreterin der mitteleuropäischen Mentalität und Lebensart war, dann hätte man Nabė mit einem Menschen vergleichen können, der als Säugling von Wölfen aus einem mittelasiatischen Dorf geraubt und in einer Bärenhöhle gesäugt worden war und dem die Menschen erst später Sprechen und Essen mit dem Löffel beigebracht hatten. Jetzt schnarchte diese Wölfin wie eine Zikade, und ich blieb allein mit dem schlafenden Raubtier zurück. Die Yacht von Maironis näherte sich unendlich langsam, vielleicht hatte der Wind gedreht?
Aus dem Klohäuschen ertönten noch ein paar heftige Fürze von Zepas Išganytojas, als wolle er daran erinnern, dass er noch am Leben sei, aber da zog schon ein kräftiger Mann meine Aufmerksamkeit auf sich, der auf den Hof getorkelt kam. Er trug einen dichten Bart und eine ärmellose Zeltstoffweste, und auf einer der vielen Taschen war ein Abzeichen mit der Aufschrift »Human right« aufgenäht, auf dem zwei kräftige Hände Ketten zerrissen. Der Menschenrechtsbeauftragte für ganz Žvėrynas und Užupis also, ein bekannter Künstler, Chirurg und Wohltäter. Er war ganz offensichtlich angetrunken und bestimmt nicht nur mit zornigen Worten gegen die Unterdrücker gewappnet, sondern auch mit einer anständigen Mauserpistole. Zum Glück schnarchte Nabė immer noch und schaukelte weiter in ihrem Sack, und der Human-Right-Aktivist interessierte sich kaum für sie. Er war versöhnlich aufgelegt, zog eine angebrochene Flasche Wein hervor und deklamierte ein wenig aus seinem neuesten Opus, bevor er sich aufs Gras warf und ebenfalls einschlief.
Ich sehnte mich danach, allein zu sein, die Ereignisse und die Lage in Žvėrynas in Gedanken an mir vorbeiziehen zu lassen und vielleicht auch unter irgendeinem Vorwand Grand Trix aufzusuchen, die auf der anderen Straßenseite lebte, und mich nach den Seufzern von Leonardo Cohen zu erkundigen, aber Pustekuchen! Der Menschenrechtsaktivist schnarchte so laut, dass selbst noch in der Treniotos gatvė die Elstern aus ihren Nestern emporflatterten und Nabė im Schlaf zu sprechen begann.
»Schatz«, brabbelte sie, »warum liebst du mich so furchtbar? Warum? Weshalb hast du mir damals diese Clips nicht gekauft? Oder diese Jeans?«
Es bot sich folgendes Bild: Von dem jungen Ahornbaum fielen goldene Maikäfer auf Nabė und auf den schlafenden Kämpfer für Menschenrechte herab, und Zepas Išganytojas kam endlich aus dem Klohäuschen heraus und verkündete lautstark im Vorbeimarsch: »Die Tschetschenen haben gerade Gudermes eingenommen!«
»Geh kacken!«, wollte ich ihm entgegnen, doch da fiel mir ein, dass er das schon getan hatte.
Nabė schlug ihre Augen auf, drehte sich im Sack um und begann, mit ihren mandelförmigen Augen den Himmel zu betrachten, der rötlich gefärbt war wie eine halbreife Pflaume. Eine Fregatte nahm die Yacht von Maironis unter Beschuss, und die in der Ferne hallenden Schüsse weckten Ksaveras, das war dieser Menschenfreund und Kämpfer, und er begann, mit herzzerreißender, hoch erhobener Stimme von der Lage in den Gefängnissen der Republik zu erzählen: »Wie Ratten pfercht man die Häftlinge dort zusammen und wirft ihnen Abfall vor!« Dann murmelte er ganz unvermittelt, dass er morgen gar vorhabe, Tibet vom verbrecherischen chinesischen Joch zu befreien, und bat mich, ihm sieben Litas und eine Automatik zu borgen. Ich zuckte zusammen, als ich dieses Wort vernahm, aber er winkte ab und erzählte bereits irgendetwas über die Gesundheit eines Poeten, den er soeben besucht habe und der auf Schmerz spezialisiert sei, und über seinen Familienstand. Ich solle ihm helfen, am besten mit Tee und Tabak, was ich davon hielte? Ksaveras war wirklich ein universell begabter Mensch, und so legte er mir seine Ansichten über die Anhänger von Smetonas, von Landsbergis und von Erlickas dar, erläuterte seine unerschütterliche Auffassung über Leberzirrhose und die Rolle der »Sergeanten« im Krieg der Literatur, beklagte sich über die skandalöse Ignoranz der Akademie der Wissenschaften gegenüber seinen Werken, und am Ende rief er so laut »ich will Bier«, dass sogar Nabė zusammenzuckte.
»Was ist denn das da?«, fragte Ksaveras erstaunt, als er den zappelnden und strampelnden Sack bemerkte.
»Ach, nichts«, antwortete ich. »Ich habe mir da so ein merkwürdiges kleines Tierchen gezähmt. Und falls du es schon so genau wissen willst: Hier ist der Abend in Žvėrynas auf dem Vierwaldstätter See.«
»Gut«, erwiderte Ksaveras. »Darum kümmere ich mich später.« Und er verlangte so heftig nach Bier, dass ich Pirštinė in den 24-Stunden-Laden schickte. Er kippte zwei Flaschen in einem Zug hinunter und schlief wieder ein, während sich Nabė aus dem Sack herauswand, unverschämte Forderungen erhob und Flüche gegen Türken, Berliner, Philosophen und überhaupt gegen all jene vom Stapel ließ, die sie jemals kennen gelernt hatte. Ich überlegte, ob ich sie zur Polizeiwache bringen und mitsamt dem Sack durchs Fenster werfen sollte, mitten in das Sonettkränzlein hinein, aber das Polizeikollektiv würde über einen solchen Streich wohl kaum in Begeisterungsstürme ausbrechen. Da bekam ich eine gute Idee: Ich würde sie als Paket verschicken! Und so versah ich den Sack notdürftig mit Aufklebern »Par Avion«, »Mit Luftpost«, »By Air Mail« und »Express«, um ihn tags darauf aufzugeben. Das Postamt war nicht weit, und ein bekannter Flieger würde schon am nächsten Morgen zum Vierwaldstätter See fliegen, hin zur ewigen Poesie. Ein Wasserflugzeug konnte auch auf den Wellen landen, wenn es welche gab, weich, wie eine Glucke auf ihren Eiern, und es würde auf dem Rückflug den weinenden Maironis СКАЧАТЬ