Verloren im Cyberspace. Joachim Köhler
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Название: Verloren im Cyberspace

Автор: Joachim Köhler

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783374067602

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СКАЧАТЬ Auch die Piktogramme, die man Emojis nennt, sind hier gelistet. Entwickelt für die Kurztext-Dienste, wirken diese Smiley-Gesichter wie Hieroglyphen aus dem Kinderzimmer. Hatte sich einst die Sprache aus Symbolen erhoben, sinkt sie mit den Emojis in die Bilderwelt zurück. Mit lachenden, weinenden, zornigen, Zähne oder Zunge zeigenden und tausend anderen Fratzen erspart man sich umständliche Gefühlsbeschreibungen. Wo einst Sprache war, herrschen Mondgesichter. Dank dieser Kinderfibelsymbolik werden weltweit alle Emotionen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht. Und die Menschen gleich mit.

      Die fünf Giganten, die der Welt ihre Ausdrucksmöglichkeiten vorgeben, zählen zu den mächtigsten Corporations der Welt, ihre Gründer zu den reichsten Menschen. Deshalb ihre demonstrative Bescheidenheit. Sie selbst nennen sich High Tech, also Hohe Technik, wie man früher von der Hohen Priesterschaft sprach. Hoch, das heißt, über den anderen, über der Welt. Dabei erwecken sie bei ihrer weltumspannenden Kundschaft den Eindruck, als stünden sie ihnen mit Leib und Seele zu Diensten.

      Das Eroberungsrezept des Silicon Valley bestand darin, die Welt über den Tisch zu ziehen, indem es ihr einredete, es sei eine neue Art von Umarmung. So konnten die Big Five ihre internationale Präsenz unbehindert ausbauen und Milliarden Kunden einsammeln. Zur Umarmungsstrategie gehörte es, das eigene Billionenvermögen als unbeabsichtigten Nebeneffekt darzustellen. Auch gelang es den Big Five, das Negativ-Image der klassischen Großunternehmen zu vermeiden. Ihre Fassade, die bis heute über die realen Machtverhältnisse hinwegtäuscht, gibt nicht die Wirklichkeit dieser Hochleistungsmaschinen wieder, sondern das entspannte Lebensgefühl der San Francisco Bay Area. Während ihre Denkmaschinen heißlaufen, sind sie cool bis ans Herz.

      Auch für die amerikanische Journalistin Rana Foroohar bahnte sich Ende des 20.Jahrhunderts ein Bruch in der kalifornischen Computerwelt an. Anfangs sei alles von der Hippie- und Freiheitskultur der amerikanischen Studentenbewegung beeinflusst gewesen. »Schon im buntstiftbunten Google-Logo«, so die Financial Times-Journalistin, »zeigte sich der lebensfrohe, idealistische Geist des Unternehmens«13. Um dessen humanistische Ausrichtung zu betonen, lautete der erste Satz der offiziellen Firmenphilosophie, Don’t be evil (Tu nichts Böses). »Heute erscheint dies Motto«, so Foroohar weiter, »wie ein drolliges Überbleibsel aus den Anfangsjahren des Unternehmens«. Ihrem Buch über den moralischen Niedergang des Silicon Valley gab sie denn auch den Untertitel »Wie Big Tech seine ursprünglichen Prinzipien verriet«. 2015 ließ Google, nun eine Weltmacht, auch das verräterische Motto »Tu nichts Böses« fallen und ersetzte es durch das unverfängliche, weil sinnfreie Do the Right Thing (»Tu das Richtige«).

      Den Ausgangspunkt der digitalen Weltrevolution hatte die Mikroelektronik gebildet, die vom militärisch-industriellen Komplex im Kalten Krieg entwickelt worden war. Doch die Studenten, die von Krieg nichts mehr wissen wollten, verfolgten das entgegengesetzte Ziel. »Statt sich in der Politik zu engagieren«, so die US-Historikerin Margaret O’Mara, »wollten sie Computer bauen, mit denen man dem Militär, den Universitäten und den Corporations die Macht entziehen würde, um sie in die Hände der Nutzer zu legen.« Man hoffte, dass die Computerrevolution für die Völker den Durchbruch zu einer neuen Gemeinschaft brächte. Die Technik, so O’Mara, sollte »die saubere und schöne Lösung für alle Probleme« der Menschheit bieten. »Heute lachen wir darüber.«14

      Der Geist, der damals an Amerikas Universitäten herrschte, hatte auch Stanfords junge Technikgenies erfasst: Für sie stand nicht die kommerzielle Verwertbarkeit im Mittelpunkt, sondern die Chance für die Menschen, Kriege zu vermeiden und einander näherzukommen. Die Ergebnisse der Wissenschaft sollten allen zugänglich sein, das teure Telefon sollte durch die kostenlose Internetverbindung abgelöst werden. Endlich würde die ganze Welt im eigenen Zimmer abrufbar sein. »Mit der Computertechnik«, so der Computerpionier Alan Kay vom Xerox Parc, »wollten wir die Welt zu einem besseren Platz machen«. Tatsächlich schienen mit der Cyberwelt die Ideale der Französischen Revolution, Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit, endlich erfüllt: Jeder hat die Freiheit, sich mit allem und allen in Beziehung zu setzen. In der Kommunikation wiederum herrscht absolute Gleichheit. Und dank weltumspannender Social Media ist Brüderlichkeit nicht länger nur Utopie.

