Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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Der so Angeredete blickte wie erschreckt auf. Er hatte bisher still und in sich gekehrt dagesessen, das Gespräch den Gästen überlassend. Nun schien er sich besinnen zu müssen, wovon die Rede sei. Ich bin dem Orden für meine Person vielen Dank schuldig, sagte er dann bedächtig, und ich will ihm das nicht vergessen. Mein Vater war vom Grafen von Holland getötet, meine Mutter aus dem Lande vertrieben. Sie floh mit mir nach Preußen zu dem Ordensvogt von Grebin, der ihr befreundet war, und er wies uns gütig in seinem Dorfe Wohnung und Unterhalt an. Seitdem nenne ich mich nach meiner neuen Heimat. Der Vogt hat wie ein Vater an mir gehandelt. Er empfahl mich dem Komtur, als ich heranwuchs; der nahm mich ins Ordenshaus auf und ließ mich unterrichten, wie man die Knaben unterrichtet, die dem geistlichen Stande bestimmt sind. Meine Neigung ging aber nicht dahin, und es fehlte mir auch die Gabe des Gesanges. Da man nun sah, daß ich gern den Ordensleuten zur Hand ging, die des Ordens Einkünfte verwalteten, Speicher und Vorratskammern beaufsichtigten und mancherlei Handelschaft trieben, gab man mich dem Großschäffer von Königsberg in Dienst, daß ich lerne kaufen und verkaufen, Schiffe befrachten und Rechnungen führen. Darauf nahmen die Herren mich nach Marienburg zu gleichem Dienst bei dem dortigen Großschäffer, und es gefiel ihnen, daß ich mich geschickt erwies in allen Geschäften und für Mehrung der Güter sorgte. Viele von den Würdenträgern lernte ich persönlich kennen, und auch dem Hochmeister blieb ich nicht fremd. Da sagte er eines Tages zu mir: Konrad, ich will zusehen, ob ich dein väterliches Erbe zurückgewinne, daß ich dir danke für deine Treue. Und er schrieb Briefe nach Holland meinetwegen, bat und drohte, und so gab der Graf wenigstens einen Teil heraus, daß ich nun mein eigener Herr sein und mich in dieser Stadt Danzig niederlassen und Bürgerrecht erwerben konnte. Auch dann blieben die Herren mir wohlgeneigt und förderten gern meine Unternehmungen und haben mir gutes Vertrauen bewiesen bei mancherlei Sendungen in des Ordens Auftrag. Dafür weiß ich mich zu Dank verpflichtet, und so schmerzt es mich, daß in letzter Zeit viel Uneinigkeit entstanden ist zwischen dem Orden und den Städten, und daß die Herren sich oftmals überheben und ihren rechten Vorteil verkennen. Wer im Rate der Stadt sitzt und seinen Mitbürgern geschworen hat, der muß freilich die Dinge anders anschauen als die in den Schlössern: aber die Meinung, daß eine Schwächung des Ordens uns Gewinn brächte, kann ich doch nicht gut nennen. Er soll uns bei unseren Rechten lassen; dafür aber wollen wir ihm mit Freudigkeit dienen, daß er stark und mächtig bleibe und gefürchtet sei von seinen Feinden. Denn wir sind deutschen Blutes wie die Brüder, und gemeinsam muß auch ferner unsere Arbeit sein, wenn auf diesem schwer erkämpften Boden deutsches Recht und deutsche Sitte gedeihen soll. Dafür wollen wir einstehen, liebe Herren!
Gerd von der Beke, der gute Freundschaft im Orden hatte, gab eifrig Beifall zu erkennen, und die anderen wagten nicht zu widersprechen, ob sie schon nicht in allem einverstanden sein mochten. Man weiß ja doch, daß Ihr der Stadt nicht um Fingerbreit etwas vergeben würdet, knurrte Hecht, wenn's einmal hart auf hart käme, und so können wir der Dinge Verlauf ruhig abwarten. Dann räusperte er sich, stieß mit Halewat an, der in feierlicher Haltung oben an der Tafel saß, und rief: Vergessen wir nicht, was uns heute hier zusammenführt! Unser braver Kapitän soll leben und jeder Danziger Seemann mit ihm, der seinem Beispiel folgt! Wer's gut mit ihm meint, der setzt den Becher nicht ab, bis er ihm auf den Grund sieht.
Das gefiel der ganzen Tafelrunde, und wer nun etwas zu erzählen wußte von dem Seekampf, der gab es zum besten, und es war eine Freude, anzuhören, wie jeder des andern tapfere Tat hervorhob und sein eigenes Verdienst verkleinerte. Der Bürgermeister war wieder schweigsam geworden wie vorher, und von seiner Stirn schien die finstere Wolke nicht weichen zu können. Frau Anna Groß bemerkte es mit Besorgnis. Du bist heut nicht froh, Vater, sagte sie; was bekümmert dich?
Letzkau wollte es nicht wahrhaben, aber Barthel Groß stimmte ihr zu und meinte, es müsse bei der Vorführung der Gefangenen etwas versehen sein, da er seitdem ein finsteres Gesicht zeige. Ja, ja, bestätigte auch Hecht, ich hab's wohl gesehen, daß Ihr Euch verändertet, als der Hauptmann Euch ansprach. Es ist auch anderen aufgefallen, die in der Nähe standen. Huxer aber traf noch näher ans Ziel, indem er geradeheraus fragte: Wie wußtet Ihr, daß Marquard Stenebreeker vor Euch stehe? Ihr nanntet ihn beim Namen.
