Gesammelte Werke. Ernst Wichert
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ernst Wichert

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027237517

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СКАЧАТЬ gewiß, daß er des Mädchens wegen gekommen war, und dagegen könnt' ich nichts haben. Ein braver Jägersmann wäre mir schon recht gewesen zum Schwiegersohn, und wollt' er mein Nachfolger werden im Waldhause, so hätten wir uns von unserem Kinde nicht zu trennen brauchen. Auch ein Blinder mußte es merken, daß Mechthild Gefallen an ihm fand, und daß er rasch ihr junges Herz gewann. Einmal überraschte meine Frau die beiden, wie er sie bei den Händen hielt und ihr viel freundliche Worte sagte. Da meint' ich, es sei an der Zeit, einzusprechen, daß nichts Unziemliches hinter unserem Rücken geschehe, nahm ihn mit mir in den Wald und sprach ihm ins Gewissen, daß er uns das Mädchen nicht verstören solle, wenn er nicht redliche Absichten habe, und daß er in allen Ehren um sie werben oder mein Haus meiden müsse. Darauf gestand er, daß er Mechthild liebe und in Ewigkeit nicht von ihr lassen wolle. Was er mir aber sonst noch vertraute, gefiel mir wenig. Er sei nicht, wofür er sich ausgegeben habe, sondern aus einem edlen Geschlecht, wenn auch ein jüngerer Sohn, sei nicht unter meines gnädigen Herrn Dienerschaft, sondern unter seinen Gästen gewesen, habe Mechthild gesehen und gleich beschlossen, seinem Herzen zu folgen. Deshalb habe er seinem Jäger Leuthold das Schreiben ausgewirkt und dann selbst davon Gebrauch gemacht. Seinen rechten Namen müsse er verschweigen; vielleicht daß er ihn nie mehr annehme. Denn lieber wolle er auf Wappen und Erbe als auf des Mädchens Liebe verzichten. Auf dieses Wort möge ich ihm Glauben schenken und sein Werben nicht hindern; er hoffe sich wohl künftig mit seiner Familie zu versöhnen, und wenn Mechthild sein Weib sei, werde man sie ihm nicht nehmen können. Das war nun aber nicht nach meinem Sinn. Das Blut trat mir in die Stirn, und ich sagte ihm zornmütig: Nach alledem seid Ihr, wie Ihr's auch wenden mögt, ein Lügner oder ein Schelm oder beides zugleich. Mich und mein Weib und mein Kind habt Ihr hintergangen; Ihr habt Euch eingeschlichen in mein Haus, um mein Mädchen zu berücken, und wenn Ihr seid, wofür Ihr Euch ausgebt, so wißt Ihr am besten, daß Mechthild Euer Weib nicht werden kann. Deshalb laßt ab von ihr und geht auf der Stelle, daß Ihr nicht Schimpf über uns bringt. Nie erwartet von mir, daß ich Euch zu so unredlichem Tun die Hand biete. Mein Jäger Leuthold seid Ihr nicht mehr; wer Ihr sonst seid, das möget Ihr offen beweisen, wenn's Eurer Sippe genehm ist, daß Ihr eines Waldwarts Tochter heimführt. Das ist Euer Bescheid. – Da brauste er auf und nannte mich einen harten Mann und schwor bei allen Heiligen, daß er reine Absicht habe, und bat mich fußfällig, ihn nicht von dem Mädchen zu trennen. Ich aber blieb fest, wie es meine Pflicht war, und sagte ihm ab. Da gab's in meinem Hause viel Klage und Herzeleid, und ich sah wohl ein, wie weit er's schon heimlich getrieben hatte. Mechthild wollte sich nicht scheiden von ihm; in ihrer Herzenseinfalt verstand sie gar nicht, wie da ein Unterschied sein könnte zwischen Mensch und Mensch, und warum man es ihm verwehren wolle, ihr Leuthold zu sein und im Walde zu bleiben. Mein liebes Weib aber wurde weich und sprach ihr das Wort und meinte, es könne sich ja doch zum Guten wenden, wenn er treu und ehrlich an unserem Kinde festhalte seiner Sippe zum Trotz. Ich stand fest und hatte zuletzt meinen Willen – aber des Kindes Liebe und Vertrauen waren hin.

      Er drückte die Hand auf die Augen, zog sie aber bald wieder fort und schien etwas von sich stoßen zu wollen. Ich will's kurz sagen, begann er wieder. Nur daß Ihr begreift, wie ich – und Ihr werdet es doch nicht begreifen. Aber hört zu! Leuthold verließ mein Haus, wie ich's begehrte, und ich sah ihn nicht wieder. Den Wald verließ er nicht. Ein Köhler gab ihm Obdach, und den Tag über hielt er sich vor mir versteckt, in der Nacht aber umschlich er das Haus, und die Hunde bellten nicht, weil sie ihn kannten. Ich erfuhr's erst, als das Unglück geschehen war. Eines Morgens blieb Mechthild ungewöhnlich lange in ihrer Kammer; mein Weib ging hinauf, sie zu wecken, und kam händeringend zurück und schrie, sie sei verschwunden. Da wußten wir alles: der Bube hatte sie uns entführt. Vater und Mutter hatte sie verlassen und war dem Manne nachgegangen, der sie um ihre Ehre betrog. Unser Kind – unser einziges Kind! Wie ein wildes Tier jagte ich durch den Wald, die Spur des Räubers zu entdecken. Aber er kannte ja alle geheimsten Schleichpfade und Klüfte besser als ich. Vergebens, alles vergebens! Und wäre sie noch zu retten gewesen? Uns war sie ewig verloren. Drei Tage lang nahm ich nicht Speise noch Trank; meine Augen konnten nicht naß werden, das Herz lag mir in der Brust wie ein Stein. Das hatte mein Kind mir getan!

