Gesammelte Werke. Ernst Wichert
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ernst Wichert

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027237517

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СКАЧАТЬ und dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit anscheinend allen gleichmäßig oder eigentlich keinem von ihnen zu, sondern tat jeden Augenblick, was sie wollte, und überließ es den andern, ihrem Beispiel zu folgen.

      Heinz wurde innerlich mehr und mehr verstimmt. Er hatte sich in der langen Zeit daran gewöhnt, Natalia allein für sich zu haben; schien sie doch nur für ihn zu leben. Das enge Turmstübchen war ihm durch ihre stete Gegenwart ein lieber Aufenthaltsort geworden. Kaum war er hinausgetreten, so mußte er glauben, sie in der Weite zu verlieren. Es war, als ob sie ihm recht geflissentlich zeigen wolle, wie wohl sie sich in der Freiheit fühle, wie es ganz in ihrem Belieben stehe, die Entfernung zwischen sich und ihm zu erweitern, während es ihn auch jetzt zu einem engen Zusammenschlusse drängte. Anfangs entschuldigte er sie damit, daß sie sich vor den Vettern zurückhalte, die sie wohl im Verdacht gehabt haben mochten, daß sie selbst ihres Gefangenen Gefangene geworden sei. Aber das paßte wenig zu ihrer sonstigen Art, sich um deren Urteil nicht im mindesten zu bekümmern und stets ihren Neigungen rücksichtslos nachzugeben. Was sollte er also von ihrem sonderbaren Benehmen halten? Sie hätte ja auch so oft Gelegenheit gehabt, ihm im geheimen zu verstehen zu geben, daß sie sich ihm nahe verbunden wußte. War's eine bloße Laune gewesen, daß sie sich ihm an die Brust warf und ihn durch die Leidenschaftlichkeit ihrer Empfindungen überraschte? War's auch jetzt wieder eine bloße Laune, wenn sie sich stellte, als wäre zwischen ihnen nichts vorgegangen? Erwartete sie, daß auch er sich nun bescheiden zurückziehe, oder wünschte sie ihn kecker und kühner auch in Gegenwart der Verwandten? Er konnte nicht daraus klug werden.

      Und es reizte ihn fortwährend, daraus klug zu werden. Wäre er sich einer tieferen Neigung bewußt gewesen, vielleicht hätte er ihr sonderbares Wesen besser verstanden.

      Nun dachte er nur immer an jenes letzte wonnige Beisammensein im Turmstübchen und füllte seine Phantasie mit Bildern, wie köstlich sich's an jedem Tage und zu jeder Stunde wiederholen könnte. Es ärgerte ihn, daß sie ihm entzog, was ihm doch schon gehörte, und er merkte dabei gar nicht, wie wenig sein Herz beteiligt war. Sie zu bezwingen, war sein ganzes Verlangen; und es wurde immer stürmischer, je freier und unabhängiger er sie sah. Nun nannte er sie grausam, weil sie sich seiner Willkür nicht überließ.

      Eines Tages, als die Gesellschaft zu Pferde hinter einem Wolfe her war, der sich frecherweise aus dem Stalle ein Schaf geholt hatte, stachelte er so lange ihren Ehrgeiz, bis sie sich zu einen Wettritt über eine steinige Waldblöße entschloß. Bald waren sie ihren Begleitern weit voraus. Die Pferde schäumten und schnoben. Heinz gab sich nur halbe Mühe, seine kühne Vorreiterin zu überholen, seine Absicht war, sie möglichst weit von der lästigen Vetterschaft zu entfernen. Näherte er sich, so trieb sie ihr keuchendes Pferd zu noch tollerem Gange an. Um jenen Baum, rief sie ihm zu, und dann zurück! Ihr hättet die Wette nicht wagen sollen.

      Das war nicht nach seinem Wunsche. Erreiche ich den Baum vor Euch, antwortete er, so ist sie gewonnen, und wir können dann die Tiere verschnaufen lassen, bis man uns nachkommt.

      Es gilt, sagte sie nach kurzem Bedenken, und spornte ihr Pferd an.

      Nun durfte er die Wette nicht verlieren. Bald war er an ihrer Seite. In rasendem Laufe jagten sie über Stock und Stein auf die Eiche zu. Schon war sein Gaul um eine Kopflänge voraus – keine fünfzig Schritte war's bis zum Ziele. Sie ermunterte ihr ermattendes Pferd durch lauten Zuruf. Es raffte sich zu einigen hastigen Sprüngen auf und gewann dadurch wieder die Vorhand. Da stolperte es über eine Wurzel des mächtigen Baumes, die sich weit vom Stamme fortstreckte, und sank in die Knie. Natalia wäre vornüber gefallen, wenn Heinz sie nicht eiligst am Arme gefaßt hätte. Das Pferd richtete sich auf, aber der rechte Vorderfuß war beschädigt und lahmte. Die Wette war nicht zum Austrag gekommen.

