Aufgreifen, begreifen, angreifen - Band 2. Rudolf Walther
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Название: Aufgreifen, begreifen, angreifen - Band 2

Автор: Rudolf Walther

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783941895843

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СКАЧАТЬ sind die Parolen, unter denen Ideologieproduzenten seither zum Halali blasen, weil Nation pur vielen noch zu schrill klang. Nach 1989 ist »Verantwortung« als Passepartout fürs Weltpolitische hinzugekommen. Im Namen der populistischen Dreifaltigkeit von »Identität«, »Normalität« und »Verantwortung« legen sie nun los, seit wir wieder »ein« Volk sind – von ganz rechts bis post-links.

      Zwar gestand Lübbe ein, dass bis 1968 »im Schutz öffentlich wiederhergestellter normativer Normalität« von den Nazi-Verbrechen außerhalb wissenschaftlicher Zirkel kaum die Rede war. Geschichte und Erinnerung (gar solche an Verbrechen, an denen Hunderttausende deutscher Männer beteiligt waren) hätten Wiederaufbau und Wirtschaftswunder nur behindert. Flächendeckende Verdrängung bestimmte die politische Kultur, bis die Studentenbewegung das »kollektive Beschweigen« (Lübbe) nationalsozialistischer Verbrechen am Nierentisch ziemlich abrupt beendete. Lübbe plädierte 1983 für eine »gemeinsinnsfähige moralische und politische Normalität« als Sicherung für »die Immunität einer politischen Kultur gegen die totalisierende Machtergreifung ideologischer Heilsgläubigkeit«. Praktisch lief die Beschwörung solcher »Normalität« auf die Empfehlung hinaus, die Verbrechen gemeinsinnsfördernd Verbrechen sein zu lassen und sich im Übrigen »so einzurichten, dass, wenn auch diese Gegenwart schließlich Vergangenheit geworden ist, sie dem zustimmungsfähigen Teil der Vergangenheit zuzurechnen sein wird«.

      Normalisierte Geschichte hat eine ziemlich späte Geburt. Die Normalisierung der Vergangenheit wurde gleichzeitig regierungsamtlich vorangetrieben. Kohl traf sich am 8.5.1985 mit Reagan im Konzentrationslager Bergen-Belsen und am gleichen Tag auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg. Gewaltsamer wurde nie versucht, Täter – und dazu gehörten auch Wehrmacht, Reichsbahn und Verwaltungen, ohne die das System der Lager nicht funktioniert hätte – und Opfer symbolisch zusammenzuzwingen. Dazu passte, dass der damalige Fraktionschef der CDU/CSU, Alfred Dregger, der Öffentlichkeit seine Sicht des Zweiten Weltkriegs verriet: Er präsentierte sich als ein Ehrenmann, der am 8.5.1945 in Marklissa (Schlesien) nichts anderes als den Westen gegen den Bolschewismus verteidigt habe. Schneidig. Ins Deutsche übersetzt: Die alliierten Truppen, die Europa von Westen her von der Barbarei befreiten, fielen Dregger und seinesgleichen in den Rücken – mitten im Kampf gegen den Bolschewismus. Notorisch waren in jener Zeit die Zurufe des Vernunft-Atlantikers und Herz-Jesu-Nationalisten F. J. Strauß, endlich die »Büßerhemden« auszuziehen, um aus dem »Schatten der Vergangenheit« herauszutreten.

      Stil und intellektuelles Niveau des übrigen Bonner Personals verschaffen dem Bundespräsidenten Weizsäcker einen Bonus, worüber er auch immer redet. Diesen Heimvorteil nutzte er trefflich mit seiner Rede zum 8.5.1985 und erhielt dafür viel Lob. Es gab jedoch in Weizsäckers Rede auch bedenkliche Stellen, etwa jene, in der er sich dazu verstieg zu behaupten, Hitler habe »das ganze Volk zum Werkzeug« seines Judenhasses gemacht und die industrielle Menschenvernichtung habe »in der Hand weniger« gelegen. Eine restlos trübe Passage war geeignet, den Revisionseifer der Historiker zu beflügeln: »Während des Krieges hat das nationalsozialistische Regime viele Völker gequält und geschändet. Am Ende blieb nur noch ein Volk übrig, um gequält, geknechtet und geschändet zu werden: das eigene, das deutsche Volk«. Die Deutschen als Opfer ihres eigenen Krieges? Wenn dem so wäre, gäbe es hierzulande nur noch Opfer. Weizsäckers abgründigen Satz verrät ein Webfehler: Die anderen Völker erscheinen gleichsam als Komparativ (»gequält und geschändet«), wir aber sind der Superlativ (»gequält, geknechtet und geschändet«). Die anständig zelebrierte präsidiale Trauer hat ein vermeintliches Super-Opfer im Hinterkopf, um das sie vor allem trauert – und demaskiert sich allein damit als verlogen.

