Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Franz mußte auf einen Wink des Adjutanten diesem folgen und wurde von ihm im Vorzimmer einer Ordonnanz übergeben, die den Befehl erhielt, ihn auf die Schloßwache zu führen, wo man ihm erlaubte, die wachthabende Truppenabteilung mit seiner Geschichte zu unterhalten, aber nicht, sich aus dem Bereich der Wachtstube zu entfernen.
Zwei Stunden später jedoch wurde Franz aus seiner Haft bereits wieder erlöst. Er erhielt den Befehl, den Großherzog zu begleiten, der sich eben zu Pferde setzen wollte, um, gefolgt von Beugnot und einem vertrauten Beamten der Polizei, sich selbst an den Ort des Verbrechens zu begeben.
Siebentes Kapitel
Der Hammer erhält einen neuen Gast.
Die Nachricht von dem, was auf der Rheider Burg vorgefallen, konnte nicht anders als sich mit größter Schnelligkeit in der Gegend verbreiten, und nach dem Hammer war sie bereits vor Mittag gelangt. Welchen Eindruck sie hier machte, brauchen wir nicht zu schildern. Ritterhausen sprach sofort einen Verdacht gegen den unschuldigen Franz, den Reitknecht aus, als den, der allein die Nacht mit seinem unglücklichen Gebieter in der Burg zugebracht. Denn auf den alten hinkenden Claus konnte kein Verdacht fallen. – Völlig wie niedergeschmettert zeigte sich jedoch Sibylle; ihr erster Gedanke war natürlich der an den Deserteur, dem sie in der Rheider Burg ein Versteck angewiesen hatte ... und so empfand sie gleich im ersten Augenblick etwas wie einen Aufschrei des sich schuldig fühlenden Gewissens in sich. Sie war totenbleich geworden bei der Nachricht, sie hatte nur mühsam sich so weit beherrscht, um mit anscheinender Gemütsruhe an dem Hin- und Herreden, was darauf folgte, teilzunehmen – dann hatte sie sich entfernt und, unfähig, ihre Unruhe zu bezähmen, war sie, ohne jemand davon zu sagen, fortgeeilt, über den Fluß, die Bergwand zum Schlosse hinan. Sie wollte versuchen, den Hausmeister zu finden, von ihm zu erfahren, ob der Deserteur sich in der Tat noch während der letzten Nacht im Schlosse aufgehalten habe und ob Claus auch glaubte, was dann allerdings das Wahrscheinlichste, daß er der Täter sei.
Aber als Sibylle oben angekommen war, fand sie auf dem Raume vor der Rückseite des Gebäudes mehrere Neugierige versammelt, Menschen aus der nächsten Umgegend, die, auf den benachbarten Feldern arbeitend, bei der Nachricht von dem, was sich in der Rheider Burg ereignet, herbeigekommen waren. Der Eingang in das Gebäude durch den Turm auf der rechten Seite des Hauses, derselbe, durch den Sibylle unlängst den Deserteur hineingeführt hatte, war von innen verriegelt. Von den Leuten vernahm Sibylle, daß im Innern des Schlosses bereits Gerichtspersonen, der Friedensrichter des Kantons, der Maire eingetroffen seien und daß sie den Hausmeister im Verhöre hätten.
Sibylle beschloß deshalb unverrichteter Sache heimzukehren. In ihrem Schuldbewußtsein war es ihr, als ob es auffallen müsse, wenn sie von den untersuchenden Herren heute hier erblickt würde; und so ging sie denn so eilenden Schrittes wie sie gekommen zurück, mit dem Vorsatz, einen ihrer Hammerarbeiter, einen gewandten und zuverlässigen Menschen, in ihr Geheimnis zu ziehen und ihm den Auftrag zu geben, sich unter die neugierigen Gaffer vor der Burg zu mischen und zu harren, bis er eine Gelegenheit wahrnehme, den Hausmeister zu sprechen und ihn nach dem Deserteur zu fragen.
Als sie auf dem Hammer angekommen war, ließ sie den Menschen herausrufen.
Der rußige Kyklope, ein breitschulteriger Mann von riesiger Gestalt, hörte Sibyllens Mitteilung mit großer Spannung an und versprach ihr sodann, sein Bestes zu tun, um ihren Wunsch zu erfüllen.
