Gesammelte Werke. Ernst Wichert
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ernst Wichert

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027237517

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СКАЧАТЬ auch jetzt nicht Andacht, was ihn bewegte. Sein Herz fragte nur immer, ob es schön und begehrenswert sei in ihrer Eigenart, wie ihm bisher nichts Weibliches erschienen war. Und nun wurden diese sonderbaren Augen lebendig und winkten ihm, die vollen Lippen schienen sich zu bewegen und zu sprechen. Du weißt nun alles – hörte er ganz deutlich, aber es war ihm nicht gewiß, ob es von dem Bilde kam. Er richtete sich auf und horchte aufmerksamer. Die Augen winkten noch lebhafter. Es war nun gar nicht ein Bild, das vor ihm stand, sondern ein Weib, das sich aus dem Rahmen lehnte und ihn zu sich lockte. Er kletterte auf den Tisch und warf dabei die Weihegeschenke hinab – Hände, Füße und Herzen von Wachs. Er achtete nicht darauf. Ein wahnsinniges Verlangen erfaßte ihn, diesen Mund zu küssen. Nun stand er dem Weibe Auge gegen Auge, beugte sich, drückte einen Kuß … Da empfand er einen stechenden Schmerz in der Lippe, taumelte zurück, fiel aus der Höhe herab auf den Steinboden nieder. Darüber wachte er auf.

      Der Morgen graute schon. Er hörte den Kaplan unten in der Kapelle singen. Der Traum war ihm ganz gegenwärtig, und ihm grauste nun vor der Madonna aus Byzanz. Gerade deshalb aber entschloß er sich, aufzustehen und in die Kapelle hinabzugehen, ein Gebet zu verrichten. Diese wüsten Gedanken und Vorstellungen waren ihm lästig, er wollte sie los sein. Der Pater freute sich seines frommen Eifers.

      Auch an diesem Tage ließ Natalia sich im Turmstübchen nicht blicken. Was hatte das Mädchen nur? So zärtlich und dann so gleichgültig! War sie gekränkt? Aber wodurch? Er sann vergeblich darüber nach. Schämte sie sich, weil sie ihn in die Lippe gebissen hatte? Es war häßlich, daß er an ihre Küsse nicht denken konnte, ohne die spitzen, kleinen Zähne zu fühlen. Vielleicht hatte sie ihm absichtlich dieses Andenken an sich gelassen.

      Gegen Abend kam der Pater und wurde jetzt freundlicher empfangen. Er selbst fing von Natalia zu sprechen an. Was nur in das Fräulein gefahren sei? Der Kranke scheine ganz vergessen zu sein.

      Ich bin nicht mehr krank, antwortete Heinz, um nur in seiner Verlegenheit etwas zu sagen.

      So seid Ihr's auch vorgestern nicht gewesen, meinte der Pater. Es bleibt auffällig, daß sich das Fräulein so plötzlich zurückgezogen hat. Habt Ihr einen Streit gehabt, Junker?

      Wahrlich nicht. Ganz im Gegenteil …

      Ah! Ihr habt sie durch Eure Zudringlichkeit beleidigt. Ich fürchtete längst –

      Auch das kann ich nicht glauben. Wir schieden meines Denkens als sehr gute Freunde.

      Freunde –?

      Heinz senkte die Augen. Ich mag Euch heute nicht beichten, Pater Stanislaus. Vielleicht ein andermal. Sagt mir lieber, ob Ihr Natalia gesehen habt und was sie ohne mich treibt.

      Ich habe sie gesehen, gestern und heute, Junker. Und was sie treibt? Das ist mir eben das merkwürdige. Sie gibt sich in allem wieder geradeso wie im Sommer, als sie mit ihrer Mutter aufs Schloß kam und bevor man Euch vom Schlachtfelde hierher brachte. Sie lacht und scherzt, jagt sich mit den Vettern in der Halle herum, springt über Tische und Bänke und treibt allerhand tolles Zeug. Heute hat sie sich auch das wildeste Pferd im Stalle satteln lassen und ist weit ausgeritten. Die Vettern wollten sie begleiten, konnten ihr aber nicht folgen und mußten allein zurückkehren. Später sah man sie vor dem Walde ihr Pferd auf der weiten Fläche tummeln. Einer von den Bauern hat erzählt, daß sie über den Baumstamm auf seinem Schlittenfuhrwerk hinweggesetzt ist, während es in Bewegung war; der Huf des Pferdes habe seinen Rücken gestreift, und er sei sehr erschrocken gewesen. Sie aber habe laut gelacht. Was sagt Ihr dazu?

      Das war so ihre Art in Buchwalde … aber ich glaubte, sie hätte sich geändert. Ich weiß nicht, ob sie mir dort oder hier besser gefiel.

