Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Außer der offenstehenden Glastür hat das Gemach noch ein Fenster, ebenfalls mit der Aussicht auf den Garten und darüberhin auf die alte hochthronende Rheider Burg. Vor diesem Fenster sitzt oder besser liegt, in einem bequemen Lehnstuhl ausgestreckt, ein hochgewachsener, breitschulteriger Mann, dessen Gestalt jedoch auffallend mit seinen Zügen kontrastiert; denn diese Züge sind tief gegraben und wie von Schmerzen ausgeprägt. Zwischen den dichten Brauen, welche tiefliegende, dunkle Augen beschatten, ist eine mächtige Falte eingeschnitten, die, wenn sie sich finster zusammenzieht, dem ganzen Gesicht einen drohenden bösen Ausdruck gibt. Die einzelnen borstengleichen Haare, welche ergraut aus den Brauen hervorspringen, die kleinen Finnen in dem braunen, etwas fahlen Gesicht tragen nicht dazu bei, dies Antlitz anziehender zu machen. Denn obwohl Nase, Mund und das breite, energisch vortretende Kinn wohlgestaltet und sehr männlich ausgebildet sind, so wird sich doch niemand finden, der behauptet, daß dieser Mann, Johann Wilderich Ritterhausen, der Besitzer des Hammers, ein anziehendes und gewinnendes Aeußere habe.
Freilich wäre es auch sehr unbillig, milde, heitere und wohlwollende Züge zu verlangen von jemand, der so leidend ist wie er. Er trägt die Füße, trotz des warmen Wetters, dicht umhüllt und läßt sie auf einen vor ihm stehenden Taburett ruhen. Zuweilen gleitet über sein Gesicht ein Zucken, das auf einen plötzlichen grausamen Schmerz deutet. Man braucht kein Arzt zu sein, um wahrzunehmen, daß hier das böseste aller Uebel, die Hyäne Gicht waltet.
Ritterhausen gegenüber sitzt seine Tochter, ein junges Mädchen in einem grün und weiß gestreiften Kleide von einfachem Schnitt, das ihre schöne Gestalt nach der Mode der Zeit – ich habe vergessen, dir zu sagen, lieber Leser, daß wir im Jahre des Heils 1807 stehen – knapp umschließt. Sie beugt das von hängenden braunen Locken umrahmte Gesicht über Papiere und ein dickes Buch, welche vor ihr auf dem runden Tisch liegen.
Nachdem sie eine Zeitlang Notizen in das Buch eingetragen, dabei bald das eine, bald das andere Papier genommen und verglichen hat, wirft sie die Feder weg, und indem sie sich in das Sofa, auf dem sie ruht, zurücklehnt, erhalten wir Gelegenheit, ihre Züge zu betrachten.
Diese Züge sind so auffallend wohlgebildet, wie das Antlitz des Hammerbesitzers auffallend düster und uneinnehmend ist. Sie haben etwas von der südlichen Schönheit des lieblichen Frauenantlitzes über dem Kamin, das wir vorhin schilderten – dieselbe Regelmäßigkeit, dieselbe edle Stirn, dasselbe Feuer der großen dunkeln Augen; nur daß ein gewisser schwärmerischer Glanz in ihnen ist, der sie zu charakteristisch deutschen Frauenaugen macht. Die Farbe des Gesichts ist ein feines gedämpftes Inkarnat, mehr gleichmäßig verbreitet, als daß man hätte sagen können, es sei zu Rosen auf den Wangen aufgeblüht; »Rosenwangen« und »milchweißen Teint« hat das junge Mädchen nicht, aber sie ist nur desto schöner, ihre Erscheinung nur desto ungewöhnlicher darum; ihre Züge bilden kein ausdrucksloses Aquarellgesicht, sie haben Charakter und Geist.
Eine Zeitlang heftet sie jetzt ihre Augen mit großem, festem Blick auf ihren Vater, dem das unbequem zu sein scheint, denn er wendet seine rastlos beweglichen Augen von ihr ab, bald hierhin und dorthin und sagt endlich: »Was siehst du mich an, Sibylle, was hast du?«
Sibylle wacht wie aus Gedanken auf.
