Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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4. AN DER BÜRGERMEISTERTAFEL
Das Haus des Bürgermeisters zeichnete sich nicht vor den anderen großen Kaufmannshäusern aus, wenn schon es mit seinem hohen Spitzdach die Handwerkerhäuser und Krambuden in den Seitengassen überragte. Gehörte doch auch Konrad Letzkau dem Kaufmannsstande an, aus dem sich der Rat ergänzte, und hing es doch wieder von dessen Wohl ab, wer aus seiner Mitte für das laufende Jahr mit Ämtern betraut sein und überhaupt im sogenannten »sitzenden« Rat die Verwaltung der städtischen Angelegenheiten führen sollte. So hatte denn auch dieses Haus im unteren Geschoß sein »Kontor«, in dem die Handelsknechte und Schreiber arbeiteten, und einen tiefen Warenraum, der allerhand Proben von Asche, Wachs, Pelzwerk, Häuten, Hanf und Garn aufbewahrte. Letzkau war besonders stark beteiligt bei dem Handel nach Litauen. Seit Herzog Witowd vor nun zwölf Jahren im Vertrage zu Salinwerder an der Memel den preußischen Kaufleuten freien Handel in seinen weiten Ländern gewährt, auch zu Kauen (Kowno) eine Stadt nach deutschem Muster anzulegen begonnen und die Handelsniederlassung der preußischen Hansestädte mit großen Privilegien ausgestattet hatte, war Letzkau bemüht gewesen, für Danzig dort festen Fuß zu fassen. Er war das Haupt der Handelsgenossenschaft, die in Kauen ihre Faktorei besaß, und seine Lieger daselbst galten als die angesehensten. Vor acht Tagen erst waren die Salzschiffe, die er im letzten Sommer und Herbst befrachtet und die Weichsel hinab über das Frische Haff, den Pregel, die Deime, das gefürchtete Kurische Haff und die Memel nach Kauen geschickt hatte, zu einer kleinen Flotte vereinigt mit den Einkäufen des dortigen Kontors zurückgekehrt. Sie sollten nun wieder mit Salz beladen und abgesandt werden, bevor etwa der Krieg den Verkehr auf den Wasserstraßen stören möchte, und so gab es alle Hände voll zu tun. Übrigens hatte Herr Konrad Letzkau durch seine verstorbene Frau, die einem edlen Geschlecht angehörte, auch Landbesitz, der durch Hofleute verwaltet wurde, und Renten von Bürgerhäusern, zu deren Bau er Geld vorgeschossen hatte. Gehörte er nicht zu dem alten Stadtadel, der ursprünglich die St.-Georgen-Brüderschaft des Artushofes bildete, so nahm er doch als einer der reichsten Danziger Kaufherren an allen Ehren desselben Teil, seit er in verhältnismäßig jungen Jahren schon in den Rat erkoren wurde.
Heute war das Kontor schon am Vormittage geschlossen. In dem großen Zimmer oben, dessen zweites Fenster im Erker lag, wirtschafteten die beiden noch unverheirateten Töchter Margarete und Katharina mit den Hausmägden, die Tafel aus starken Kreuzbändern und weiß gescheuerten Holzplatten aufzustellen, so lang die Zahl der erwarteten Gäste sie forderte, die Leinentücher aufzudecken, deren Ecken mit einem Rautenkranz, dem Geschlechtswappen der Mutter, geziert waren, die Borten und Fransen glatt auszustreichen, die blanken Schüsseln und Teller von Zinn auf dem Tische zu ordnen, die Krüge zu Bier oder Met dahinter aufzusetzen und die bunten Kannen mit dem Wein zu füllen, der für die Schenkbecher und die zierlichen Setzegläser bestimmt war. Auf dem großen Herde in der Küche brannte lustig das Feuer an drei Stellen zugleich, und vom Spieße her duftete ein mächtiger Wildbraten bis in den Flur hinaus.
Nun war alles bereit, und die jungen Fräulein begaben sich in ihre Kammern eine Treppe höher, um die letzte Hand an ihren Ausputz zu legen. Sie wählten diesmal, wie es den Töchtern vom Hause geziemte, aus dem Schmuckkästchen von poliertem Eichenholz mit Elfenbeinverzierungen nicht das glänzendste Geschmeide, sondern nur einige Schnüre von weißen Perlen für Haar und Hals. Ein weitgereister Handelsfreund des Vaters hatte sie aus dem Süden mitgebracht. Sie hatten nicht lange Zeit, denn schon war der Hausherr vom Rathause zurückgekehrt und ließ sie durch die Stubenmagd mahnen, daß die Gäste jeden Augenblick zu erwarten seien. Er liebte, wie sie wußten, in allem das pünktliche Wesen, und sie zögerten daher nicht.
