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СКАЧАТЬ liefert das Fernsehen die vermeintlichen Plausibilitäten für militärische Interventionen live und blutig ins Haus: Hungernde somalische Kinder und Frauen sowie schwerbewaffnete Söldnerbanden (mit westlichen und/oder östlichen Waffen) harren der »Befreiung« durch die »neue Weltordnung«. Warum es zu Zuständen wie in Somalia kam, fragt fast keiner mehr. Und auch die entscheidenden Unterschiede zwischen effizienten technischen und medizinischen Katastrophenhilfskorps und realen UNO-Eingreiftruppen auf der einen, mehr oder weniger eigenhändig, eigenmächtig und situativ-interessiert zuschlagenden »Weltordnungsmächten« auf der anderen Seite gehen im »Verantwortungs«gedöns völlig verloren.

      Der politische Gedanke pendelt nicht mehr vom Herz über den Kopf zur theoretischen und politisch-moralischen Reflexion über politische Ziele und militärische Mittel sowie deren Verhältnismäßigkeit, sondern torkelt aus der Talkshow direkt zur Forderung nach Militäreinsätzen: Im Hessischen Rundfunk unterhielten sich kürzlich eine kroatische Nationalistin und ein »volksdeutscher Spätheimkehrer« ernsthaft darüber, wie man am Rande der Genfer Vance-Owen-Konferenz den einen oder anderen serbischen Delegierten und Bürgerkriegskontrahenten durch Verhaftung und kurzen Prozess ausschalten könnte, um den Kriegszielen (die man »Frieden« nennt) etwas näher zu kommen.

      Interventionsscheu in ihren »Hinterhöfen« und »Einflusszonen« wird man auch den amerikanischen Administrationen, französischen Präsidenten und britischen Regierungen nicht nachsagen können. Und was ist das Ergebnis der Dutzenden von militärischen Interventionen in Mittelamerika und Afrika? Peace, freedom and democracy? Paix, liberté et démocratie? Mit »dem Glück der Völker« steht es bekanntlich schlecht in der Geschichte, aber dort, wo militärische Interventionen von innen und außen an der Tagesordnung sind, sind die Völker der Hegelschen »Schlachtbank« allemal noch näher als anderswo.

      Im tagespolitischen Handgemenge scheint es nur noch um zwei Listen zu gehen: um die Länderliste »sicherer Drittstaaten«, in die man Flüchtlinge »verantwortungs«bewusst zurückschieben kann, und um die Liste jener Interventionskandidaten, die mit der »neuen Rolle der BRD in der Welt« und mit dem Besuch der deutschen Bundeswehr rechnen dürfen, wenn die Bonner – unter Mithilfe der SPD – erst einmal die Verfassung ausmisten oder einfach umgehen. Genau wie bei dem von Jürgen Habermas zum Thema gemachten Bestreben von konservativen Historikern zur »Entsorgung der Vergangenheit« geht es jetzt um die Verklappung des historisch bedingten Verfassungs-»Ballasts« im Meer des Vergessens.

      Man kann das getrost Normalisierung nennen, denn das historisch ahnungslose Geschwätz, es gehe heute darum zu vermeiden, dass die BRD auf einen »Sonderweg« gerate, meint ja nur: Was den USA, Großbritannien und Frankreich recht ist, soll uns endlich billig sein. Bonn als gleichberechtigter Co-Sheriff? Klar! Lamers, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, redet bereits von »großer innerer Stärke« (taz 25.1.93), die erforderlich sei, deutsche Soldaten irgendwo in der Welt für bestenfalls unklare Ziele und allemal trübe Interessen sterben zu lassen. Wer noch nicht völlig trunken ist vom »Verantwortungs«-Fusel, sollte sich von einem zurechnungsfähigen nordamerikanischen Intellektuellen sagen lassen, was man drüben unter »Verantwortung« versteht – ungefähr seit der Präsidentschaft von Monroe (1817-25): »Bei jenen Amerikanern, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, den Rest der Welt über seine Pflichten aufzuklären, bedeutet Verantwortung schlicht bedingungslose Unterstützung jedweder Politik, die Washington gerade betreibt – Unterstützung auch dann, wenn diese Politik von einem Augenblick auf den anderen in ihr Gegenteil verkehrt wird« (Norman Birnbaum, Die Zeit 21.6.1991).