Letzkau schien nur ungern darauf zu antworten; aber er merkte wohl, daß er nicht würde ausweichen können, und so begann er nach einigem Bedenken: Ich kannte den Mann, und mir wär's lieber gewesen, ich hätte ihn unter den gefangenen Räubern nicht sehen dürfen, die dem Recht der Stadt verfallen waren. Denn er hat mir einmal eine große Wohltat erwiesen aus gutem Herzen und sich den Lohn dafür vorbehalten. Hört denn, wie das geschehen ist. Ihr wißt, daß vor zwölf Jahren die Städte Friedensschiffe ausrüsteten gegen die Vitalienbrüder, und daß ich zum Seehauptmann eingesetzt wurde. Auch der Orden hatte eine Flotte bemannt, und so gelang es uns gemeinsam, die Insel Gotland zu erobern und die Herzöge Barnim und Wratislaw von Stettin zu zwingen, der Verbindung mit dem Räubervolk zu entsagen. Aber der Besitz ward uns bald wieder bestritten. Die Königin Margarethe forderte die Insel für sich zurück und verweigerte jede Entschädigung. Die preußischen Städte suchten diesen Streit zu vermitteln, und so reiste ich als Unterhändler in ihrem Auftrage und auch auf des Herrn Hochmeisters Geheiß zu öfteren Malen nach Schweden. So kam's denn auch, daß ich einmal zusammen mit dem Herrn Johann von Putte, der von Thorn geschickt war, zu Lübeck zu verhandeln hatte und von dort nach Gotland übersetzen mußte. Ein lieber Gastfreund aus Wismar, Lambert Junge, bot uns dazu sein Schiff an, und wir fanden sein freundliches Anerbieten sehr erwünscht. Unterwegs aber fielen wir in die Hände dänischer Piraten und wurden nun gefangen nach Schloß Warberg gebracht. Das Schiff nahmen sie als gute Beute und beraubten uns aller unserer Güter. Mich aber meinten sie für alle Zeit unschädlich machen zu können, da sie mich erkannten und wohl wußten, wie eifrig ich für den Orden und die Städte eingetreten war gegen die Königin. Deshalb ließ mich des Schlosses Hauptmann, Abraham Broderson hieß er, in den Turm werfen und hielt mich dort bei schlechter Kost in einem finsteren Gemach sechsundzwanzig Wochen lang, obgleich die Ordenshauptleute auf Gotland sich eifrigst für mich verwandten, und ich glaubte, es wäre mein Ende. Das alles ist sicher einigen von euch noch frisch im Gedächtnis, auch daß ich dann noch glücklich entkam und an dem Dänen Peter Knalle im feindlichen Lande einen mitleidigen Freund fand, der den von allen Mitteln Entblößten gütig aufnahm, mit allem Notwendigen an Kleidung und Speise versah und ihn selbst mit großer Gefahr nach Gotland brachte, wofür ihn dann der Herr Hochmeister mit großer Gunst beehrte. Das aber ist nicht ebenso bekannt geworden, wie ich aus Schloß Warberg die Freiheit erlangte, da es doch ohne Zweifel auf mein Leben abgesehen war. Und daran ward ich nun heut gemahnt. Denn ihr müßt wissen, daß unter den Leuten des Hauptmanns, die den Turm zu bewachen hatten, auch dieser Marquard Stenebreeker war, und daß er mir täglich einmal das kärgliche Essen brachte, weil man ihm am meisten vertraute. Er war schon oft zur See gewesen mit den Vitalienbrüdern, aber sein Herz war noch nicht so verhärtet, daß ihn mein Elend nicht rührte, da ich krank war und kaum noch Nahrung einzunehmen vermochte. Er wußte mir auch Dank, da ich doch einmal meinen Schiffsleuten gewehrt hatte, eine Anzahl Gefangener über Bord zu werfen, worunter sein Bruder war, der demnächst entfloh, und der jämmerliche Dienst als Turmhüter gefiel ihm wenig. So brachte er mir denn auf meine Bitte ein Stück Papier, auf das ich mit meinem Blute schrieb, daß ich gefangen sei und wo man mich hielte, und beförderte den Brief heimlich durch jenen Peter Knalle nach Gotland. Eines Tages, als wir wieder allein waren, bestürmte ich ihn mit Bitten, daß er mich entweichen lassen möchte. Er lachte dazu, überlegte sich's aber doch. Bald darauf brachte er mir eine Feile und einen Strick, den er unter dem Wams um seinen Leib gewickelt hatte, und sagte zu mir: Ich bin ein armer Mann und treibe ein Handwerk, neben dem allezeit der Galgen steht. Ihr aber seid im Rate der Stadt Danzig und reich begütert und habt viele Freunde unter den Ordensgebietigern, und ich denke, ein Dienst ist des andern wert. Es könnte wohl kommen, daß ich einmal eines mächtigen Fürsprechers bedürfte, und dann will ich mich an Euch wenden und Euren Beistand anrufen. Brauche ich Euch aber nicht, so ist's immer geraten, beim Himmel ein gutes Werk vorauszuhaben. Feilt also das Schloß der Tür durch in nächster Nacht und steigt die schmale Steintreppe hinauf nach dem oberen Gemach. Es hat ein kleines Fensterloch, durch das sich zur Not СКАЧАТЬ