Bald füllte sich das Stübchen neben dem Eßzimmer. Der Schwiegersohn Barthel Groß erschien mit seiner Frau und den beiden Junkern, die nach Gebühr vorgestellt wurden; dann der Ratsherr Gerd von der Beke und sein Bruder Heinrich, der Margarete Letzkau sogleich ins Gespräch zog und ihr dann nicht mehr von der Seite wich. Sie seien einander bestimmt, hieß es. Arnold Hecht kam mit seiner Frau, der Schwester des Barthel Groß und gleich ihm von stattlicher Länge, so daß sie ihren Mann überragte, was er denn freilich in anderer Richtung durch seine Korpulenz einbrachte. Auch Günter Tidemann fand sich ein, Pfarrherr von St. Marien und ein naher Verwandter der Bekes. Er hatte in Prag studiert und stand bei den Dominikanern in Verdacht, ein Wiklefite und Anhänger von Huß zu sein, so vorsichtig er sich auch in seinen Predigten äußerte, die allen Leuten von Bildung wohlgefielen. Er erfuhr, daß Hans von der Buche die Universität Prag besucht habe, und wußte nun viel zu fragen und zu erkunden, worauf der Junker Antwort geben konnte. Endlich führte Tidemann Huxer, der Ratsherr und Schiffsreeder, seinen braven Kapitän Halewat ein und dem Hausherrn zu. Das hübsche junge Mädchen mit den schelmischen Augen und den langen braunen Zöpfen aber, das an seinem Arm eingetreten war, nahm sogleich Katharina Letzkau in Beschlag. Es war Maria Huxer, ihre beste Freundin, wie sie erst sechzehn Jahre alt.
Junker Heinz von Waldstein erfuhr's von Frau Anna Groß, die er heimlich deshalb ausfragte. Sie sei ihres Vaters einzige Tochter, und an Bewerbern aus den besten Familien werde es ihr nicht fehlen. Das freundliche Gesicht mit dem zierlichen Näschen und kirschroten Lippen gefiel Heinz auf den ersten Blick ausnehmend, und bald ließ er kein Auge mehr davon. Groß mußte ihn mit Huxer bekannt machen, der schon durch Halewat genug von seinen tapferen Taten erfahren hatte und ihm nun für die Rettung des Schiffes dankte. Sobald Maria seinen Namen hörte, war sie nur noch mit halber Aufmerksamkeit bei der Freundin. Huxer winkte sie zu sich heran. Das ist der Junker von Waldstein, Kind, sagte er und klopfte mit der rauhen Hand ihre Wange, der den Marquard Stenebreeker auf den Rücken gelegt hat. Laß dir's von ihm selbst erzählen.
So durfte Heinz nun die jungen Fräulein unterhalten, und das war ganz nach seinem Wunsch. Sie hatten viel zu fragen, besonders die muntere Maria, aber er blieb keine Antwort schuldig und wußte das Gespräch in so lustigem Tone fortzuspinnen, daß es fortwährend zu lachen gab. Als dann der Hausherr bat, an der Tafel Platz zu nehmen, reichte er mit einer höfischen Verbeugung Maria die Hand, sie zu Tisch zu führen, und sah sie dabei mit so freundlichen Augen an, daß ihr das Blut in die Wangen schoß. Setzen wir Jungen und Jüngsten uns hier ganz unten an den Tisch zusammen, sagte er, sich zu Katharina zurückwendend, die mit Hans von der Buche folgte, so wird man unsere Bescheidenheit loben und uns gern den Gewinn lassen. Er setzte sich den Fenstern gegenüber an die schmale Seite der Tafel; zu beiden Seiten nahmen die jungen Fräulein Platz. Neben Maria reihten sich Heinrich von der Beke und Margarete Letzkau ein, neben Junker Hans aber Frau Anna Groß und ihr Ehemann. Letzkau hatte die Frau seines Kumpans zu Tisch geführt, Kapitän Halewat am andern Ende der Tafel gerade unter den Fenstern den Ehrenplatz zwischen den beiden Bürgermeistern erhalten; die übrigen Gäste füllten die Lücken auf den Langseiten der Tafel.
Schüssel nach Schüssel wurde aufgetragen, und die Frauen mußten die Kunst des Koches rühmen; er hatte die Gewürze nicht gespart. Aber auch zu trinken gab's nach Herzenslust. Da wurde geprobt, ob das Wismarer Bier wirklich besser schmecke als das Danziger und seinen höheren Preis und den heftigen Widerspruch der Danziger Brauer gegen seine Einfuhr verdiene. In kleinen gläsernen Schenkbechern wurde Met herumgereicht; in den hohen venezianischen Gläsern perlte elsässischer Rheinwein, die Damen aber zogen den süßen ungarischen Wein vor und meinten ihn vorsichtig genug zu trinken, daß er ihnen nicht zu Kopf steige.
Indessen wurden auch mancherlei ernste Gespräche geführt. Der Pfarrherr von St. Marien ließ sich über den bösen Kirchenstreit aus und beklagte es, daß sich nun gar drei Päpste um den Stuhl Petri zankten und einander in den Bann täten mit argen Vorwürfen, sehr zum Schaden der Christenheit. Das sei so übel nicht, meinte Arnold Hecht lachend; wenn sie miteinander zu tun hätten, würden sie weniger Zeit haben, sich in die weltlichen Händel zu mischen, und der Kaiser könne einmal aufatmen. Nun – uns hier in Preußen kümmert's nicht sonderlich, fuhr er fort, wir danken es dem Orden, daß er uns die römischen Pfaffen vom Leibe hält, wovon er selbst freilich den besten Nutzen zieht. Er hat's geschickt genug angefangen, daß er die Landesbischöfe СКАЧАТЬ