Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Der Postillon trieb seine Klepper zu gewaltiger Eile an. Rechts und links flogen die dunkeln am Nachthimmel sich abzeichnenden Umrisse von Gesträuchen, Wallhecken, Bäumen, Bauernhütten wie ein flüchtiges Schattenspiel über die Scheiben der Wagenfenster. Ueber die einzeln aufglimmenden Steine am Himmel zogen lange Wolkengebilde und erhöhten die nächtliche Dunkelheit. Nach und nach wurde die Straße, welche man fuhr, hügelig. Richard nahm diesen Umstand anfangs nicht wahr; als sich endlich die Strecken, wo der Wagen langsamer hügelan fuhr, vermehrten und verlängerten, bemerkte er es und wollte Ermanns fragen, nach welcher Himmelsgegend hinaus man ihn denn bringe; aber er schloß stolz die Lippen wieder und warf sich in seine Ecke zurück.
»Nur noch eine kleine halbe Stunde,« sagte Monsieur Ermanns, »und wir sind an dem Punkte angelangt, wo ich Auftrag habe, sie abzuliefern.«
Richard fuhr fort zu schweigen. Der Wagen rollte jetzt mit rasender Eile in ein Tal hinab; die Hufe der Pferde klapperten dann über die Bohlen einer Brücke, rechts und links dämmerte der eisengraue Spiegel eines schmalen Flusses auf. Dann hob sich der Weg wieder bergan; die Pferde pusteten und schnaubten, langsam weiter keuchend. Zuletzt schien die Spitze der Höhe erreicht und auf steinigem, hartem Boden ging es rasch weiter. Die gehetzten Postgäule fielen endlich in einen rasenden Galopp, der den Wagen hin und her schleuderte; blitzschnell flog man durch ein geöffnetes Tor, auf einen Hof und vor ein hellerleuchtetes Gebäude, vor dem eine Reihe Fackeln stammten; der Wagen hielt.
»Wo sind wir?« rief Richard voll Erstaunen aus.
Bevor Monsieur Ermanns antwortete, wurde der Schlag aufgerissen, Richard sprang heraus. Von dem plötzlichen Lichtschimmer geblendet, starrte er auf zwei Reihen riesiger, unbeweglich dastehender Männergestalten, die rechts und links auf den Stufen einer Portaltreppe standen und, flammende Fackeln in den Händen, in diesem Augenblick mit Baßstimmen, welche die grell beleuchteten grauen Mauern hinter ihnen schienen zittern machen zu können, in donnernde »Vivat« und »Hurra« ausbrachen und ihre Mützen dabei schwangen.
So überrascht, so geblendet Richard von diesem Anblick war, er erkannte dennoch in dem hohen, mit grellem roten Lichtschein übergossenen Gebäude den Edelsitz seiner Väter, die Rheider Burg, und in diesen, mit so lautem Jubel ihn bewillkommnenden Männern die derben Schmiede des Eisenhammers.
»Was bedeutet das? Hierher sollten Sie mich bringen?« rief er aus ... aber Ermanns nahm seinen Arm und, indem er ihn die Treppe hinaufzog, sagte er lachend: »Noch einige Schritte weiter soll ich Sie bringen, mein verehrter Baron, bis ins Innere Ihres Schlosses, dort werden Sie offizielle Aufklärung erhalten.«
Oben, unter dem Portal, standen Claus, der Hausmeister, in festtäglichem Anzug und neben ihm der Spielmann, beide nickend, sich verbeugend, lachend und dem Anschein nach sehr geneigt, Richard nicht vorüberzulassen ohne Gruß und Gespräch; aber Ermanns schob sie beiseite und führte Richard die Treppe in den obern Stock hinan. Das ganze Gebäude war reich erleuchtet, mit duftenden Eichenkränzen geschmückt; die Tür des großen Saals stand weit offen; ihre Einfassung war von Blumen umrahmt, und unter diesem Blumenbogen stand Sibylle, in hellen Gewändern, in ihrem reichsten Schmuck, zitternd vor Aufregung, bleich von ihrer tiefen Erschütterung. So streckte sie Richard beide Hände entgegen.
»Sibylle ... du hier!« rief Richard aus, ihre Hände selig mit den seinen umschließend.
Sie war zu bewegt, um reden zu können. Mit Mühe hielt sie sich aufrecht, indem sie ihre Rechte ihm entzog und damit seinen Arm umspannte. So zog sie ihn in den Saal hinein, in welchem der alte Kristallüster flammte und mit seinem Glanz das eigentümlich gespannte, von einer Art spöttischer Heiterkeit leuchtende Gesicht Ritterhausens beschien, der unter dem Kronleuchter stand und mit stoischer Selbstbeherrschung sich an der Rückenlehne seines Armsessels aufrecht erhielt.