      Von Gustav Heinemann wissen wir, dass er seine Frau liebte, seine Kinder und seine Freunde, aber nicht den Staat, das Land oder gar die nation introuvable. Nach 1989 und speziell bei B. Seebacher-B. ist das natürlich ganz anders. Nichts findet sie süßer als den Traum, auch hier wieder einmal mit »Trauer« und Horaz’ obligatem »Stolz« vor einem jener meist grässlichen Kriegerdenkmale stehen zu dürfen, die man tatsächlich in jedem französischen Nest antrifft und auf denen für 1870/71, 1914/18, 1939/45, 1946/54, 1958/62 unentwegt »pour la patrie« gestorben wird. »Die« Franzosen brauchen den Firlefanz nicht. Aber die französischen Regierungen jeder Couleur beherrschen die Klaviatur des nationalistischen Pathos, mit dem man je nach Lage der Dinge gegen Einwanderer aus dem Maghreb, »boches«, Maastricht oder die deutsche Bundesbank mobil macht, um von der hausgemachten Misere abzulenken. B. Seebacher-B. nimmt den versteinerten Schwachsinn (mort pour la patrie) als Vaterlandsliebe ernst, »ohne die nichts oder nicht viel gelingen und kein noch so großer Geldtransfer Wirkung zeigen kann«. Als Frau hat sie eine etwas größere Chance, sich an Heldengedenktagen vom süßen Traum an tote, aber virile Kerle durchschütteln lassen, während man als Mann aller historischen Erfahrung nach halt nur zu jenen gehören dürfte, die im »Ernstfall« bereits von unten her zuschauen, wie die oben wieder einmal auf »Volkstrauertag« machen.

      Aber wir sind dankbar: Seit uns K. H. Bohrer während des Falklandkrieges der Baronin Thatcher daran erinnerte, woran es uns Schlappschwänzen gebricht (»höheres Ethos, letzte causa und brinkmanship«), haben wir derlei nicht mehr gelesen, nicht einmal in der FAZ, die uns anlässlich des Golfkriegs »härtere Zeiten« (16.2.91) androhte.

      Aber das ist nur der harmlose Anfang des Volkstrauerspiels. B. Seebacher-B. rückt den Toten und den Lebenden direkt auf den Leib, vor allem aber dem Volk, das seine »innere Einheit, die zeitlos ist und anderes bedeutet als die Angleichung von Lebensverhältnissen«, einfach vergessen hat. Kaum aus der Volksgemeinschaft der Nazis und der Zwangskommune DDR entkommen, verleugnet doch dieses deutsche Volk (nebenbei: eine sehr zeitgebundene Erfindung von 1813), unter der »geistigen Herrschaft« des Antifaschismus (Globke, Oberländer, Filbinger, Kiesinger e tutti quanti?) die »innere Einheit«, die vor allem deshalb den Stempel »zeitlos« verdient, weil es sie gar nie gegeben hat. Mit der Verabschiedung vom Trugbild Nation und Volksgemeinschaft sind die BRD-Deutschen nicht etwa normal geworden nach ihrem Horror-Trip seit 1871, sondern haben sich ein »Ausnahmebewusstsein« zugelegt, »das uns noch heute wie Blei auf der Seele liegt und nicht nur die Selbstvergewisserung nach außen behindert, sondern auch nach innen«.

      Spätestens mit dem Blei wird die Sache ernst, denn dabei denken wir eher an die Millionen Toten, denen das Blei vielleicht auch »auf der Seele liegt«, aber mit Sicherheit vorher den Körper zerfetzt hat. Die Normalität, die B.Seebacher-B. beschwört, ist ganz anders: »Stolz«, »Vaterland«, »Härte« und – mit »Blei« und der Logistik von Verteidigungsminister Rühe – »Selbstvergewisserung nach außen«. Von der wilhelminischen Parole vom »Platz an der Sonne«, mit der man Bürger und Proletarier nach 1900 verblendete und zu Hurra-Patrioten machte, steigen wir jetzt um ins Kanonenboot »Seebacher-Rühe« und brechen auf zur »Selbstvergewisserung nach außen«.

      Der Antifaschismus, der nicht illegitim wurde, weil ihn die SED als Herrschaftsmittel und Staatsideologie instrumentalisierte, verleitete nach B. Seebacher-B. die westlichen Sonderweg-Deutschen zum Grübeln über die Vergangenheit und obendrein dazu, »sich am eigenen Unglück zu weiden«. Statt forsch loszumarschieren und »sich auf Sinn und Zweck des Ganzen zu verständigen«, um nach innen und außen »Selbstvergewisserung« zu betreiben, »klammert man sich« hausbacken an Antifaschismus. Die Antifaschisten verhindern also direkt, dass es mit der Finanzierung der Einheit vorangeht; sie sind verantwortlich dafür, dass »nicht gelingen kann, was nicht gelingen darf«, wie sie noch einmal – in direkter Anlehnung an Nolte – formuliert.

      Über einen zwanzigzeiligen Abschnitt, in dem B. Seebacher-B. sechs Mal mit dem Begriff »Normalität« herumfuchtelt, kann ich gar nichts sagen, außer dass ich ziemlich froh bin, nicht zu den Normalen zu gehören, denen der syntaktisch vertrackte und total-normale Rat gegeben wird: »Wer sich nicht als Deutscher fühlt, wird nie lernen, ein Europäer zu sein und der Welt zugewandt«. Albaner, Finnen und Portugiesen sollen bereits wie verrückt Deutsch lernen, Le Monde, Times und der Corriere della Sera erscheinen ob dieser Drohung ab sofort in deutscher Sprache, damit deren Leser nicht ausgebürgert werden aus dem Seebacher-B.-Europa.

      Alpinisten wissen: Wer einen steilen Einstieg wählt, stürzt СКАЧАТЬ