Gesammelte Werke. Ernst Wichert
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ernst Wichert

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788027237517

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СКАЧАТЬ ihm ins Gesicht, als er sich des Auftrages an Maria erinnerte. Nun brannte das Päckchen ihm recht auf der Brust, und das Herz fing heftig an zu schlagen. Er stolperte die dunkle Treppe hinauf und stieß mehr als einmal gegen die Wand.

      In seinem Stübchen angelangt, ergriff er ein Dolchmesser und trennte die Fäden mit solcher Hast, daß er sich die Hand verletzte. Er dachte aber nicht daran, das tropfende Blut zu stillen, sondern riß die Leinwand ab und hob den Deckel des Kästchens auf, mit gierigen Augen hineinschauend.

      Da lag der Ring mit den blauen Steinen – Marias Ring – sein Ring.

      Ein Schwindel faßte seinen Kopf. Er mußte die Schulter gegen die Wand lehnen. Es schwamm ihm vor den Augen, und dann wurden sie plötzlich feucht. Das Vergißmeinnicht vergrößerte sich und erbleichte zugleich in diesem feuchten Nebel; er fühlte einen Stich ins Herz und zuckte schmerzlich zusammen. So stand er lange, das offene Kästchen in der Hand, und von seinem Finger tropfte das Blut zur Erde.

      Vergiß mein nicht – vergiß mein nicht, murmelte er mit bebenden Lippen, und ich hatte dein vergessen! Oh, ich bin nicht wert –

      Er stellte das Kästchen mit abgewandtem Gesicht hinter sich auf den Tisch und schwang in der andern Hand wütend den Dolch. Ich hatte dein vergessen, rief er wild – ich hatte meine Augen blenden lassen von dem Zauber einer fremden Schönheit – ich hatte mein Herz –

      Er griff ungestüm mit der Hand nach dem Herzen, als ob er's aus dem Busen reißen wollte. Dann aber wurde er ruhiger. Nein, nicht das Herz, sagte er wehmütig. Meine Gedanken konnten dich vergessen, aber mein Herz nicht – du warst in meinem Herzen – immer, immer. Ich sah dich nicht, ich hörte dich nicht – aber du warst heimlich bei mir, wie weit ich mich auch verirrte. Oh, verzeih, Geliebteste, Gütigste – verzeih, was ich gegen dich sündigte!

      Er fühlte sich erleichtert nach dieser aufrichtigen Selbstanklage und wagte nun wieder nach dem Ringe zu blicken. Er nahm ihn aus seiner Hülle von gezupfter Leinwand, betrachtete ihn mit zärtlichen Blicken und drückte ihn an die Lippen. Als er dieses Spiel eine Weile fortgesetzt und sich dabei recht innig das liebe Mädchen vorgestellt hatte, daß ihm nun Gesicht und Gestalt ganz gegenwärtig waren, kam ihm doch die Frage, wie nur der Ring zu ihr zurückgelangt sein konnte. Ein kleiner Zettel war zur Erde gefallen; er hob ihn auf und las von ungeübter Hand geschrieben: »Maria Huxer«. Jeder letzte Zweifel mußte damit schwinden, daß sie die Zusenderin war. Ah, er hätte es auch ohnedies gewußt, sein Herz gab ihm die Gewißheit. Welche wunderbare, ihm unerklärliche Fügung ihr auch den Ring zugeführt hatte – nun sie erfuhr, daß er lebe, wollte sie ihn nicht zurückhalten. Er sagte lauter und inniger als tausend Worte, daß sie ihn fort und fort liebe.

      Er steckte den Ring wieder an den kleinen Finger, der ihn früher getragen hatte, sah auf das Blättchen und sagte immer: Maria – Maria. Er fühlte ein Wohlsein durch den ganzen Körper, eine Freudigkeit und Heiterkeit des Gemüts, wie er sie lange nicht empfunden hatte. Ihm war so leicht, als könnte er sich von der Erde aufschwingen und durch die Luft zu dem geliebten Mädchen eilen, für das Geschenk zu danken.

      Er blieb den ganzen Tag im Turm und achtete nicht Hunger noch Durst. Die Nacht schlief er, den Ring am Finger, und hatte die schönsten Träume. Am Morgen kam der Kaplan, nach ihm zu sehen. Das Fräulein sei früh in der Kapelle gewesen, berichtete er, und habe besorgt nach ihm gefragt.

      Ängstlich verbarg er den Ring vor ihm. Ehe er ausging, verwahrte er ihn wieder in dem Kästchen und das Kästchen auf seiner Brust. Natalia sollte davon nicht wissen, er wollte seines Glückes ganz im geheimen froh sein, er fürchtete auch, daß sie ihm das Kleinod mißgönnen und wohl gar zu entreißen versuchen werde. Kannte er doch ihre leidenschaftliche Art. Im übrigen fühlte er sich durch sie wenig beunruhigt, der Ring war ihm wie ein Talisman, der gegen jeden Zauber kräftig sein mußte. Ihn verlangte nicht mehr nach ihren Küssen, er konnte ihr ohne Beängstigung in die glänzenden Augen sehen, über gleichgültige Dinge mit ihr sprechen. Er glaubte nun zu begreifen, warum er ihr nicht habe sagen können, daß er sie liebe. Er hatte ihr es sicher nicht gesagt, und es überraschte ihn nun, daß er sich dessen ganz klar wurde.

