Название: Verloren im Cyberspace
Автор: Joachim Köhler
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783374067602
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Das Internet ist heute der Versammlungsort der Banner der Anzeigenfirmen. Kaum eine Website findet sich, auf der keine solche Heerfahne mit dem Firmenwappen, genannt Logo, aufgepflanzt wird. Oft wartet die Seite sogar, bis sich ihr Werbebanner entfaltet hat. Jede Anzeige führt Krieg um die Aufmerksamkeit der User. Hat sie diese gefangen genommen, bleibt der Besiegte zumindest mit seinen Daten tributpflichtig.
Eine wichtige Rolle in diesem Krieg spielt die Strategie, mit der die Werbebotschaft an den richtigen Mann gebracht wird. Man nennt sie Targeting. Ebenfalls ein Begriff aus der Militärsprache, der bedeutet, jemanden zum Ziel (Target), etwa eines Geschosses, auszuwählen. Im Internet ist dieses Geschoss die Anzeige. Je enger die Werbung den Kundenkreis zu definieren vermag, umso zielgenauer wirkt das Targeting. Hat man im Internet ein Produkt gekauft oder auch nur gegoogelt, werden für dies und ähnliche Waren automatisch die Banner gehisst.
Wer sich einmal über eine spezielle elektrische Zahnbürste informiert hat, wird auf unabsehbare Zeit von einer Kaufempfehlung für diese spezielle elektrische Zahnbürste heimgesucht. Gleichgültig, ob man nun wegen eines heftigen Elektrische-Zahnbürsten-Überdrusses zur analogen Zahnbürste zurückgekehrt ist oder die beworbene Zahnbürste tatsächlich erworben hat, wird man weiter vom Geist der elektrischen Zahnbürste verfolgt. Der amerikanische Medienkritiker Marshall McLuhan prägte dafür den Begriff, die Botschaft werde »einmassiert«. Im totalitären Staat leistet das die Gehirnwäsche.
Die Datenstaubsauger, denen alles gratis in den Rüssel geworfen wird, nennen sich Suchmaschinen. Während der User sich selbstvergessen durch das Website-Universum klickt, schreibt eine Software mit. Sie arbeitet die Ware für die Werbebranche auf. Wer googelt, wird feilgeboten. In Echtzeit. Adressenhändler hat es immer gegeben. Stillschweigend hat man akzeptiert, dass Name, Wohnort, Straße und, wer weiß, was noch, gesammelt und gespeichert und verkauft wird. Jetzt gibt es die Identitätshändler, für die eine Adresse, verglichen mit den zusammengerafften Vorlieben, Charakterzügen, Freundschaften und Ortsbewegungen, nur eine Marginalie ist. Auch deutsche Firmen sind am Geschäft mit dem Menschenhandel beteiligt.
Die Gütersloher Firma »AZ Direct« etwa hat, laut eigenen Angaben, rund 70 Millionen Mitmenschen im Angebot. Über jeden von ihnen stehen dem Käufer 250 verschiedene Lebensdetails zur Verfügung. Die Firma bezeichnet diese Methode als Multi Channel Marketing. Mit anderen Worten, man schießt aus allen Rohren. Zugleich generiert man laut Eigenwerbung laufend Neukunden, die man per Direct Mail, E-Mail Marketing, Display Advertising, Videoclips und bezahlten Social Media Postings zum Kauf animiert. Und jeder Werbetreibende kann sicher sein, dass er auf diesem Sklavenmarkt der Daten das Richtige findet.
Unerwünschte E-Mail-Botschaften verstopfen den Briefkasten und stehlen einem die Zeit. In seiner Hässlichkeit verrät der Name alles: Spam ist die Laus im Pelz, gegen die es nur ein Pulver gibt, den Spamfilter. Aber auch er kann nicht jeden Eindringling abwehren. Die Herkunft der dreisten Besucher lässt sich ohnehin nicht feststellen, da Spam meist von einem zwischengeschalteten Proxy Server anonymisiert wird, der die wahre Adresse vertuscht. Der Clou dieser aus dem Nichts auftauchenden Werberundschreiben besteht darin, dass sie mittels Adressdateien jedes Opfer ihrer Botschaft persönlich ansprechen. Viele fühlen sich dann angesprochen, dies auch persönlich zu lesen. Dabei lesen gleichzeitig zahllose Andere dasselbe. Oder sie werfen es weg. Nur dass dies Wegwerfen nicht so einfach ist. Meist bleibt ein Cookie im Computer zurück, das die Verbindung zur anonymen Quelle hält. Wer darüber hinaus den getürkten Anhang öffnet, hat damit meist dem Massenversender die Kontrolle über seinen Computer abgetreten. Zum Glück weiß man auch das nicht.
