Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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Am nächsten Morgen mischte er sich unter die Diener des Hauskomturs, die im Remter die eichenen Tische und die Sessel zurechtzurücken und zu säubern hatten. Es war nicht auffällig, daß er öfters auch ans Fenster trat und hinaus schaute, was etwa der Feind treibe. Da sah er nun jenseits der Nogat seitwärts vom Brückenkopf die Schanze, auf der die große Steinbüchse lag, und stellte sich so, daß er genau in einer Linie an sich vorbei den Granitpfeiler und das Geschütz hatte. Dort hing er, als ob es ihm bei der Arbeit zu heiß werde, seine rote Mütze auf und vergaß sie dann absichtlich, als der Hausmeister die Leute hinaustrieb, da sich die Herren schon im Gange sammelten. Niemand achtete darauf.
Bald füllte sich das hochgewölbte Gemach mit allen den Edelsten, die in der Burg versammelt waren. Der Statthalter eröffnete frohen Mutes die Versammlung und forderte der Brüder und Genossen Rat. Lebhaft wurde hin und her gesprochen. Da krachte von drüben ein Schuß; eine mächtige Steinkugel riß die steinernen Leisten und bleiernen Einfassungen des Fensters fort, daß die Glassplitter durch den ganzen Saal flogen, sauste dicht am Pfeiler vorbei und schlug tief in die gegenüberliegende Wand ein, keinen der Anwesenden beschädigend. Trefflich hatte der Büchsenmeister gezielt: die rote Mütze war verschwunden. Seine Schuld war's nicht, daß die Kugel ein wenig aus der Bahn wich und den Pfeiler um einen Zoll verfehlte.
Das war auf uns abgesehen, rief Plauen. Ich wette darauf, daß eine Verräterei im Spiele ist. Gott hat diesmal gnädig geholfen. Aber wir wollen deshalb den Feind nicht in Versuchung führen, nochmals sein Glück zu erproben. Gehen wir hinüber nach dem Kapitelsaal, unsere Beratung fortzusetzen.
Mit gespannter Erwartung hatte der König aus einiger Entfernung das rote Zeichen beobachtet. Er vernahm auch den Schuß und sah das Fenster splittern. Aber das Haus fiel nicht ein, und bald antworteten die Belagerten mit einem so kräftigen Ausfall, daß er Not hatte, seine Person in Sicherheit zu bringen. Auch diese Hoffnung, sich der Burg zu bemächtigen, war vereitelt.
Wenige Tage darauf trat der Großfürst in sein Zelt und begehrte eine geheime Unterredung. Er sah finster aus und trug unter dem Eisenhut den Kopf gebückt.
Was ich dir zu sagen habe, Vetter, begann er, wird dir wenig gefallen – und mir selbst gefällt's wenig. Aber die Not zwingt mich zu einem verzweifelten Entschluß. Meine Litauer haben tapfer gekämpft und keine Mühe gescheut. Überall sind sie im Vordertreffen gewesen, wo es galt, den Feind im offenen Felde zu empfangen; die schlechtesten Lagerplätze hat man ihnen angewiesen, und sie haben nicht gemurrt. Nun sind aber ihre Reihen jämmerlich gelichtet. Tausende hat der Feind erschlagen, noch mehr Tausende sind der schrecklichen Krankheit erlegen, die im Lager wütet und gerade unter den Litauern, Russen und Tataren die meisten Opfer fordert. Deshalb sind die Bojaren zu mir gekommen und haben mir vorgestellt, daß mein ganzes Heer der Vernichtung geweiht sei, wenn ich sie nicht schleunigst zurückführe. Längst sei die Zeit verstrichen, für die sie sich zum Dienst gestellt, das Ende der Belagerung aber nicht abzusehen. Konnte ich widersprechen? Deshalb bitte ich deine Gnade, uns zu entlassen.
Da erschrak der König, daß er bleich im Gesicht wurde und am ganzen Leibe zitterte. Das geschehe nimmer, rief er, daß wir uns jetzt trennen! Bedenkt die Schmach, wenn wir diesen so glorreich begonnenen Krieg mit einem Rückzuge endigen, den Hohn des Feindes, wenn er uns von den Mauern der Burg das Lager abbrechen sieht. Sollen wir umsonst gekämpft und unserer Völker Blut vergossen haben?
Es ist alles bedacht, antwortete Witowd, bevor ich in dein Zelt trat. Unmögliches darf ich meinen Leuten nicht zumuten. Du weißt, daß auch unser Herrscherwille seine Grenzen hat, und ich habe auf den Gehorsam derer nicht zu rechnen, die sich von der Pest, dem unbesieglichen Feinde, bedroht sehen. Führe ich sie nicht, so werden sie ohne mich gehen. Dann ist mein Ansehen für alle Zeit hin, und ich werde dir auch künftig nicht zu Dienst sein können, König.