      Und Ihr habt nichts weiter von Mechthild erfahren? fragte Heinz, der mit wachsender Spannung zugehört hatte.

      Der Alte lachte auf wie ein Wahnsinniger. Sagt' ich Euch nicht, daß eine schwere Schuld mein Gewissen belaste? Oder meint Ihr, das sei schon Schuld genug, daß ich mein Kind vor dem Verderben retten wollte und seinem Herzen Gewalt antat? Ihr könnt recht haben, denn die Welt hat sich sonderbar verkehrt. Ich aber meinte getan zu haben, was ich vor Gott verantworten konnte, der mir dieses Leben anvertraute, und ich hielt mein Kind für schlecht und undankbar, daß es sich so von unseren Herzen löste. Ein Jahr verging – mein Weib starb vor Gram – und noch ein Jahr und noch ein Jahr. Im vierten aber ward ich weit über Land geschickt von meinem gnädigen Herrn, nach Böhmen hinein, wo sein Vetter, der edle Vogt von Plauen, große Wälder besaß, die wenig Nutzen brachten. Ich sollte sie einforsten und Waldwärter ansetzen und sie mit Weisung versehen. Als ich nun eines Tages ganz allein den Wald durchschritt und Merkzeichen in die Stämme kerbte, daß ich den Weg wiederfinden möchte, kam ich von ungefähr zu einer Stelle, wo viel Steine zusammengeschichtet und Fichtenstämme mit allem Geäste darüber hingestreckt lagen, als ob sie der Sturm niedergeworfen hätte. Ich schaffte mir aber freie Bahn und trat in den Raum ein und stieß bald auf eine Waldhütte, die sich an das Gestein lehnte. Ein kleiner Knabe spielte vor der offenen Tür mit einer Dogge. Die fuhr mich wild an, als ich mich näherte, daß ich sie durch einen Schlag abwehren mußte, und floh dann heulend ins Haus. Gleich darauf aber erschien auf der Schwelle eine junge Frau mit einem Kinde auf dem Arm und rief ängstlich: Heinrich, wo bist du? Die Stimme schlug mir bekannt ans Ohr, und das Weib – allmächtiger Gott, es war meine Tochter. Sie sah mir ins Gesicht und wurde kreidebleich und stand da wie vom Schreck gelähmt. Dann, mit einem gellenden Aufschrei, stürzte sie mir entgegen und wollte sich an meine Brust werfen. Ich aber konnte meine Arme nicht ausbreiten, sie zu empfangen. Vater! rief sie und taumelte zurück und legte das Kind zu dem Knaben ins Gras und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Hast du einen Vater? fragte ich. Sie schluchzte. Und wenn du einen Vater hast – eine Mutter hast du nicht mehr! Sie ist dem Gram um dich erlegen. Da sank sie in die Knie und rang die Hände, aber mir wollte kein Mitleid noch Erbarmen kommen. Sind das deine Kinder? fragte ich. Sie stand auf und trat vor sie hin wie zu ihrem Schutz und sagte: sie sind es. – Und du bist sein eheliches Weib geworden? fragte ich weiter, halb toll vor Schmerz. Sie sah mich bittend an und antwortete bebend: Vater – wir lieben einander! Da schwoll mir das Herz vor Zorn und schwoll und schwoll wie ein giftiger Lindwurm; das Blut schoß mir ins Gehirn und in die Augen. Verworfene! rief ich und ballte die Faust und streckte sie nach ihrer Stirn aus. Da war's, als ob der Teufel mich gepackt und plötzlich dicht vor sie hingestellt hätte. Ich fühlte einen Widerstand, und vor und unter mir sank die Gestalt zusammen – lautlos. Ich sah nichts recht: die Waldhütte und das Gestein und die Bäume gingen mit mir im Kreise herum, bis ich taumelte und zu Boden fiel. Da faßte ich eine schlaffe Hand – einen Arm – eine Schulter, da griff ich in das weiche Haar. Ich riß gewaltsam die Augen auf – da blickte ich in ein bleiches, lebloses Antlitz, und auf der Stirn – mitten auf der Stirn war ein blauer Fleck. Ich warf mich über sie, ich rüttelte sie, ich küßte sie, ich gab ihr tausend süße Namen, auf die sie als Kind gehört hatte – sie regte sich nicht, sie war tot –, ich hatte sie erschlagen. Aus dem Wipfel der Tanne hinter der Hütte flogen zwei Raben auf und umkreisten mich krächzend. Wildes Entsetzen erfaßte mich. Mörder – Mörder! hörte ich über mir rufen. Ich raffte mich auf vom Boden, durchbrach die Hecke, lief wie gepeitscht waldeinwärts – immer weiter, immer weiter, bis ich zusammenbrach. Und nach kurzem Schlaf weiter den ganzen nächsten Tag, und so am dritten weiter, fast ohne Rast. Ich kam über das Gebirge, bettelte mich durch Schlesien, durch Polen nach Preußen hinein. Da setzte ich über den breiten Fluß und suchte wieder den finsteren Wald, mich zu verstecken vor der Sonne, die meine Tat wußte. Hier brach ich zusammen vor Hunger und Elend, und wäre gestorben, wenn sich nicht die Leute im Heidenwall meiner erbarmt hätten. Und so bin ich nach vielen Monden wieder gesundet und habe beschlossen, Gott nicht weiter zu versuchen und zu bleiben, wo er mich niedergeworfen hatte, und abzuwarten, was er über mich weiter verhängen wolle. Abnehmen kann er mir die Last nicht, die ich meinem Herzen aufgebürdet habe, und täglich hängt sich der Teufel daran und will СКАЧАТЬ