Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Ja, sehen Sie, mein Herr Ritterhausen,« versetzte der Beamte lächelnd, »es ist wohl ein wenig unverschämt, aber ich bin gezwungen, Ihnen so lästig zu fallen. Ich habe den Befehl, zur tätigsten Untersuchung der Angelegenheit an Ort und Stelle zu bleiben. An Ort und Stelle, das ist leicht gesagt! Aber wo soll ich essen, trinken und schlafen? Auf der Burg etwa? Soll ich mich diese Nacht in das Bett des Ermordeten legen? Gott stehe mir bei! Was ist da nun zu machen? Ihr Haus ist das nächste. Sie sehen, ich bin gezwungen, Ihre Gastlichkeit in Anspruch zu nehmen. Es ist gewiß sehr dreist von mir. Ich fühle es sehr wohl, wie unbescheiden meine Bitte ist. Eine Einquartierung, die nicht einmal ein Billett vorzuweisen hat!«
»O,« fiel Ritterhausen mit einer Zuvorkommenheit, die ihm nur eine so ungewöhnliche Veranlassung eingeben konnte, ein, »machen Sie nicht so viel Entschuldigungen, mein Herr. Betrachten Sie mein Haus ganz als das Ihrige. Bei einem solchen Vorkommnis hat jedermann die Pflicht, das Seinige zu tun, damit ...«
»Hoffentlich nur auf ein paar Nächte werde ich beschwerlich fallen,« unterbrach ihn der Beamte. »Ich bin ein sehr anspruchsloser Mensch, und für eine kleine Stube, nebst irgendeinem Dachkämmerchen für meinen Schreiber, der draußen in der Küche sitzt, werde ich Ihnen zeitlebens verpflichtet sein! Es sind eben, wie Sie ganz richtig bemerkten, die außerordentlichen Vorkommnisse, welche eine so außerordentliche Zumutung entschuldigen müssen ...«
Ritterhausen klingelte, und als eine Dienerin eintrat, gab er dieser den Befehl, sofort das Fremdenzimmer herzurichten und Erfrischungen zu bringen.
»Ich bitte nur ja, daß Sie sich, ohne sich zu genieren, hier einrichten,« sagte er dann zu dem Beamten; »wie Sie sehen, bin ich ein kranker, von der Welt verlassener und einsamer Mann; was kann mir erwünschter sein als ein Gast und dazu,« fügte er lächelnd bei, »einer von den Herren aus der Stadt, vom Hofe, die am meisten zur Unterhaltung eines von der Welt abgeschnittenen Menschen beitragen können.«
»Nun, ich bin nicht gerade vom Hofe,« antwortete der Beamte, »ich heiße Ermanns und bin nichts als ein einfacher Employé – und ich hoffe, wie gesagt, daß ich nur sehr kurze Zeit werde lästig zu fallen brauchen! Denn was diese Untersuchung angeht, so muß ich Ihnen offen gestehen, daß ich eigentlich gar nicht weiß, was da viel zu untersuchen ist. Wir haben den Hausmeister vernommen – man braucht diesen Menschen nur einmal zu sehen und zu hören, um überzeugt zu sein, daß auf ihn kein Verdacht fallen kann. Dasselbe ist mit dem Reitknecht der Fall. Es ist ein Mensch, der schon seit zwei oder drei Jahren im Dienste des Grafen war. Er hat einen guten Lohn bekommen, ist vom Grafen gut behandelt worden, ja, hat dessen besondere Gunst genossen, wie schon daraus hervorgeht, daß der Graf ihn ausgewählt hat, seinen Begleiter hierher zu machen und seine einzige Bedienung zu bilden. Er hat nur Nachteil vom Tode seines Herrn. Auch liest man die deutlichsten Spuren des Schreckens und aufrichtigsten Bedauerns im ganzen Wesen und der ganzen Haltung des Menschen. Nun ist aber dieser Reitknecht der einzige, der diese Tat verübt haben könnte. Die Haustüren der Rheider Burg wurden, so hat der Hausmeister eidlich ausgesagt, von letzterm selber am gestrigen Abende verschlossen; der Reitknecht war der einzige, welcher wieder in die Burg konnte; denn bevor er hinausgegangen, um sich im Nebengebäude, in einer Kammer über dem Pferdestall, zur Ruhe zu begeben, hat er sich einen Schlüssel zur vordern Haustür geben lassen, um am Morgen in der Frühe zu seinem Herrn kommen zu können und nicht von des Hausmeisters längerm oder kürzerm Schlaf abhängig zu sein. Den Reitknecht aber, sahen wir, trifft kein Verdacht; irgendeine Spur, daß ein dritter durch Fenster oder Türen eingedrungen, ist nicht aufzufinden. Geraubt ist nicht das mindeste. Wer also, ums Himmels willen, sollte der Täter sein, wenn nicht der Graf selber? Was ist da nun zu machen? Ich weiß in der Tat nicht, was ich noch lange untersuchen soll! Die nötigsten Vernehmungen sind bereits geschehen; ich denke, um zu zeigen, daß man nicht gleichgültig gegen die Sache ist, läßt man eine Belohnung von tausend Frank für jeden, der etwas Erhebliches und die Untersuchung Förderndes beibringen kann, ausschreiben. Vielleicht fällt aber auch der Bericht der Aerzte so aus, daß nicht einmal dies nötig ist.«
