Blanchisserie oder Von Mäusen, Moder und Literatursalons. Jurgis Kuncinas
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Название: Blanchisserie oder Von Mäusen, Moder und Literatursalons

Автор: Jurgis Kuncinas

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Literatur aus Litauen

isbn: 9783898968560

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СКАЧАТЬ Schnösel knirschte vor Zorn mit seinen gesunden Zähnen, aber ich sah, wie seine Knie zitterten, und überlegte, ob er wirklich niederknien würde. Sicherlich strömten gerade all seine vier Liter Blut in seinem Gehirn zusammen.

      »Marija!«, rief ich aus, wobei ich sie zum ersten Mal mit ihrem echten Namen anredete, »Marija, demütige diesen Menschen nicht, ich verzeihe ihm!« Und ich legte ihm die Hand auf seine Igelfrisur: »Absolvo te …«

      Aber Bul Bul hörte mir gar nicht zu, sondern sah sich schon nach einer Peitsche um: »Ich verprügle dich auf der Stelle! Nieder mit dir, du Stinkstiefel! Du bist nicht stehen geblieben, obwohl ich das Steuer herumgerissen habe, und du hast dich über ihn lustig gemacht, Gott ist mein Zeuge!«

      Ich trat zwischen den Lump, der mit gesenktem Kopf auf dem Boden kniete, und Bul Bul, die mit einer Leine ausholte, und schlug vor: »Soll er mir doch lieber seine Stiefel geben, dann erfährt er wenigstens am eigenen Leib, was es bedeutet, barfuß unterwegs zu sein!« Ich wollte mir seine Schuhe anziehen und gehen, vielleicht zu Petrošius, ich hatte gesehen, wohin er mit seiner Klapperkiste gebrummt war. Aber zur großen Freude von Petručijo und zu meinem Leidwesen stellte sich heraus, dass mir die Schuhe um vier Nummern zu groß waren. Die Miene des Schnösels hellte sich auf, offenbar hing er an seinem Schuhwerk, und so zerrte er mich glücklich zum Tisch und häufte mir Salat, Hering und Pilze auf den Teller, als gehöre alles ihm und nicht dem armen Lelešius. Der aber achtete gar nicht darauf, sondern dachte über den Sinn des Daseins nach. Laut sagte er: »Ich bin nicht gebildet, und ich werde nie in der Stadt leben können, aber die hier«, er stieß seine Tochter an, »hört nicht auf, mich zu bedrängen: ›Komm, wir verkaufen das Haus und ziehen nach Kaunas.‹ Und jetzt auch noch nach Vilnius, was für eine Schnapsidee! Hier ist es doch wunderbar flach und schön, es stinkt nicht, und wenn es stinkt, dann ist es der Misthaufen und kein Benzin. Ach, der Petručijo, der will nirgendwohin ziehen, stimmt’s?«

      »Nirgendwohin«, rief der Knabe aus tiefstem Herzen. »Niemals! Schließlich gibt es hier genug Mädchen …« Er verhaspelte sich und schaffte es gerade noch rechtzeitig, das Thema zu wechseln. »Außerdem ist eine Garage da, und man hat Gesellschaft. Was soll man in der Stadt? Bis Kaunas ist es doch nur ein Katzensprung.«

      »Lassen Sie die Finger davon, Lelešius«, stimmte ich zu. »Warum sollten Sie wegziehen? Hier haben Sie einen Garten, und der Petručijo, der schließt Sie an die Kanalisation an, legt Ihnen Wasser ins Haus, und schon leben Sie wie in Philadelphia!«

      »Waren Sie schon einmal in Philadelphia?«, fragte Petručijo beeindruckt.

      »Nöö«, sagte ich gedehnt. »Aber ich kann mir ungefähr vorstellen, wie man dort lebt. Auf jeden Fall gibt es eine Kanalisation.«

      »Ha!« Petručijo sprang auf. »In Rūda kommt das Wasser auch aus dem Hahn, aber hier ist das etwas Besonderes!«

      Als ob das jetzt so wichtig wäre! Vielmehr zerbrach ich mir den Kopf darüber, was ich mir jetzt an die Füße ziehen sollte, denn ich hatte keine Lust, barfuß zurückzukehren. Bul Bul legte sich mit dem glücklichen Petručijo auf das Sofa im selben Zimmer, und die beiden kicherten und streichelten sich, während Lelešius und ich langweilige Gespräche über vergangene Zeiten und Baltistan führten. Dann sahen wir den neuesten Verbrechensbericht im Fernsehen an und kamen gemeinsam zu dem Schluss, dass unser Vaterland immer weiter verrohe, aber währenddessen schweiften meine Gedanken immer wieder in Richtung Schuhwerk ab, und so erinnerte ich schließlich Lelešius daran, dass er seinem Gelübde entronnen sei: »Sie haben doch versprochen, mir Schuhe zu leihen. Ich gebe sie im Dekanat zurück.«

      »Na!« Lelešius ärgerte sich über sich selbst. »Wie konnte ich das bloß vergessen? Aber das erledigen wir morgen, jetzt ist Schlafenszeit. Hau dich hin, neben Marija.«