      Das aber ahnte er nicht, daß Natalia gerade dieses Wort erwartet hatte, daß sie ihn zwingen wollte, es auszusprechen, indem sie ihre Leidenschaft bezwang, die ihm unverdient schon zu weit entgegengekommen war. Nun verstand sie ihn gar nicht mehr. Sie bemerkte die Wunde an seinem Finger und wollte wissen, wie er sie sich zugezogen habe. Er habe sich mit dem Dolch verletzt, sagte er, ganz zufällig. Warum spielt Ihr auch mit dergleichen, warf sie ihm neckisch vor. Oder war's Ernst? Wolltet Ihr Euch wohl gar ans Leben, weil ich Euch gestern die Freiheit gegeben habe? Er sah sie verwundert an. Habt Ihr mir die Freiheit gegeben? Nein, das waret Ihr doch nicht. Sie faßte seine Hand und rüttelte sie ein wenig. Ihr scheint mit offenen Augen zu träumen, sagte sie.

      Es ärgerte sie, daß er nun so gar nichts darauf zu antworten wußte, da er ihr doch etwas Freundliches hätte sagen können. Er schien's aber kaum zu wissen, daß sie von ihm fort und zu den Vettern trat. –

      Das Wetter änderte sich plötzlich. Der Wind schlug nach Süden um, der Himmel reinigte sich von Wolken, die Sonne brannte heiß wie in manchem Jahre noch nicht im Mai. Bald erwärmte sich die Luft, der Schnee schmolz auf den Dächern und Feldern, in breiten Rinnen ergoß sich überall das Wasser in den Strom, auf dem die Eisdecke stündlich dünner wurde.

      Nach fünf oder sechs solchen warmen, sonnigen Tagen brach dann ebenso unvermittelt in einer Nacht ein furchtbarer Sturm von Westen los. Man hörte es von der Weichsel her krachen und knallen, als ob Hunderte von Geschützen in Tätigkeit wären. Als Heinz am Morgen aus dem Fenster sah, war der Fluß hoch angeschwollen; gewaltige Eisschollen trieben auf den schwarzgrauen Fluten, verdrängten einander, türmten sich hoch auf, zerschellten, schoben sich am Ufer in die Höhe. Es war ein furchtbarer Anblick. Nordwärts lag wahrscheinlich die Decke noch fest und wollte dem Andrang nicht sofort weichen. Wie gewaltige Mauerbrecher kamen die Schollen mit rasender Eile angeschwommen und warfen sich gegen die Eisberge. Einen Augenblick schien Stillstand einzutreten, der Strom zurückzustauen. Dann in der Ferne ein furchtbarer Krach, ein Ächzen und Stöhnen, ein Pfeifen und Gurgeln – der Widerstand war gebrochen, eine neue Wasserstraße durch das Eis gerissen. Und wieder setzte sich die Masse vorwärts in Bewegung, erst geschlossen, dann in gelösten Teilen, endlich in kleinen, schwimmenden Inselchen vergleichbaren Schollen. So ging's einige Tage fort, bis der Strom von Eis frei war. Die Juden hatten ihre liebe Not, die Flöße zusammenzuhalten, die am Ufer des Flusses lagerten und nun durch das anstauende Wasser vom Boden abgehoben wurden. Die Balken wurden durch Baststricke miteinander verbunden, aber sie zerrieben sich bei dem fortwährenden Auf- und Abtauchen an vielen Stellen und konnten dann nur schwer ersetzt werden. Auch war auf die Anker achtzugeben, die der mächtigen Strömung nicht überall widerstehen konnten und sich mitziehen ließen.

      Die ganze Bauernschaft von Sczanowo war aufgeboten. Mit langen Stangen bewaffnet standen die Leute auf den schwankenden Holztafeln und hielten von denselben die anschwimmenden Eisschollen ab. Hatten sie sich zu fest zusammengeschoben, so sprangen sie wohl auch hinauf und suchten in einiger Entfernung die Straße frei zu machen.

      Setzte sich die Decke dann wieder in Bewegung, so hatten sie Mühe, wieder das Land zu erreichen. Einige waren auch nicht so glücklich und trieben mit den Schollen fort. Man machte davon nicht einmal so viel Aufhebens, als wenn Stämme vom Floß abgerissen und von den Wellen entführt wurden. Die Leute würden eine Strecke weiter sicher zusammengestautes Eis antreffen und dann den Übergang nach dem Ufer finden, von dort aber zu Fuß zurückkehren.

      Alle diese Arbeiten wurden mit wildem Geschrei ausgeführt; man schien den Sturm übertoben zu wollen. Die Juden, deren Eigentum in Gefahr war, liefen ängstlich hin und her, baten, ermunterten, schimpften und fluchten in polnischen und hebräischen Lauten. Für den Zuschauer war's ein bewegtes Bild, und es fehlte zu keiner Stunde an Zuschauern. Herren und Damen aus dem Schlosse fanden sich auf der Uferhöhe СКАЧАТЬ