Название: The Family (Deutsche Edition)
Автор: Ed Sanders
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783862871469
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Man weiß nicht, wer oder was ihn zu dem Glauben inspiriert hat, dass ihn und seine Anhänger ein unterirdisches Paradies erwarte. Vielleicht war es eine Vision auf einem LSD-Trip. Wer weiß? In früheren Zeiten war des Öfteren behauptet worden, dass es unter dem Death Valley eine riesige Höhle, so groß wie eine ganze Stadt, gäbe, durch die der unterirdische Amargosa fließe.
Das Death Valley sei, so sagt man, ein geologischer Graben, der sich zwischen Gebirgsformationen entwickelt habe, die durchaus einen großen, unterirdischen Hohlraum beherbergen könnten. Doch ganz gewiss ist das kein Ort mit Schokoladenbrunnen und Schlaraffenlandbäumen, der bereits von einer eigenen Menschenrasse bewohnt wird, wie die Family es sich schließlich einbildete.
Die Family behauptete sogar noch 1970, es gäbe am Rand des Death Valley Zugänge zum Amargosa. Sie unternahm Streifzüge, um verborgene Zugänge zum »Loch« zu finden, denn sie glaubte, es gäbe irgendeine okkulte Verschwörung, die den Zugang zum Paradies geheim hielt. Manson hat anscheinend behauptet, er selber habe Zugang zu dem »Loch« gehabt und auch hinabsteigen dürfen – zumindest hat er es seinen Anhängern eingeredet.
Man war der Ansicht, einer der Zugänge zu dem »Loch« sei das sogenannte Devil's-Hole in der Nordwestecke des Death Valley-Naturschutzgebietes, dort, wo dieses Gebiet ein Stück nach Nevada hineinragt. Das Devil's-Hole, durch einen Zaun vor neugierigen Besuchern geschützt, ist ein unheimliches Wasserloch, in dem es, wie die Family berichtete, blinde Fische geben soll. Zwei Sporttaucher, die versuchten, bis auf den Grund dieses Wasserlochs zu gelangen, sind dort vor einigen Jahren ertrunken.
Wer das Devil's-Hole besuchen will, fährt am besten auf der Route 127 zum Death Valley. Von dort geht's weiter zu einer Stadt namens Death Valley Junction. Hier muss man sich rechts halten und bis nach Ash-Meadows-Rancho fahren. Dann nimmt man eine ungefähr in nördlicher Richtung verlaufende Landstraße, die die Grenze von Kalifornien nach Nevada kreuzt und zum Devil's-Hole führt. Manson meinte, dieses Devil's-Hole sei der Schlüssel zu dem »Loch«.
Drei Tage lang meditierte Manson niedergeschlagen und demütig am Rande des »Lochs« über den Sinn dieses bodenlosen Schlundes. Dann dämmerte es ihm: Das Wasser im Devil's-Hole musste die Pforte beziehungsweise der Sperrmechanismus sein, der den Zutritt zur Unterwelt verhinderte; gelänge es ihm, das Wasser abzusaugen, so müsste sich das »Goldene Loch«, der Schokoladenbrunnen, öffnen.
Er verhandelte mit einer Pumpenfirma, die ihm für das Leerpumpen des Devil's-Hole einen Kostenvoranschlag über 33.000 Dollar gemacht haben soll.
Manson fand – auf metaphysischer Basis – weitere Bestätigungen für die Existenz eines solchen »Lochs« in den Schlüsselpassagen der Offenbarung. War es nicht schick, auf Heuschrecken zu verweisen, die aus der bodenlosen Grube, dem puteum abyssum, hervorkommen – wie im 9. Kapitel der Offenbarungen des Johannes prophezeit?
Für Charlie nahm ein neues Wesen Gestalt an: der Teufel aus dem bodenlosen Schlund unter dem Death Valley. Huhuu!
In diesem Herbst in der Wüste unterzog sich Manson bei starker Kälte nackt einer langen Meditationssitzung, bei der er den Tod entdeckte. Tatsächlich kursierte unter Mansons Anhängern eine Legende, nach der er seinen »endgültigen Tod« erfahren haben soll, als er im Death Valley-Naturschutzgebiet eine lebende Klapperschlange aufhob. Und Paul Watkins erzählt, wie er und Charlie eines Tages einer Klapperschlange begegnet seien und wie Charlie ihn überredet hätte, sich direkt vor sie hinzuhocken und es Aug' in Aug' mit ihr »auszumachen«. Bei seiner Offenbarung in der Wildnis scheint Manson eine Erfahrung gemacht zu haben, die, zum Beispiel unter Psilocybin, schon Tausende vor ihm gehabt haben – die Erfahrung der Todesergebenheit.
