Gesammelte Werke. Ernst Wichert
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ernst Wichert

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788027237517

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СКАЧАТЬ Den Kern desselben bildete eine Lade zum Aufbewahren der Gerätschaften; auf den beiden Flügeln der Tür waren Heilige mit breiten Goldscheinen ums Haupt abgebildet, sie hatten die langen Hände zusammengelegt, daß die Fingerspitzen einander berührten, und die Handgelenke so ausgedreht, daß die Hände glatt auf die Brust drückten. Seitwärts in halber Wandhöhe zeigte sich ein Bild, dem besondere Verehrung gezollt zu werden schien, denn es hing eine Ampel davor, in der das Lämpchen auch jetzt bei Tage brannte, und in der Nähe hingen allerhand Weihgeschenke. Heinz konnte aus der Entfernung die Malerei nicht erkennen und trat heran. Das Bild stellte eine Mutter Gottes mit schwarzbraunem Gesicht vor; die Krone war mit Edelsteinen besetzt, die im Licht des Lämpchens sanft funkelten. Der Kaplan hatte oft davon gesprochen und erzählt, daß der alte Graf es aus Ungarn mitgebracht habe, wohin es von Byzanz oder vielleicht vom heiligen Berge Athos gekommen sei. Der römischkatholische Bischof habe es nochmals geweiht, und nun glaube man weit und breit an seine Wundertätigkeit, da schon manchem ein Gebet an dieser Stelle von körperlichen Gebrechen geholfen habe. Heinz vertiefte sich in das braune Gesicht, das bei längerem Anschauen an Reiz gewann. Der kleine Mund lächelte so freundlich, und die Augen schienen sich lebendig auf ihn zu richten. Er faltete unwillkürlich die Hände und sank in die Knie. Alle die Gebete, die er als Schulknabe gelernt hatte, sprach er leise vor sich hin.

      Sie genügten seinem frommen Bedürfnis nicht, aus tiefstem Herzen heraus sagte er in eigenen Worten dem Himmel Dank für die wiedergeschenkte Gesundheit und bat zugleich Gott, die Heilige Jungfrau und alle Heiligen, daß sie seiner treuen Pflegerin vergelten möchten, was sie Gutes an ihm getan. Dabei sah er zu dem Bilde auf, und es erschreckte ihn fast, wie nun die Augen zu ihm hinabblickten. Er mußte an das Gesicht denken, das sich über ihn gebeugt hatte, als er nach der Fahrt vom Schlachtfelde hierher erwachte und sich zuerst wieder am Leben fühlte.

      So mischten sich nun doch weltliche Gedanken in seine Andacht. Das beschwerte ihn. Er erhob sich, trat an den Altar und betrachtete die langgestreckten Heiligen mit ihren ernsten, hageren Gesichtern und starr zum Himmel gerichteten Augen. Sie hatten Marterwerkzeuge in den Händen und schienen für die Qualen zu danken, die sie auf Erden erlitten hatten. Heinz konnte jetzt nicht mit ihnen fühlen, da sein Leib frisch und sein Herz froh war. Er verrichtete noch in förmlicher Weise ein kurzes Gebet, in dem er sich ihrer Fürbitte bei Gott empfahl, daß er seiner Sünden entledigt werden möchte, und verließ die Kapelle.

      In der Halle dachte er nicht mehr an den geschossenen Vogel und den beabsichtigten Spaziergang um das Schloß herum. Es fiel ihm ein, dem Kaplan einen Besuch abzustatten, zu dessen Zelle wahrscheinlich der Mauereinschnitt gegenüber der Treppe führte. Auch das gab er auf; es zog ihn in sein Turmstübchen zurück.

      Als er hinter dem Türvorhang angelangt war, hörte er innen ein lautes Schluchzen. Er horchte erschreckt eine Weile – es nahm ab und verstärkte sich, wie bei jemand, der recht leidenschaftlich weint. Wer das sei, konnte er an der Stimme nicht erkennen. Nun schlug er den Vorhang zurück und trat einen Schritt vor. In der Fensternische stand Natalia, beide Hände gegen das Gesicht gedrückt, so daß der Kopf mit dem lockigen Haar in den Nacken gesenkt war. Sie war die Weinende.

      Er machte in der Überraschung eine hastige Bewegung vorwärts, die ihn verriet. Sie schrak sichtlich zusammen, riß die Hände von den Augen und starrte ihn ganz verwirrt an. Aber nur einen Augenblick. Dann zuckten alle Muskeln, die Augen blitzten, der Mund öffnete sich wie zu einem jauchzenden Lachen. Ihr seid's, rief sie und eilte ihm entgegen, Ihr seid's! O mein Gott, wie ich in Angst um Euch war!

      Er ergriff ihre Hände, die sie ihm entgegenstreckte. Natalia, sagte er verwundert, was ist geschehen? Weshalb diese Tränen?