Im Wohnzimmer Ritterhausens war eben das Mittagsmahl, von dem Sibylle sehr wenig berührt hatte, abgetragen, als die Kunde kam, daß der Großherzog selber auf der Rheider Burg eingetroffen sei, und ein paar Stunden später kamen zwei Fremde auf den Hammer, von denen der eine den Besitzer zu sprechen verlangte, während der andere in der Küche zurückblieb. Der, welcher bei Ritterhausen eingeführt wurde, war ein kleiner schmächtiger Mann, mit einem fahlen farblosen Gesicht, das von einem ergrauten Backenbart umrahmt war, während eine braune Atzel den Rest seines Haupthaares bedeckte. Er trug einen blauen Frack mit goldenen Knöpfen und eine goldene Brille – die ganze Erscheinung kündigte den Beamten an, der den größten Teil seines Lebens über Akten versessen. Seine Bewegungen hatten im Gegensatz zu seiner Gestalt nichts Rühriges, sondern etwas eigentümlich Phlegmatisches, Ruhiges, sein ganzes Wesen etwas Apathisches, das sich auch in feiner Art zu reden ausdrückte.
»Herr Ritterhausen,« sagte er in einem Dialekt, der den Elsässer verriet, »ich komme, Sie mit einer unbescheidenen Bitte zu belästigen. Allein der Dienst zwingt mich dazu. Was soll man da machen! Ich habe das Unglück, ein Polizeibeamter zu sein – nebenbei gesagt die miserabelste und geschorenste Art, sein Brot zu verdienen, welche es geben kann.«
»Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, mein Herr,« unterbrach ihn Ritterhausen, »holen Sie sich einen Stuhl herbei, denn ich selbst kann es leider nicht, wie Sie sehen – dann wollen wir davon reden, wie ich der Polizei zu Diensten sein kann.«
Der Fremde setzte sich, wie es schien sehr ermüdet und sich lange ausstreckend, Ritterhausen gegenüber und fuhr, die Blicke matt im Zimmer umherirren lassend, als ob er dem, was er sagte, nur einen Teil seiner Aufmerksamkeit zuwende, zu reden fort: »Der Großherzog hat mich heute zu sich rufen lassen, um ihn zu begleiten, und oben auf der alten Burg dort hat er die Gnade gehabt, mich mit der genauen Untersuchung des Ereignisses zu beauftragen, welches daselbst in der verflossenen Nacht vorgefallen ist. Ein sehr angenehmes Kommissorium! Aber was soll man da machen! Nebenbei gesagt, ich glaube gar nicht an einen Mord. Die ganze Geschichte macht mir den Eindruck, als wenn der gute Mann, der Graf von Epaville, sich selber in die andere Welt befördert hätte ...«
»Sich selber?« fragte Ritterhausen, »Aber weshalb, um Gottes willen ...«
»Nun, wir von der Polizei erfahren so mancherlei, und was den Grafen angeht, so würde sich meine Ansicht aus unsern Kartons vielleicht gründlicher rechtfertigen lassen, als man gerade ahnt und voraussetzt!«
»Ja, dann freilich,« rief der Hammerbesitzer sehr lebhaft aus. »Es ist auch in aller Welt nicht zu erklären, wer den Mord begangen haben sollte, bei dem es doch offenbar nicht auf einen Raub abgesehen war. Feinde hat sich doch der Graf in den wenigen Tagen seines Hierseins noch nicht gemacht, und wenn auf den Reitknecht, der bei ihm war, nicht vielleicht ein Verdacht fällt ...«
»Der Reitknecht,« fiel der Polizeibeamte, wie müde das eine Bein über das andere schlagend, ein, »ist eine harmlose treue Seele!«
»Nun, dann bin ich ebenfalls sehr versucht, an einen Selbstmord zu glauben,« rief Ritterhausen laut aus.
»Nicht wahr?« sagte der Beamte mit einem langsamen, etwas lauernden Blick über seine goldene Brille fort, den aber der Hammerbesitzer bei der Aufregung, in welche ihn der Gegenstand der Gespräche versetzte, gar nicht bemerkte.
»Gewiß,« fuhr der letztere fort, »es käme nur darauf an, festzustellen, ob die Wunde, welche man an der Leiche gefunden hat, eine solche ist, wie man sie sich selbst beibringen kann. Ein Messer- oder Dolchstich in die Brust – davon redet man ja – scheint mir ganz der Art zu sein.«
»Freilich – aber nebenbei deuten auch Spuren auf eine Erdrosselung hin, die zu dem allein schon tödlichen Messerstich hinzugekommen.«
»Ein blaues Gesicht ...«
»Und geschwollen ...«
»Kann dies nicht auch natürliche Folge des Todeskampfes sein?« fuhr Ritterhausen in derselben Lebhaftigkeit wie bisher fort.
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