Generell trickst das Datenmanagement der Suchmaschinen jeden User aus. Sie bieten geborgten Wissensgewinn gegen profitablen Wissensertrag. Für sich. Wer mit der Suchmaschine etwas sucht, wird zuvor schon von dieser gesucht. Ihre Antworten antizipieren seine Frage. Und das heimliche Interesse, das sich dahinter verbirgt. Der Nutzer gehört der Maschine, die er zu benutzen glaubt. Besteht die Aufgabe der Werbung darin, den Kunden von seinem Geld zu trennen, so bewirkt die Online-Beeinflussung, den Menschen von sich selbst zu trennen. Der posthumane Mensch ist der von sich selbst getrennte Mensch. Er ist noch er selbst, aber was dieses Selbst bedeutet, erfährt er nur online. »Das Paradoxe ist«, schreibt Jan Heidtmann, »dass sich der Mensch selbst zum Untertanen degradiert.«25
Damit Werbung möglichst nachhaltig auf den Nutzer einwirkt, muss sie, nicht anders als Spam und alle anderen Zumutungen, häufig wiederholt werden. Hat beim ersten Mal der Intellekt Einwände dagegen erhoben, wird der Mensch durch Gewöhnung immer vertrauter damit. Bis das Produkt zum Bestandteil des eigenen Lebens geworden ist. Kauf und Konsum sind dann unvermeidliche Konsequenzen. »In jeder Hightech-Plattform«, so der ehemalige Google-Manager Tristan Harris, »arbeitet eine ganze Armee von Ingenieuren daran, dass der Nutzer online mehr Zeit verbringt und mehr Geld ausgibt.«26
Facebook versteht sich besonders gut auf das Micro Targeting, den gezielten Angriff auf klar definierte »kleine« Bevölkerungsgruppen. 2017 wurden Dokumente des Cybermultis geleakt, wonach Manager ihren Werbekunden erklärten, wie sie zu ihren aufschlussreichen Informationen kommen. Durch Überwachung von Postings, Interaktionen und Fotos etwa können sie den seelischen Zustand der jugendlichen Nutzer analysieren. Ziemlich exakt lässt sich feststellen, »ob die Teens sich unsicher, nutzlos, gestresst oder als Totalversager fühlen«.
Computer mit künstlichen neuronalen Netzen können auch Affekte wie Angst, Scham oder Begeisterung erkennen, in Echtzeit und mit hoher Trefferquote. Augenblicklich kann die Werbung mit Anzeigen zuschlagen, die »genau auf diese verletzlichen Momente ausgerichtet sind, in denen junge Menschen eine Stärkung ihres Selbstvertrauens brauchen.«27 Ob man diese Rolle den Pickelcremes, Haargels oder dem keimtötenden Mundwasser »Listerin« zutraut, haben die Facebook-Akquisiteure nicht verraten.
Jede Sekunde eines jeden Tages bietet die Cyberwelt ein neues Gesicht und ein neues Produkt, das der benutzte Nutzer auf keinen Fall verpassen darf. Die Milliarden vor den Bildschirmen sind sich einig, dass diese schöne neue Welt für sie vollkommen unverzichtbar ist. Und für die Annehmlichkeiten, die einem jederzeit zu Gebote stehen, nimmt man die Sucht gern in Kauf. Das Smartphone ist das Sesam-öffne-dich, das in Ali Babas Schatzhöhle führt. Nicht zufällig nennt sich Chinas größter Online-Händler nach dem Räuberhauptmann Ali Baba.
Die Preisgestaltung gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen der Großversender. Denn was im gewöhnlichen Handel meist verbindlich ist, hat man hier abgeschafft. Big Data-Speicher können für jedes Produkt den Preis entsprechend der Marktlage und der Nachfrage individuell errechnen. Das geschieht mehrmals am Tag. Und für jeden Kunden individuell. Wer per Suchanfrage seinen Kaufwunsch offenlegt, hat im Preispoker schon verloren. Denn Big Data wissen, was der Kunde ausgeben kann, und das soll er auch. Wer also einen Preis recherchiert, hat ihn oft schon unfreiwillig erhöht. Dieses Individual Pricing gilt vor allem in den USA als wichtiger Erfolgsfaktor des E-Commerce (Online-Handels). Mittels raffiniertem Algorithmus lässt sich auch das letzte Tröpfchen aus der Zahlungsfähigkeit des Kunden herauspressen. Wodurch die Onlinehändler dank modernster Computertechnik auf das Geschäftsgebaren des Basars herabgesunken sind.
So beherrscht Big Business nicht nur das Medium, sondern auch das Publikum, das sich der permanenten Einschränkung seiner Freiheit unterwerfen muss. Und während dem User immer neue Produkte aufs Auge gedrückt werden, intensiviert man die Abschöpfung des Data Exhaust (Datenüberschuss). Denn das, was der Wissbegierige bewusst eintippt oder hochlädt, bildet gar nicht das Hauptziel der Cybermultis. Neben den freiwillig gelieferten Informationen greifen die Maschinen auch jene Daten ab, von denen СКАЧАТЬ