      Der Pater wiegte den Kopf. Es steckt in ihr ein wilder, unbändiger Geist, der sich austoben will. Ihre Mutter soll einmal so in der Jugend gewesen sein – jetzt merkt man nichts mehr davon, die deutsche Ehe hat das Feuer gedämpft. Aber es kann noch einmal plötzlich aus dem Dache hinausschlagen: die Polinnen sind darin unberechenbar.

      An meinem Krankenbette war Natalia ihres deutschen Vaters Kind. Nun bin ich freilich nicht mehr krank –

      So scheint sie's zu nehmen.

      Hat sie gar nicht nach mir gefragt?

      Nein.

      Euch nichts für mich aufgetragen?

      Nichts.

      Es ist gut. So sagt ihr auch nicht, daß wir von ihr gesprochen haben.

      Damit brach er ab. Es ärgerte Heinz, daß sie sich so wohl ohne ihn zu befinden schien, als bedürfe sie seiner gar nicht. Er hatte sich eingeredet, daß sie sich nach dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, scheu zurückgezogen habe, ganz ihren Empfindungen lebte. Nun suchte sie gerade das lustige junge Volk auf und zerstreute sich durch ihre gefährlichen Reitkünste. Das war ihm ganz unverständlich.

      Er wollte sich trotzig zurückhalten, sie nicht grüßen lassen, ruhig abwarten, bis ihre tolle Laune verflogen sei. Er nahm sich vor, gar nicht an sie zu denken. Aber das gelang schlecht. Hatte sie ihm doch ein Rätsel aufgegeben, das ihn bei seinem Alleinsein fortwährend beschäftigte. Du weißt nun alles! Er wußte nichts.

      Seine ritterlichen Übungen setzte er fort, stets bis zur gänzlichen Ermüdung. Aber ihm blieb noch so viel trostlos langweilige Zeit. Einmal glaubte er Natalia zu Pferde im Holzgarten zu bemerken; sie sah gar nicht nach seinem Fenster hinüber. Er hielt's nicht länger aus in seiner Einsamkeit und ließ den Grafen um ein Kleid bitten und um die Erlaubnis, ihm aufwarten zu dürfen.

      Der polnische Rock mit den weiten Ärmeln, den Schnüren und dem Pelzbesatz kleidete ihn gar nicht übel. Er fand in der Halle die ganze Sippe versammelt, Männer, Frauen und Kinder. Die jungen Leute spielten Ball. Natalia warf den ihrigen einem der Vettern, der wegen seines Eintretens nicht aufpaßte, an den Kopf, eilte Heinz entgegen, faßte ihn bei der Hand und führte ihn vor. Da habt ihr meinen Gefangenen, sagte sie, für dessen Leben euch ein Vaterunser zuviel schien. Nun? Habe ich nicht auf ein gutes Lösegeld Anspruch? Dann wandte sie sich an ihn selbst. Ist Euch endlich Zeit und Weile lang geworden, Junker? Ich hatte ja doch den Turm nicht verschlossen. Ihr seid allzu gewissenhaft.

      Er drückte ihre Hand, aber sie erwiderte seinen Druck nicht, sondern zog sie fort und hob einen Ball von der Erde auf, der an ihre Füße gerollt war. Fühlt Ihr Euch nun ganz gesund? fragte sie.

      Ganz gesund, antwortete er etwas mürrisch. Es verdroß ihn, daß sie ihm so gar kein Zeichen geheimen Einverständnisses gab.

      Während er sprach, sah sie ihn an. Sie mußte wohl die kleine Narbe an seiner Lippe bemerkt haben, denn sie errötete plötzlich, wandte sich der Wand zu und warf den Ball gegen dieselbe. Wollt Ihr Euch gleich an unserm Spiel beteiligen? fragte sie, ohne umzuschauen. Laßt sehen, ob Ihr da so geschickt seid wie beim Ringstechen.

      Wie kam sie nur auf das Ringstechen, von dem seit seinem ersten Besuche in Buchwalde nicht mehr gesprochen war?

      Die Vettern nahmen ihn freundlich in ihre Mitte. Er war bald mit allen bekannt und teilte ihre Lustbarkeiten. Natalia war fast immer unter ihnen und oft ausgelassen heiter. Sie zeichnete Heinz in keiner Weise aus; er mußte sich's gestehen, daß er sich keiner sonderlichen Gunst zu rühmen habe, so genau er auch aufmerkte. Nicht einmal von weitem mit den Augen gab sie ihm ein Zeichen, daß sie in Gedanken bei ihm sei. Nur manchmal, wenn er sie von irgendeinem versteckten Platze aus scharf beobachtete, flammte eine helle Röte über ihr Gesicht oder zog sie die Lippe zwischen die Zähne. Sie sah dann geärgert aus, und er konnte zu seinen Gunsten keinen Schluß ziehen.

      Sie ritten auch zusammen aufs СКАЧАТЬ