Verloren im Cyberspace. Joachim Köhler
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Название: Verloren im Cyberspace

Автор: Joachim Köhler

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783374067602

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СКАЧАТЬ Bonus voraus hatte: Man versicherte, der Menschheit in Richtung Zukunft auf die Sprünge helfen zu wollen. So zumindest wollte es das Image, das von den Corporations des Silicon Valley verbreitet wurde.

      Corporations sind eine typisch amerikanische, reichlich mit Rechten und Privilegien ausgestattete Institution. Als im 19. Jahrhundert die ersten dieser warenproduzierenden Großunternehmen juristische Bevorzugung erfuhren, verband der Staat das mit öffentlichen Aufträgen. Bis ins 20. Jahrhundert legte man Wert darauf, dass Corporations nicht nur dem eigenen Kassenstand, sondern auch dem Public Interest zu dienen hatten. Für die börsennotierten Unternehmen erwies sich dies als heikel, weil die Kluft zwischen Eigennutz und Gemeinwohl sich oft als unüberbrückbar erwies. Wo eine Pharmafirma prosperierte, waren bald die Gewässer vergiftet.

      Genau hier können die Cybermultis ihren Vorteil ausspielen: Denn zweifellos bedienen Telekommunikation und Internet wie wenige andere Industrieprodukte das öffentliche Interesse. Sie sind das öffentliche Interesse. Alle interessieren sich für sie. Folglich entsprechen die Cybermultis der Forderung nach dem Gemeinwohl auf vorbildliche Weise. Der Cyberspace ist für jeden erreichbar, schenkt ihm fast unbeschränkte Freiheit und trägt außerdem zur gesellschaftlichen Bildung bei. So scheinen die Cybermultis die demokratischen Unternehmen schlechthin zu sein. Mit jeder neuen Technologie können sie ihren Vorsprung gegenüber ordinären Warenproduzenten ausbauen. Ja, ordinäre Warenproduzenten müssen sich noch bedanken, dass es das Internet gibt.

      Besteht Demokratie darin, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft untereinander auf Augenhöhe kommunizieren, um ihre Interessen ausgleichen zu können, scheint die Cyberworld auch die Erfüllung dieses Menschheitstraums zu bieten. Nicht nur fördert sie die freiheitliche Demokratie, sie verkörpert sie. Und zugleich führt sie die Demokratie ad absurdum. Denn nicht der Mensch selbst, sondern das Internet bestimmt, welche Interessen er verfolgt. Und die Gleichheit gehört ebenfalls zu den Illusionen, von denen das Internet lebt: Gleich ist man nicht, sondern man stellt sich, als wäre man es. Und was die Freiheit betrifft, so verzichtet jedermann gerne darauf, wenn er nur gut versorgt und unterhalten wird.

      Der Begriff Jedermann ist nicht zu hoch gegriffen. Allein an der Dauerkommunikation der Social Media beteiligen sich 40 Prozent der Weltbevölkerung. Doch wird durch den digitalen Austausch nicht die Gemeinschaft, das soziale Miteinander, gestärkt, sondern auf eine neue Ebene gehoben: die der gegenseitigen Anpassung. Auf der Bühne der Social Media wird das große Welttheater aufgeführt, bei dem die Mitwirkenden Schauspieler und Publikum zugleich sind. Jeder gibt sich so, wie er wünscht, von den anderen gesehen und akzeptiert zu werden. Jeder passt sich dem Stück, das gerade gegeben wird, an. Jeder spielt die Rolle, die sich Ich-selbst nennt.

      Doch bevor jedermann diese Identität im Medium finden konnte, hat er sich als das, was er wirklich ist, bereits aufgegeben, Distanz hergestellt zu sich selbst und Anderen. Ebendies lässt sich alltäglich auf der Straße beobachten, wenn dieser Jedermann, das Smartphone vor Augen, an einem vorbeihuscht. Womit er zu verstehen gibt, dass er ganz woanders ist und Wichtigeres zu tun hat. Aber damit ist er woanders, als er selbst ist, und hat Wichtigeres zu tun, als er selbst zu sein.

      Das widerspricht natürlich dem weltoffenen, menschenfreundlichen Image des Silicon Valley. Der Eindruck, dass es sich hier um eine künstliche Welt handelt, in der die Corporations als Scheinpersonen die Menschen selbst in Scheinpersonen verwandeln, muss vermieden werden. Den industriellen Großunternehmen stellte sich dieses Problem seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie lösten es auf schlaue Weise: Aus der abstrakten Person ließen sie, wie das Kaninchen aus dem Hut, eine lebendige Person hervorgehen. Man »personalisierte« die Institution und stellte deren Belegschaft als »Familie« dar. Das Wort »Corporation ist kalt«, so erklärte ein General-Motors-Boss in den 1920er Jahren, während »Familie persönlich, menschlich, freundlich ist. Und so wollen wir, dass unsere Firma gesehen wird: als großer, von einem gemeinsamen Geist erfüllter Haushalt«.30

      Ein für die Werbung passender Haushaltsvorstand ist schnell gefunden. Er kann gern prominent sein und das »Gesicht« der Firma liefern, er muss sympathisch und irgendwie normal sein. Einer wie du und ich. Oder ein Wesen aus der infantilen Traumwelt der Comics, eine Mickey Maus, ein Michelin-Männchen oder, bei McDonald’s, der Luftballonclown Ronald McDonald. Kann ein Clown das 66-Milliarden-Bouletten-Imperium vertreten, so mochten viele Amerikaner gedacht haben, dann kann auch ein Clown an der Spitze der Vereinigten Staaten stehen.