      Bald zeigten sich die Schattenseiten: Die Freiheit bot auch Freiheit zum Missbrauch. Die Gleichheit hob auch den Unterschied von Wahrheit und Unwahrheit auf. Und die solidarische Gemeinschaft blieb auf den virtuellen Bereich beschränkt, wo sie zur anonymen Feindschaft gegenüber anderen Gemeinschaften einlud. Dass das Internet diesen Tummelplatz des Hasses geradezu förderte, sollte sich erst später erweisen. Es war der Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee, der im November 2019 vor dem »digitalen Schreckensszenario« warnte, das sich für die Zukunft abzeichnete. Sein Appell gegen Desinformation, Hassrede, Zerstörung der Privatheit und Ausbeutung der Nutzer wurde, wie könnte es anders sein, auch von den einschlägigen IT-Firmen (IT gleich Information Technology) unterzeichnet. Denn einem Gegner zuzustimmen, war schon immer die eleganteste Art, ihn loszuwerden.

      Im Silicon Valley spricht man nicht gern über das hässliche Gesicht des Massenmediums. In ihren öffentlichen Äußerungen bleiben die Superstars ihrem Weltverbesserungoptimismus treu. Ständig wird betont, wie sehr für sie der Mensch im Mittelpunkt stehe. Das höchste Ziel sei es, immer mehr Menschen die Freiheit zu schenken, sich in freundschaftlichen Austausch miteinander zu bringen. Für Mark Zuckerberg verdient sein Unternehmen Facebook wegen dieses hehren Ziels geradezu den Ehrentitel einer »Kirche«: Kirche der Freiheit, des Humanismus, der Völkerfreundschaft, der Weltenharmonie. Und es wird dem Mann mit dem unsicheren Auftreten eines Schülers auch noch abgenommen. Seine App »Newsfeed« erhebt laut Facebook den Anspruch, der Allwissenheit ganz nahe zu kommen: Man will, so sagt Zuckerberg, den »richtigen Menschen« die »richtigen Inhalte« zur »richtigen Zeit« anzeigen. Zwar bleibt es den Usern (Nutzern) überlassen, was ihnen jeweils als »richtig« erscheint, aber die Auswahl wird von Facebooks Supercomputern generiert.

      Die Methode, die punktgenaue Informationen liefert, heißt Data Mining. Diesen Prozess kann man tatsächlich, wie der Name andeutet, mit der Ausbeutung eines Daten-Bergwerks vergleichen. Analysiert wird der Ertrag mittels Algorithmen. Diese komplizierten Rechenanweisungen organisieren und filtern unvorstellbar große Datenmengen. Mittels automatischer Handlungsanweisung wird die Datenmasse über eine Vielzahl von Schritten analysiert und zugeordnet. So entsteht ein Mehrwert aus den Daten, der vorher nicht abzusehen war. Die chaotische Masse macht plötzlich Sinn. Algorithmen räumen auf. Sämtliche gespeicherten Informationen eines bestimmten Gebietes werden durch einen mathematisch-statistischen Prozess geschleust, an dessen Ende das gewünschte Produkt steht. Das kann etwa die Antwort auf eine »Google«-Anfrage liefern oder die Eingrenzung der Menschen, die für die Empfehlung einer Ware oder eines Politikers besonders empfänglich sind. Da es nicht »die« Antwort, sondern immer eine Vielzahl davon gibt, errechnet der Algorithmus exakt die für den Fragenden geeignetste, für den werbenden Unternehmer oder Politiker wirksamste und zugleich für das eigene Unternehmen profitabelste.

      Der Algorithmus wurde zuerst in der industriellen Warenproduktion angewandt: Statt Informationen ging es hier um ein Programm für konkrete Montageschritte, mit denen ein Werkstück zusammengebaut wurde. Im 19. Jahrhundert nannte man das »Rationalisierung«. Erst durch sie wurde Fließbandarbeit möglich. Auch hier entsteht über eine Vielzahl kleiner Schritte, von denen jeder an sich sinnlos ist, ein sinnvolles Ganzes, das Produkt. Dagegen lässt sich die Frage, inwieweit dieses selbst »rational«, also vernünftig ist, durch keinen Algorithmus feststellen. Denn über den Sinn einer Sache kann allein der Mensch entscheiden, dem freilich in der Industrieproduktion wie in der Informationsverarbeitung nur noch eine dienende Funktion zugeteilt ist. Wobei er, wie Charlie Chaplin schon 1933 in »Moderne Zeiten« demonstrierte, meist einen Schritt zu spät kommt.

      Ein Problem des Algorithmus besteht in der Qualität der Informationen, die man ihm zur Bearbeitung liefert. Sind die Daten inkorrekt, stimmt auch seine Antwort nicht. Gerade in den Social Media dürften die Daten nur selten mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Was zur Folge hat, dass auch die Antworten, die der Computer gibt, nicht vollständig zutreffen. Da diese aber СКАЧАТЬ