Charlie erwähnte in diesem Zusammenhang stets eine endgültige Erleuchtung, die ihm während dieser Meditation in der Wüste gekommen sei: »Einmal ging ich durch die Wüste, und ich hatte eine Offenbarung. Ich war ungefähr 45 Meilen gegangen, und das ist für einen Wüstenmarsch eine ganze Menge. Die Sonne brannte auf mich nieder, und ich hatte Angst, weil ich den Tod nicht akzeptieren wollte. Meine Zunge schwoll an, und ich konnte kaum atmen. Ich brach im Sand zusammen. Ich schaute auf den Boden, und aus dem Augenwinkel sah ich diesen Felsen. Und ich erinnerte mich, wie ich da, als ich ihn so anschaute, völlig verrückt dachte: Hier müsste es sich doch genauso gut sterben lassen wie anderswo auch.«
Dann begann er zu lachen. »Ich lachte wie ein Irrer, so glücklich war ich.« Danach sprang er »mit Leichtigkeit« auf und ging schnurstracks zehn Meilen weit, bis er in Sicherheit war.
Manson entwickelte im Death Valley eine starke Vorliebe für den Kojoten, den Räuber aller Räuber. Kein Tier ist bei seiner Nahrungssuche heimtückischer und arroganter als der Kojote.
Von da an pries er einen Geisteszustand, den er »Kojotenoia« nannte. Die grundlegende Äußerung Mansons zur Kojotenoia lautete folgendermaßen: »Christus am Kreuz, der Kojote in der Wüste – das ist ein und dasselbe. Der Kojote ist schön. Er bewegt sich graziös durch die Wüste, er ist kaum wahrnehmbar, er ist sich aller Dinge bewusst, schaut um sich. Er hört jedes Geräusch, wittert jeden Geruch, sieht alles, was sich bewegt. Er befindet sich immer in einem Zustand völliger Paranoia, völlige Paranoia aber ist totale Bewusstheit. Du kannst vom Kojoten lernen, genauso wie du von einem Kind lernst. Ein Baby kommt zur Welt in einem Zustand der Angst. Völlige Paranoia und totale Bewusstheit ...«
Gregg Jakobson wollte seinen Jeep, den Wilson an Manson gegeben hatte, zurückhaben. So fuhren Jakobson und Dennis Wilson am 24. November 1968 ins Death Valley, um den Jeep zu holen. Der Jeep war inzwischen irgendwo im Goler-Wash mit einem Motorschaden liegengeblieben, so dass sie ihn aus dem Tal hinaus nach Trona abschleppen mussten, um ihn dort reparieren zu lassen. Manson fuhr mit. Im Goler-Wash überfuhr Jakobson eine Spinne, was Manson sehr verärgerte. Lieber einen Menschen, meinte er, als eine Spinne.
Jakobson und Wilson nahmen Manson aus dem Death Valley mit nach Los Angeles; vielleicht war der Grund, dass man die bevorstehende Veröffentlichung des von Manson stammenden Songs feiern wollte.
Zwei Wochen später kehrte Jakobson per Motorrad zum Goler-Wash zurück, doch hatte er in dem tückischen Gelände eine Panne. Er ging zu Fuß zurück nach Trona, holte dort seinen Jeep, der eben repariert worden war, verstaute das Motorrad auf dem Rücksitz und fuhr zurück nach Los Angeles.
Am 8. Dezember 1968 brachten Capitol Records die Beach Boys-Single mit dem Titel »Bluebirds Over The Mountain« und »Never Learn Not To Love (Cease To Exist)« auf der B-Seite heraus. Zum ersten und einzigen Mal war Charlie Manson in den Charts, wenn auch nur auf Platz 61 und ohne Nennung seines Namens.
Doch am 7. Dezember 1968 trug sich ein noch wichtigeres Ereignis zu. Capitol Records veröffentlichten ein weißes Doppelalbum mit 30 Beatles-Songs, unter denen sich solche Dope-Juwelen wie »Sexy Sadie«, »Rocky Raccoon«, »Blackbird«, »Revolution« und »Helter Skelter« befanden – und alle verkündeten sie, so glaubte Manson, seine Eroberung der Welt.
Manson legte Text und Musik dieser Beatles-Songs wie heiliges Schrifttum aus. Nachdem Wilson und Jakobson ihn Ende November aus dem Death Valley mit nach Los Angeles genommen hatten, scheint sich Manson an der Topanga-Lane, an der Mündung des Topanga-Canyon, beim zerstörten Wendeltreppenhaus aufgehalten zu haben.
Das Wendeltreppenhaus, wo Manson und seine Crew ein Jahr zuvor herumgegammelt hatten, war inzwischen abgerissen worden. Manson hauste in einem blauen Bus, der bei dem Haus geparkt war.
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