      Nun mußte sie sich doch entschließen, langsam an seiner Seite zurückzureiten. Es schien ihr verdrießlich zu sein, denn sie verhielt sich ganz stumm und gab mehr als notwendig auf den Zügel acht. Er ließ sie nicht aus dem Auge, und das war ihr vielleicht unbequem. Diesmal ist dafür gesorgt, sagte er schalkhaft nach einer Weile, daß Ihr mich neben Euch leiden müßt. Es bleibt Euch nichts übrig, als mir Rede zu stehen.

      Sie senkte den Kopf und biß die Lippe. Das bemerkte er, nicht aber, daß unter dem Schein der langen Wimpern die Augen lebhafter blitzten. Ich hoffe, entgegnete sie, sich über den Hals des Pferdes beugend und den lahmen Fuß besichtigend, daß der Junker von Waldstein nicht unedelmütig einen Zufall benutzen wird, der gegen mich Zwang übt.

      Ihr täuscht Euch, sagte er, indem er dicht an sie heranlenkte. Ich habe wirklich die größte Lust, so unedelmütig zu sein und diesen sehr glücklichen Zufall zu nützen, um mir Gewißheit über etwas zu schaffen, das mich schwer beunruhigt. Seit vielen, vielen Tagen ist dies wieder die erste Minute, in der ich mit Euch allein bin.

      Sie lächelte. Ich werde Euch nicht hindern können zu sprechen und also hören müssen. Ob ich aber antworte … Es kommt darauf an, was Ihr mir zu sagen habt, Junker.

      Mein Himmel! Was kann ich Euch anders zu sagen haben, als daß ich Euch gar nicht mehr verstehe? Wie waret Ihr so mild und gütig, solange Ihr mich mit Eurem Besuch im Turmstübchen beglücktet! Und jetzt –

      Ihr wartet wohl gar noch jetzt dort auf mich? fiel sie hastig ein und sah ihn mit einem herausfordernden Blick an.

      Er schüttelte den Kopf. So übermütig sind meine Hoffnungen nicht. Aber Ihr seid so verändert –

      Ihr seid's ja auch.

      Ich?

      Nun – Ihr seid gesund.

      So müßte ich wahrlich wünschen, noch krank zu sein, wenn mir die Gesundheit so schweren Verlust bringt.

      Sie zog spöttisch die Lippe. Den schweren Verlust, eine Krankenpflegerin entbehren zu müssen.

      Aber welche Krankenpflegerin! Wenn ich an die letzten glücklichen Tage zurückdenke –

      Soll ich Euch noch immer wie einen Kranken behandeln, da Ihr's doch nicht seid?

      Ihr macht mich krank, wenn Ihr so mit dem Gesunden umgeht. Was soll ich glauben, Natalia, was fürchten? Ich erkenne Euch gar nicht wieder.

      Und doch bin ich gerade, wie ich immer war, bevor ich diesen Notdienst verrichtete. Es ist so meine Art zu sein. Fragt Euch doch, ob Ihr mich so nicht kennengelernt habt, als Ihr nach Buchwalde kamt. Und anders haben mich auch die Vettern nie gesehen. Gefalle ich Euch nun nicht, wie ich bin, wenn ich mich ganz ehrlich nach meiner angeborenen Art zeige, so mag ich Euch auch nicht gefallen, wenn Ihr an das bekümmerte Mädchen denkt, das an Eurem Krankenbette saß und mitleidig Eure Wunden pflegte. Ich müßte immer argwöhnen, daß Ihr Euch nur eines schuldigen Dankes entledigen wollet, den ich viel zu stolz bin, zu fordern oder anzunehmen.

      Nein, nein, rief er, das ist es nicht! So erklärt sich mir nicht dieses Unerklärliche. Ich weiß ja, daß es Euch unendlich schwer werden mußte, Eure Freiheit einzuschränken und Euch monatelang bei mir einzuschließen. Aber gerade weil Ihr mir dieses Opfer brachtet, weil ihr's so mutig und heiter brachtet, daß es Euch selbst Freude zu bereiten schien … Nein, nein, Natalia, das war kein karger Notdienst, und Ihr fürchtet im Ernst nicht, daß ich mich Euch nur zu Dank verpflichtet fühle. Hat sich mir nicht Euer Herz eröffnet? Habt Ihr mir nicht in jener letzten Stunde die Gewißheit gegeben, daß ich –

      Schweigt! fiel sie herrisch ein, und flammende Röte übergoß ihr Gesicht.

      Ich schweige nicht, fuhr er leidenschaftlich erregt fort, ich kann nicht schweigen. Wer das erlebt hat … Nein, mit einem Mindern kann er sich nicht mehr begnügen! Noch jetzt, wenn ich auf jener Stelle mit mir allein bin und die Augen schließe, ist mir's, als ob eine weiche, schlanke Gestalt sich an mich schmiegt, СКАЧАТЬ