Jagello saß gebückt und maß ihn mit einem ängstlich lauernden Blick. Gestehe, daß du erzürnt bist, sagte er, ich weiß nicht worüber. Du willst mir deshalb Verlegenheiten bereiten.
Der Großfürst schüttelte das Haupt mit dem langen strähnigen Haar. Ich bin nicht erzürnt, entgegnete er ruhig, obwohl ich Grund hätte, es zu sein. Du hast auf meinen Rat nicht geachtet, mich zurückgehalten, wie du konntest, nicht wie einen Verwandten, sondern wie einen Diener behandelt. Aber bei unserer Väter Freundschaft, ich komme nicht im Zorn, sondern weil die Not mich zwingt.
Der König rückte auf seinem Sessel vor, ergriff seine Hand und drückte sie krampfhaft. Gedenke unseres Eides, Witowd, flüsterte er, unseres Racheschwures! Sollen wir unsere Rache nicht haben, da wir schon den Fuß auf des verhaßten Gegners Nacken setzten? Bei unserer Väter Freundschaft, die du anrufst, bleibe!
Unsere Zeit ist noch nicht um; wir haben hoffentlich noch einige Jahre zu leben. Lassen wir unserem Feinde eine Frist – weil es nicht anders sein kann. Und wann, meinst du, schlagen wir eine zweite Schlacht bei Tannenberg? Wann stehen unsere Lagerzelte wieder unter den Mauern dieser Burg? Das Glück lacht uns nicht zum andernmal, wenn wir ihm jetzt den Rücken kehren. Witowd – ich bitte dich – bleibe!
Und wenn du mir zu Füßen fielest, ich könnte dir keine bessere Antwort geben. Aber laß deshalb noch nicht alle Hoffnung schwinden. Deine Polen haben weniger gelitten, widerstehen kräftiger der bösen Krankheit. Dein eigenes Heer, gut verteilt und angeführt, reicht aus, die Belagerung fortzusetzen. Meinst du denn, ich lasse dir gern den Ruhm, die Marienburg zu bezwingen?
Der König wühlte mit den kurzen Fingern in seinem Haar. Haltet noch eine Woche stand!
Unmöglich!
Noch drei Tage – Witowd, drei Tage!
Ich will mit meinen Heerführern deshalb sprechen und diese drei Tage erbitten. Aber ich fürchte – Versprich ihnen, was du willst, zum Lohn; ich will ein Wort einlösen. Drei Tage nur! Eine lange Nacht hindurch rang der König mit seinem Stolz. Dann entschloß er sich mit Zähneknirschen zu dem ersten Schritt rückwärts. Er schickte einen Herold nach der Marienburg und ließ dem Statthalter den Frieden anbieten auf die früher vergeblich im Lager gestellten Bedingungen.
Heinrich von Plauen war aber jetzt nicht mehr desselben Sinnes. Vertrauend auf den tapferen Beistand seiner Streitgenossen und auf den Sieg der guten Sache, antwortete er: Saget Eurem Könige, daß ich nur damals jene Bedingungen für ihn hatte. Lebend kann ich das Haus nun und nimmer übergeben.
Am folgenden Tage zog Großfürst Witowd mit seinen Litauern ab. Die Lagerplätze waren so verpestet, daß sie nicht von andern Truppen besetzt werden konnten. Die Russen folgten ihm.
Wenige Tage später brachen auch die Herzöge von Masowien auf.
Im polnischen Lager ging das Gerücht um, daß von Norden her ein großes Heer im Anzuge sei und neuer Kampf mit dem erstarkten Gegner bevorstehe. Mehrere von den polnischen Großen rafften ihre Beute zusammen und machten sich heimlich aus dem Staube.
Aber noch wollte der König vom Abzuge nichts wissen. Unerträglich war ihm der Gedanke, die Frucht seiner Siege vor den Mauern der stolzen Feste wegwerfen zu müssen. Mit fieberhaftem Eifer griff er jetzt überall selbst ein, ordnete er Maßregeln zur festeren Umschließung der Burg an. Eine Woche und noch eine Woche hielt er stand.
Und schon schien es, als ob endlich doch die Belagerten durch den Hunger gezwungen werden sollten. Die Kornvorräte verminderten sich zusehends jeden Tag; das Schlachtvieh der Marienburger war längst aufgezehrt. Immer spärlicher wurden die Rationen der Krieger. Ausfälle nützten wenig, da die Gegend ringsum verheert war; gelang es auch einmal, ein Lastschiff zu nehmen, das den Königlichen Lebensmittel zuführte, so waren doch der Hungrigen zu viele. Voll Sorge erwartete der Statthalter an jedem СКАЧАТЬ