      Diese Lenkung der Wahrnehmung, das sogenannte Perception Management, hat das Silicon Valley nicht nötig. Es besteht nicht nur aus den anonymen »Rechtspersonen« der Corporations, sondern wird von wirklichen Personen vertreten, die diese Firmen perfekt verkörpern: Gates ist Microsoft, Zuckerberg Facebook, Page Google, Bezos Amazon. Es sind einzelne Menschen, genial wie du und ich, die unsere Cyberworld am Laufen halten. Mit ihrem betont natürlichen Verhalten vermeiden sie die egoistische Kälte, die von den anderen Unternehmen ausströmt. Oder die Lächerlichkeit eines Ronald McDonald. Statt wie dieser Luftballons zu verteilen, verteilt Gates philanthropische Stiftungen, widmet sich angelegentlich der Rettung des Planeten und zerstreut damit letzte Zweifel an der Menschheitsmission der Cybermultis.

      Auch von der Laune des Marktes haben sich die Herren des Valley frei gemacht. Sie sind der Markt. Normale Unternehmen leiden unter wechselnden Vorlieben ihrer Kunden, denen sie jeweils die »Produktpalette« anpassen müssen. Die Technologie-Plattformen bestimmen auf subtile Weise, in welche Richtung sich diese Vorlieben zu bewegen haben. Die gepriesene Wahlfreiheit der Käufer wird ausgeschaltet, indem man einen Gruppenkonformismus erzeugt. Dem beugt sich jeder, der dazugehören will. Aus Kundenlaune wird Kaufzwang. Wer Sehnsüchte nach Produkten wecken kann, kann diese auch verkaufen. Nicht länger muss er sie, wie gewöhnliche Unternehmen, den Kunden andienen. Er teilt sie ihnen zu.

      Bereits im Begriff »Plattform«, mit dem die Cybermultis sich selbst bezeichnen, liegt eine Irreführung. Sie schließt jeden Gedanken an Eigennutz aus. Bewusst suggeriert der Begriff Plattform, dass sie keine Unternehmen sind, die Produkte verkaufen. Stattdessen bieten sie, so ihre Selbstdarstellung, anderen Unternehmen großzügig Freiräume, in denen diese ihre Produkte verkaufen können. Denn wer sich exponiert, verkauft sich. Den Nutzern wiederum bieten sie das größte Produktangebot der Welt. Hier gibt es alles, und zwar sofort.

      Die Plattformen selbst halten sich aus diesem Massentausch heraus. Sie müssen sich nicht verkaufen, denn man kommt von selbst zu ihnen. Sie verstehen sich auch nicht als Akteure, sondern als deren Ermöglicher. Das wiederum bringt den Vorteil mit sich, dem Monopolverbot zu entgehen. Weil sie selbst keine Waren verkaufen, sondern den Verkauf nur ermöglichen, können sie auch keine Preisabsprachen für Waren treffen. Und weil sie nur passiv in Erscheinung treten, können sie auch nicht für die Produkte oder geistigen Inhalte, die auf ihnen erscheinen, zur Verantwortung gezogen werden. Wird ein Massaker live gestreamt, verdienen sie mit. Aber völlig unschuldig. Ihre Diskretion bietet den Vorteil des Nichtbeteiligtseins und der Unauffälligkeit. Man stellt sich klein und ist doch größer als die Größten. Man streicht seinen Anteil an werbungsgenerierten Gewinnen ein, ohne sich weiter um negative Konsequenzen kümmern zu müssen.

      Und doch bleiben Unterschiede. Warenproduzierende Unternehmen müssen den Weg in die Wohnung der Menschen mit Werbung pflastern. Cybermultis sind bereits darin. Das Zuhause des Menschen ist eigentlich das Symbol seiner Integrität, seiner Freiheit und seines Selbstbewusstseins. In seinen vier Wänden ist er Herr seines Schicksals. Das Haus, in dem man wohnt, ist das Heim, in dem man den Druck der Außenwelt abschütteln kann. Und genau dort haben es sich die Cybermedien bequem gemacht. Bei den meisten haben sie sogar die Herrschaft übernommen: Der Fernseher läuft, die Computerschirme leuchten und das Smartphone summt Alarm. All dies besagt, dass das wahre Leben nicht zuhause, sondern woanders spielt. Und dass die menschliche Freiheit darin besteht, sie sich auf interessante und unterhaltsame Weise nehmen zu lassen.

      Die Cyberwelt hat sich im Zuhause der Menschen festgekrallt. Bildschirm-Medien stellen das Gewünschte dar, dienende Medien warten auf Befehle, Amazon auf Bestellungen. СКАЧАТЬ