Er reichte die linke Hand, die ihm freiblieb, dem Ankommenden hin und sagte»: »Herr von Huckarde, Sie werden uns zugute halten, daß wir uns einige Eigenmächtigkeiten hier in Ihrem Eigentum erlaubt haben ...«
»In meinem Eigentum?« rief Richard mit zitternden Lippen aus, »o mein Gott ... Sie werden in diesem Augenblick nicht meiner spotten, Herr Ritterhausen!«
»In Ihrem Eigentum, Herr von Huckarde – und darum sagt’ ich, Sie sollten uns die kleinen Eigenmächtigkeiten verzeihen, welche wir uns haben zuschulden kommen lassen, in der guten Absicht, Ihnen diesen Saal hier und ein paar Zimmer nebenan gleich ein wenig wohnlich zu machen. Sibylle tat es nicht anders, und so hat sie auch zustande gebracht, mich in einer Sänfte auf den Schultern meiner stärksten Hammelgesellen hier herauf zu transportieren. Nun, es ist gottlob! gut gegangen und ich bin froh, daß ich Sie hier begrüßen kann, an der Stelle, wo Sie hingehören, Herr von Huckarde, von Gottes und Rechts wegen, als Herr und Gebieter!«
»Aber erklären Sie mir um des Himmels willen ...«
»Erklärt ist es bald,« sagte Ritterhausen. »Ich habe Burg und Hammer von der Gräfin von Epaville für 150 000 Frank gekauft – in Ihrem Namen, Herr von Huckarde, nur für Sie und in Ihrem Namen. Was die Bezahlung angeht, so lassen Sie sich keine grauen Haare darüber wachsen. Ich biete Ihnen 100 000 Frank an, wenn Sie mir den Hammer überlassen, und 50 000 Frank ist die Aussteuer meiner Tochter, worüber ich ihr die Verfügung immer freigelassen habe; und da Sibylle sich in den Kopf gesetzt hat, es könnte diese Summe vorläufig nicht besser und sicherer angelegt werden als in einer Hypothek auf die Rheider Burg, so stände das Geld zu Ihrer Verfügung! Was meinen Sie zu dem Vorschlag!«
Huckarde wußte nicht, was antworten.
»Ritterhausen, was tun Sie an mir?« sagte er mit gepreßter Brust.
»Danken Sie mir nicht, Herr von Huckarde, nur das nicht,« fiel Ritterhausen ein. »Was ich an Ihnen tue? Nichts, gar nichts – Sie wissen, ich bin ein alter eingefleischter Egoist. Ich habe eine Schuld gegen Ihren Vater auf dem Herzen, Richard, eine Schuld der Härte und der Rücksichtslosigkeit ... und nun will es das Schicksal, daß ich Gelegenheit finde, etwas davon abzuschütteln, das heißt, wenn Sie gegen mich alten Mann die Güte haben, es sich so gefallen zu lassen... Glauben Sie mir, Herr von Huckarde, zu danken brauchen Sie mir nicht!«
Ritterhausen sprach dies mit einer ungewöhnlichen Feierlichkeit, so daß man sah, es kam ihm tief aus seinem Herzen.
»Nicht mit Worten ... wie könnt’ ich danken mit Worten,« sagte Richard, »aber,« fuhr er fort, Sibyllens Hand ergreifend, »durch die Tat, durch ein Leben, das ich Ihrem Kinde weihe.«
»Den Dank nehme ich an,« fiel Ritterhausen ein. »Und wahrhaftig, Sibylle hat es ein wenig um Sie verdient. Sie hat gespart und gesorgt und ihr Auge hat diese Burg umkreist wie ein Falke seine Beute, bis der Augenblick gekommen, diese Beute zu erfassen.«
Und damit legte Ritterhausen seine Tochter in Richards Arme, der sie mit feuchtschimmernden Wimpern an sein Herz preßte.
Sibylle löste sich nach einer stummen Pause sanft von Richard los; sie faßte in jede ihrer Hände eine der seinen und indem sie ihm tief und klar in die Augen schaute, sagte sie mit vor Rührung bebender Lippe: »Und nun, Richard, wer von uns zweien hat nun recht gehabt: wer ist an das Ziel gekommen, nach dem wir beide strebten? Du mit deiner stürmischen und verwegenen, sich selbst allein vertrauenden Kraft – oder ich mit meiner stillen Ergebenheit in Gottes Fügungen, mit meinem vertrauenden Fleiße? Du hast das Gemüt von dir gestoßen und ich habe es in mir gehegt. Ist es nun nicht gut, daß ich es gehegt СКАЧАТЬ