      Schon im Januar/Februar 1991, als Saddam Hussein auf Wunsch von deutschen Intellektuellen als Hitler auftrat, mahnte die FAZ ganz nüchtern »härtere Zeiten« an. Lange bevor ein deutscher Professor »den Lehrmeister Krieg« aus dem Bücherregal kramte und ein anderer im Versagen von Elternhaus und Schule die Ursache für die brennenden Häuser in Mölln fand, stellte die FAZ den Wegweiser auf: »Welcher Politiker, gar welcher Lehrer denkt darüber nach, wie man Kinder erzieht in einer Kultur, die sich behaupten muss? Welche Tugenden, die in härteren Zeiten nötig sind, haben die Deutschen noch nicht verächtlich gemacht?« (FAZ 16.2.1991). Wie gesagt, nicht Militärs und Politiker reden vom nächsten Krieg, sondern akademisches und journalistisches Meinen schwadroniert schon mal über die präventive Einübung kriegstauglicher Tugenden. Lehrpläne mit interventionsgerechten (und ausländerresistenten) Tugenden sind schnell hervorgekramt: »nationale Interessen«, »positive Werte«, »Blut und Eisen«, »deutsche Ehre«, »Pardon wird nicht gegeben«, »Erziehung in Langemarck« und in »Stahlgewittern« – auf zum nächsten Gefecht. Die intellektuelle »Selbstverstümmelung« (Lothar Baier), schon seit der Wende Anfang der 80er Jahre unter dem Label »Ende der Utopie« propagiert, ist der Hit in der laufenden Spielsaison des Meinungsbetriebs.

      Als die Baronin Thatcher noch regierte, konnte man regelmäßig hören, dass es Individuen und Staaten gebe und sonst nichts: »Ich kenne keine Gesellschaft.« Der digital konditionierte Verstand der gelernten Chemikerin duldete nur Eindeutiges, das heißt Zweipoliges: organisch oder anorganisch, basisch oder sauer. Politisch gewendet: privat oder staatlich. Nichts war ihr deshalb so suspekt wie die Zone des Dazwischen, zum Beispiel die gesellschaftliche Macht von Gewerkschaften. Die gesellschaftliche Macht von Privateigentümern an Grund und Boden, Produktionsmittel – kurz Kapital – entging ihr freilich.

      Die Verachtung der Gesellschaft teilt Baronin Thatcher mit den deutschen Rechten, denen die Gesellschaft notorisch als Ausgeburt der Französischen Revolution galt und deshalb von Adam Müller bis Carl Schmitt gar nicht oder herablassend behandelt wurde. In den Köpfen der zeitgenössischen Publizisten und Wissenschaftler hat die Gesellschaft dagegen einen Stammplatz. Allerdings geht es heute nicht mehr um die Gesellschaft telle quelle, mit der sich die Theoretiker seit Comte, Hegel und Marx herumschlugen. Den heutigen Autoren hat es die Gesellschaft mit dem kleinen Unterschied angetan – die Gesellschaft als Kompositum.

      Nach der Konjunktur der Bindestrich-Soziologien in den sechziger Jahren begegnet uns nun eine Inflation von Titeln, die zusammengesetzte Wörter mit Gesellschaft wie eine Flagge gehisst haben. Komposita zu bilden, ist ein Legospiel mit Begriffen: Erlebnis-, Auto-, Männer-, Konsum-, Zweidrittel-, Surfer-, Industrie-, Versöhnungsoder Kommunikationsgesellschaft. Die Gesellschaften-Inflation ist umso erstaunlicher, als substantielle gesellschaftliche Verbindungen zwischen Individuen in Vereinigungen, Vereinen, Clubs und so weiter überall von der Übermacht der herrschenden Verhältnisse bedroht sind. Staatliche, wirtschaftliche und mediale Großagenturen walzen gesellschaftliche Beziehungen platt oder unterwerfen sie von oben oder von außen, diktieren Spielregeln und Zwecke. Die Pointe: Die Konjunktur der Bindestrich-Gesellschaften läuft parallel mit der »Entgesellschaftung« der Realität und Vereinsamung vieler Menschen.

      Weil das Ganze der Gesellschaft diffus geworden ist, greift sich jeder einen Teil und erklärt diesen im Handstreich zum Ganzen. Das ist zwar wissenschaftlich gesehen grobianisch, gereicht aber den Autoren zur Ehre, gemessen an der Zahl ihrer Veröffentlichungen. So erfahren wir von Saison zu Saison neu, in welcher Gesellschaft wir leben. Und weil es die marktwirtschaftliche Konkurrenz so will, existieren wir gleichzeitig in mehreren, sich nach Preis und Niveau gegenseitig über- und vor allem unterbietenden Komposita-Gesellschaften. Wo die einen noch auf die Arbeitsgesellschaft schwören, tummeln sich andere bereits in der Erlebnisgesellschaft; Ökologen beklagen noch die Wegwerfgesellschaft, während ein Professor schon in den Zug Richtung Reparaturgesellschaft umgestiegen ist.

      Das Planungsdezernat einer Stadt schwärmt für die Vorturner der Dienstleistungsgesellschaft, aber im Kulturdezernat projektiert man lieber nach den Imperativen der Kulturgesellschaft. Oder auch umgekehrt. Ganz vorne marschiert wie immer die Harvard Business Review. Sie proklamiert die »post-capitalist society«. Die Grammatik erlaubt die Konstruktion beliebiger Komposita und – als deutsche Spezialität – deren fugenlose Verleimung. Womit das Wort Gesellschaft zusammengelegt wird, ist ebenso sekundär wie gleichgültig. Kein noch so dünner Gedanke nistet zwischen den Bestandteilen. Bis hin zum dreifach aufgepeppten СКАЧАТЬ