      Weshalb –? Ich kam hinauf, rief und erhielt keine Antwort – ich trat ein und fand das Gemach leer … Er fing an zu begreifen. Und Ihr fürchtetet –? Ihre Hände zitterten in den seinen, die Tränen strömten

      wieder über die Wangen, sie beugte sich vor und senkte zugleich den Kopf, als wollte sie hindern, daß er ihr glutrotes Gesicht sehe. Fragt nicht – sagte sie leise und doch mit leidenschaftlichem Ausdruck. Wenn Ihr fortgegangen wäret –

      Er zog sie bewegt näher an sich heran. Wie durfte ich? fiel er ein. Ich bin ja Euer Gefangener!

      Sie machte gewaltsam ihre Hände frei, fiel ihm stürmisch um den Hals, richtete sich an seiner Brust auf und bedeckte seinen Mund mit feurigen Küssen. Ja – mein, mein, rief sie, mein!

      Er hielt die schlanke Gestalt in seinen Armen und drückte sie fest an sich. Sein Blut fing an heißer zu wallen – sein Herz klopfte an ihrem Busen, er erwiderte ihre Küsse. Es kam eine Trunkenheit über ihn wie von feurigem Wein; seine Hände wühlten sich in ihr Haar, seine Augen sprühten Blitzfunken; er lallte unverständliche Worte.

      Plötzlich fühlte er seine Lippen von ihren scharfen Zähnen gebissen, daß er zurückzuckte. Sie riß sich los und eilte fort. Nun weißt du alles –! rief sie, und verschwand hinter dem Vorhang.

      Er blieb wie betäubt stehen. Der Kopf schwindelte ihm; er hatte die Empfindung, daß die Stirnwunde wieder aufbrechen müßte, so trieb das Blut hinein. Wirklich taumelte er zur Seite und sank aufs Bett.

      Dort lag er lange Zeit, halb wachend, halb träumend. Es war ihm, als fühlte er noch immer den warmen Leib, den feurigen Atem. Er hörte ein Schluchzen und Jauchzen – hinter dem Türvorhang her klang es ihm noch immer: Nun weißt du alles! Ja, er wußte nun alles –: er war geliebt. Und mit welcher Leidenschaft geliebt!

      Er berauschte sich in der Erinnerung an die Minuten seligen Genusses. Er dachte nicht, er schwelgte in Empfindungen, die immer unbestimmter und verschwommener wurden. Er hatte den Kopf in das Kissen gedrückt und die Augen geschlossen. Bald bemächtigte sich eine tiefe Mattigkeit aller seiner Glieder – er schlief ein.

      Recht verwundert blickte er um sich, als er gegen Mittag erwachte. Es dauerte eine Weile, bis er sich mit seinen Gedanken in die Wirklichkeit fand. Die Lippe schmerzte ihn; sie war ein wenig angeschwollen. Das erinnerte ihn wieder lebhafter an die Küsse des reizenden Mädchens. Aber er hatte jetzt nicht dabei das Gefühl vollkommenen Wohlseins, berauschenden Entzückens. Warum hat sie dir weh getan? mußte er denken. Es kam ihm jetzt nicht die Vorstellung, daß er geliebt sei, nur daß er einen Augenblick etwas sehr Wonniges genossen hätte. Und die Lippe schmerzte ihn.

      Er trat ans Fenster und schöpfte Luft. Unten im Schnee am Grabenrande bewegte sich eine dunkle Masse. Es war der Vogel, der nicht sterben konnte und noch immer versuchte, sich aufzurichten. Heinz sah diesen Bemühungen zu, ohne jetzt etwas wie Mitleid zu empfinden. Es war grausam, das Tier nicht zu töten; aber es kam ihm jetzt gar nicht in den Sinn, noch einen zweiten Pfeil auf die Armbrust zu legen oder nach seiner Beute auszugehen.

      Ein Diener brachte ihm das Mittagbrot. Sonst hatte Natalia ihm den Tisch bereitet, nun blieb sie aus, so lange er auch wartete. Das Essen schmeckte ihm nicht, und er ließ die zweite Schüssel unberührt.

      Sie kam auch den ganzen Nachmittag nicht. Abends trat der Kaplan zu ihm ein, aber dessen Gesellschaft behagte ihm so schlecht, daß er ihm nur mürrische Antworten gab und ihn bald damit verscheuchte. Es dunkelte früh, und niemand brachte ihm Licht. Unmutig ging er im Gemach auf und ab, die Hände in die Pelzärmel gesteckt; nie vorher hatte er es so kalt und unbehaglich gefunden.

      Die Stunden schlichen hin. Er wußte nicht, was er mit sich anfangen sollte, hatte nicht einmal recht den Mut, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. So dunkel es um ihn war, so dunkel wurde es nun auch in ihm, und er hatte das Gefühl, als ob er sich fürchten müsse auszuschreiten, weil er gegen eine Wand stoßen oder in eine Grube fallen würde. Lange vor der gewohnten Zeit suchte er sein Lager auf, aber es fehlte ihm das Bedürfnis des Schlafes ganz und gar. So wälzte er sich herum. Als er endlich doch einschlief, hatte er einen beängstigenden Traum. Er war in der Kapelle und kniete vor dem wundersamen Muttergottesbilde, die Augen zu СКАЧАТЬ