Während der Beamte so sprach und dabei es sich jetzt sehr gemütlich auf dem Kanapee bequem machte, um den Erfrischungen zuzusprechen, die eben von der Dienerin auf den runden davorstehenden Tisch aufgetragen wurden, hatte Ritterhausen mit etwas wie einem spöttischen Lächeln zugehört. Dies verschwand jedoch, als Monsieur Ermanns die Bemerkung machte: »Das alte Schloß dort oben – nebenbei gesagt, es macht sich recht stattlich und malerisch, hier von Ihren Fenstern aus betrachtet – ist ein unheimliches altes Kastell. Der frühere Besitzer, hat man mir mitgeteilt, ist ja ebenfalls auf eine rätselhafte Weise ums Leben gekommen. Ist dem so? Erzählen Sie mir doch davon. Ich bin ein großer Liebhaber von dergleichen alten Geschichten, Ich finde sie viel unterhaltender als die empfindsamen Rittergeschichten und Sagen, die man bei uns im Elsaß – ich bin aus dem Elsaß gebürtig – von jedem alten Schutt- und Steinhaufen auf den Bergen sich erzählt; es ist das albernes Spinnstubengewäsche; Märchen von Heiligen, Legenden und Wunder, welche die faulen Bäuche, die Mönche, in ihren Klöstern erfunden haben, weil sie nichts anderes zu tun hatten. Kein Mensch kann sich daran ergötzen, wenn er nicht einen Köhlerglauben hat. Aber Geschichten aus der neuern Zeit, wo man weiß, die Sache ist wahr, wo man es mit richtigen Leuten zu tun hat, nicht mit Feen oder verrückten Kobolden, die höre ich gern. Besonders Mordgeschichten. Sie nicht auch?«
»Sie haben recht,« erwiderte Ritterhausen ein wenig gedehnt; »ich bitte, unterlassen Sie jedoch nicht, sich von dem Weine einzuschenken, der vor Ihnen steht. Sie werden ihn gut finden.«
»Ganz vortrefflich,« sagte der Beamte, sich einschenkend und ein Glas auf einen Zug leerend und dann wieder sich einschenkend; »darf ich Ihnen nicht auch dorthin zu Ihrem Sorgenstuhl ein Glas bringen?«
»Ich danke, der Wein ist mir untersagt!« versetzte der Hammerbesitzer.
»Da sind Sie zu bedauern,« meinte Monsieur Ermanns. »Wenn ich mich den Morgen mit meinen Akten herumgeschlagen habe und endlich die Stunde da ist, wo wir schließen, so daß man ›gottlob!‹ ausruft und die ekelhaften Schmieralien unter den Tisch werfen kann, dann habe ich das dringende Bedürfnis, mich mit einem Glase Wein zu erfrischen. Aber ich trinke nie viel. Höchstens zwei Flaschen täglich. Leider habe ich solchen, wie den Ihrigen, nicht in meinem Keller. Dazu reicht unser jämmerliches Gehalt nicht. Sie glauben nicht, wie erbärmlich schlecht wir armen Employés gestellt sind! Wenn man uns zweitausend Frank gibt, so glaubt man wunder, was man für uns getan hat und stellt Anforderungen an unsere Arbeitskraft, welche wahrhaft lächerlich sind! Man verschwendet das Geld an das Militär und für uns bleibt nichts übrig; die Zivilverwaltung kann hungern.«
»Das ist nun einmal überall die Klage,« fiel Ritterhausen eifrig zustimmend ein, »Ich fürchte auch, daß unsere Staaten samt und sonders an dieser unverständigen Politik zugrunde gehen. Was ist unsere ganze Kultur, unsere christliche Zivilisation wert, wenn die Enderrungenschaft derselben nicht ein friedliches Zusammenleben der Völker ist? Unsere Regierungen aber richten den Staat ein, als wäre der Kriegszustand das Bleibende, die Regel in der Welt und der Frieden die Ausnahme. Sie verwenden alle Kräfte der Länder auf Kanonen, Musketen, Pferde und Kriegsknechte. Nun wahrhaftig, dann sind wir ja weiter nichts als Türken, die nach dem Koran nie Frieden, sondern nur Waffenstillstand schließen dürfen – wozu ist dann das Christentum und die Bildung da!«
»Ganz meine Meinung,« sagte Monsieur Ermanns; »aber nun bitte ich, erzählen Sie mir doch die Geschichte von dem alten Herrn, der in der Rheider Burg umgekommen ist!«
»Nun,« begann Ritterhausen, auf dessen Gesicht man deutliche Spuren wahrnahm, wie wenig bereitwillig er eigentlich war, auf diese Angelegenheit einzugehen, in gedehntem Tone, »der alte Herr von Huckarde war in sehr übeln Verhältnissen.«
»Schulden?«
»Er СКАЧАТЬ