      »Nein danke, Lelešius. Ich fahre.«

      Lelešius fand für mich doch noch ein Paar ganz erträglicher Stiefel und zwei fast saubere Fußlappen, hängte mir seinen Bauernrock um und begleitete mich durch den Garten. Dann füllte er seine Mütze ganz mit Pflaumen, gab sie mir und legte noch eine Halbliterflasche von dem in Suvalkija hoch geschätzten einheimischen Schnaps »Tėviškės dumas« hinein. »Folgen Sie immer der Landstraße, dann kommen Sie zur Fernstraße. Gute Reise!«

      Und dabei hätte ich jetzt in Fräulein Lelešiūtės Armen dahinschmelzen können, dachte ich, während ich durch den Staub schlurfte. Ich hätte in frühreife Äpfel beißen, das Leben genießen, malen, schreiben und hemmungslos faulenzen können, aber nein, stattdessen lief ich einsam und allein durch die Nacht, wenn auch nicht mehr barfuß. Aber ich schaffte es immer noch nicht, traurig zu werden, denn neben mir hielt ein italienischer oder schwedischer Superlastwagen. Die Fahrerkabine war hell und warm wie die Küche von Lelešius, und der Fahrer war jung und schön und hatte weiße Zähne. Neben ihm saß ein Mädchen, das nur Shorts anhatte, und sie erzählte mir, dass sie auf der Route Berlin – Kaliningrad – Minsk und noch weiter unterwegs seien. Es fiel mir schwer, die Augen von ihr abzuwenden: Ihre nackten Brüste waren fest wie Kohlköpfe, und auf dem Unterarm hatte sie eine Tätowierung, russisch, aber in gotischer Schrift: »Mama, hol mich zurück in deinen Bauch!«

      »Pass auf, dass dir nicht die Augen aus dem Kopf fallen«, sagte Gvido, der Fahrer, ruhig, »sonst reiße ich sie dir raus.« Dann lachte er schallend: »Das ist überhaupt nicht lustig, denn dann siehst du nicht, wohin du gehst, fällst von der Brücke und zertrümmerst dir den Schädel, was meinst du?«

      »Solche Dinger habe ich noch nie gesehen«, sagte ich und schlug die Augen nieder.

      »Zwanzig Dollar, und du kannst sie haben «, lachte Gvido.

      Ich stellte mich schlafend und fühlte mich blendend: Die Schuhe drückten nicht, der Rock war warm, und als wir eine Pinkelpause einlegten, gab ich eine Runde »Tėviškės dūmas« aus. Nataša nahm einen langen Zug direkt aus der Flasche, bis Gvido sie ihr wegnahm und ihr einen Schlag versetzte: »Du Nutte!«

      Gvido und Nataša waren ein schönes Paar, sie fuhren zwischen Syrakus und den Rentieren hin und her und verdienten gut. Gvido nahm noch einen Schluck, holte unter dem Sitz eine ganz kurze, fast spielzeugartige Automatik hervor und fragte: »Soll ich dich abknallen?« Und damit ich um Himmels willen nicht merkte, dass er sich einen Scherz erlaubte, feuerte er eine kurze Serie in die Sonnenblumen ab, die vor einem Gehöft schwankten. Peng, peng, peng! Die schweren Köpfe neigten sich und fielen zu Boden. »Ganz wie Menschen!«, rief Gvido begeistert.

      »Wie Menschen!«, stimmte die halbnackte Nataša fröhlich zu. Sie waren fast noch Kinder. Und sie lebten so grimmig. Jeden Tag Gefahren, der Weg und die Ungewissheit, was sie erwarten würde …

      Als wir uns Vilnius näherten, zog sich Nataša an, das hieß, sie warf sich irgendein Oberteil über, das nicht einmal bis zum Bauchnabel reichte, und Gvido wurde ernst. Er verzog seine dunklen Augenbrauen und befahl mir: »Nimm das Spielzeug da an dich, bis wir wieder zurückkommen. Bei unserer Rückkehr hole ich sie mir, dann bekommst du zwanzig Mäuse. Alles klar?«

      Zuerst weigerte ich mich. »Was soll ich damit? Ich habe keine Feinde. Das ist nicht nötig.«

      »Das ist sehr wohl nötig«, erklärte Gvido, »und zwar für mich.« Und er warf mir einen solchen Blick zu, dass ich sofort zustimmte.

      An der Pylimo gatvė stieß er mich aus der Fahrerkabine, gegenüber von der Pizzeria »Roma«. Eine ungemütliche Stelle, weiß Gott, aber unter dem Rock spürte ich die kühle Automatik. Sie war ruhig, doch fühlte ich mein Herz höchst unruhig unter dem Rock pochen.

      Damit mir der Weg durch die nächtliche Stadt nach Žvėrynas nicht zu lang wurde, beschäftigte ich mich mit sinnlosen Übungen aus der angewandten Linguistik. Ja, das war ein СКАЧАТЬ