»Ich dachte nur, Vater ...«
»Wenn du denkst, so jag’ mir deine Gedanken nicht so ins Gesicht, du weißt, daß mir das nicht lieb und angenehm ist!«
Sibylle wendet ihre Blicke wieder ihrem Buche zu. Dann sagt sie: »Also das Geld, die dreitausend Taler, die uns zurückbezahlt sind, soll ich dem Solinger auf seine angebotene Hypothek herleihen, Vater?«
»Mach’s wie du willst. Der Mann ist in großer Not darum. Woher soll er’s sonst nehmen!«
»Freilich, andere Leute denken eben, wie wir auch denken sollten. Es ist nicht klug, sich auf Hypotheken zu verlassen, solange man nicht weiß, welches Gesetz und welches Recht über Hypotheken gelten wird. Die Franzosen werfen alles um, und niemand kann voraussehen, wie gesichert sein Kapital ist, wenn sie einmal unser gutes altes bergisches Recht ganz ausgekehrt haben.«
»Du bist ein weises Huhn,« versetzte Johann Wilderich Ritterhausen mit einem anmutigen Lächeln.
»Sie müssen mir dennoch recht geben, Vater. Es ist sicherer, das Geld zu behalten.«
»Und zu vergraben,« fällt der Hammerbesitzer ein – »vielleicht schlägt es im Keller aus wie überwinterte Kartoffeln und trägt Früchte statt der Zinsen!«
»Der Zinsen bedürfen wir nicht; aber es kann ein Augenblick kommen, wo wir dringend bares Geld und zwar viel bares Geld bedürfen!«
Der Hammerbesitzer zuckte die Achseln.
»Es kann solch ein Augenblick kommen,« sagte er; »unser gnädigster Großherzog, Herr Joachim Murat, der schon daheim in Lahors, in seines Vaters Wirtschaft, nicht guttun wollte, hat hier zu wirtschaften begonnen, daß es nicht ausbleiben kann: es wird der Tag kommen, wo er nach barem Gelde lechzt wie ein dürstender Hirsch nach Wasser!«
»Und wo seine Domänen wohlfeil werden!« sagte, das junge Mädchen halblaut, aber mit einem gewissen bittern Ausdruck.
Johann Wilderich Ritterhausen fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht; darauf ließ er, wie matt und abgespannt, die Hand wieder auf die Lehne seines Sessels zurücksinken.
»Ja, ja,« fuhr er dann fort, »und darauf hätte ich so ungefähr alles erreicht, was ich gewollt habe auf dieser schönen Welt, und« – ein Zucken des Schmerzes flog eben über seine Züge und unterbrach ihn – »und dann werden wir merkwürdig glücklich sein – ein Paar höchst glückliche Leute. Sibylle! Meinst du nicht auch?«
»Sie sagen das so spöttisch bitter, als ob es nicht Ihr Ernst wäre, Vater,« versetzte Sibylle, nachdem sie eine Weile ihren Vater fixiert hatte. »Ob wir merkwürdig glücklich sein werden, wenn wir die Rheider Burg gekauft haben und ihre Eigentümer sind, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß das alte Schloß, mit allem, was dazu gehört, unser werden muß; und weshalb es unser werden muß, das wissen auch Sie zu gut, als daß wir davon zu reden brauchten.«
»Ach Gott,« antwortete Johann Wilderich Ritterhausen verdrießlich, »es muß unser werden ... Das sagst du, damit ich in meinem Marterstuhl einen Gedanken habe, mit dem ich mir die langweiligen Tage vertreibe und über dem ich brüte, damit ich nicht verrückt werde vor Pein und Ungeduld; es ist der Knochen, dem man einem Hunde zum Benagen hinwirft, damit er was zu tun habe und nicht belle und beiße. Nun, ich tue dir den Gefallen und arbeite mit allen Zähnen daran. Meinethalb aber mag der Teufel noch heute nacht die ganze Rheider Burg holen, die sämtliche Umgegend dazu, und wenn der Rheider Hammer dann nachbröckelte in das große Loch hinein, das dadurch entstände – wahrhaftig, ich hätte auch nichts dagegen!«
Und damit schloß der Hammerbesitzer die Augen und legte den Kopf, als ob er schlafen wolle, in seinen Armsessel zurück.
Das junge Mädchen ordnete schweigend und ohne sich durch diesen Ausbruch des Unmuts, der ihr nichts Ungewöhnliches haben mochte, stören zu lassen, ihre Papiere, und nachdem sie noch einige Notizen in das große Buch eingetragen, schlug sie es zu. Als sie aufblickte, СКАЧАТЬ