Название: Gesammelte Werke
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 4064066388829
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Die Deutschen haben einen ausgeprägten Sinn für Gemütlichkeit an reichbesetzter Tafel, für langausgedehntes Sichauslärmen beim Trunk. Nicht nur ihre Zunge genießt, ihre seelische Schwerfälligkeit verlangt nach Berauschung. Auch in der Liebe sind sie ausschweifend, obwohl ihnen das vulkanische Sinnenfeuer der südlichen Völker abgeht; Mann und Frau mögen den traulich-zärtlichen Umgang miteinander nicht missen. Diese Eigenschaften führten bald zu einer Erweichung der strengen Ordensregeln in den deutschen Klöstern. Mit der Einführung unnachsichtiger Askese hatten die Vertreter reformatorischer Richtungen, die von Zeit zu Zeit auftraten, im allgemeinen kein Glück; die deutschen Mönche widersetzten sich oder liefen fort. Vollends als in allen Kreisen das Leben reicher und lockerer geworden war, gaben sich auch die Insassen der Klöster ohne Bedenken dem Wohlleben hin. Es kam vor, daß in den Männerklöstern kinderreiche Familien hausten, daß Frauenklöster Bordellen glichen. Nahmen nun die Sittenrichter schon an den Ausschweifungen der Weltleute Anstoß, um wieviel mehr empörten sie sich über diejenigen, die, auf ein heiligmäßiges Leben pochend, Verehrung beanspruchten, während sie sich wie Schweine im Kot des Lasters wälzten; denn das sagte man ihnen nach. Besonders in städtischen Handwerkerkreisen, wo Ehrbarkeit vorherrschte, war die Entrüstung über das Treiben in den Klöstern lebhaft. Es kam dazu, daß die Städte den Klöstern alle die kulturellen Aufgaben, die sie im frühen Mittelalter so großartig erfüllten, abgenommen hatten, und die überflüssig gewordenen nun nicht als Wohltäter, sondern als Störenfriede ansahen. Arbeiteten die Klosterleute nicht, so beschimpfte man sie wegen Müßigganges, aber viel schlimmer war es, wenn sie arbeiteten; denn das betrachteten die Handwerker als Eingriff in ihre Zunftrechte. Nach allen Seiten erregten sie Feindschaft und Eifersucht; die Pfarrer verboten ihnen zu predigen, die Handwerker zu arbeiten, sogar das Recht, die Toten in ihren Kirchen zu begraben, wurde ihnen bestritten. Es gab im 15. Jahrhundert kaum eine verachtetere und verhaßtere Menschenklasse als die Klostergeistlichkeit.
Innerhalb des Klerus gab es verschiedene Spaltungen. Nicht nur bekämpften sich einige Orden untereinander, wie die Franziskaner und Dominikaner, die Weltgeistlichen verachteten die Mönche als Dummköpfe, die Mönche warfen jenen wohl Ketzerei vor. Der niedere Klerus, auf dem alle Pflichten des Amtes lasteten, blickte mit Bitterkeit auf die Bischöfe und Domherren, die hohe Einkünfte auf weltliche Art verzehrten, während sie, die die Arbeit leisteten, sich ärmlich behelfen mußten. Die Bischöfe ihrerseits ertrugen widerwillig die Einmischung des Papstes und seufzten über die Abgaben, die er von Zeit zu Zeit verlangte.
Am bedenklichsten für die Kirche war, wie sehr die Ehrfurcht vor dem Papst nachgelassen hatte. Gerade die Finanzwirtschaft des Heiligen Stuhles erregte Ärgernis. Seit die Päpste die Prozesse aus aller Welt, weltliche und geistliche, vor ihr Tribunal zogen, in allen Händeln Schiedsrichter sein wollten, brauchten sie viel Geld und suchten es sich, da ein geregeltes Steuerwesen nicht durchzusetzen war, unter allen erdenklichen Vorwänden zu verschaffen. Allein wieviel auch zusammenfloß, es genügte nicht für die zahllosen Geschäfte, Kriege, Bauten, Geschenke, Bestechungen, so daß immer neue Ablässe und Türkengelder aus den Taschen der Gläubigen und Gehorsamen, und das waren doch am meisten noch immer die Deutschen, gezogen werden mußten. Und wie sehr war das politische Ansehen des Papstes gesunken, seit er die Hohenstaufen gestürzt hatte! Frankreich, auf das er sich gestützt hatte, suchte ihn seinen Interessen dienstbar zu machen, rückte in die einstige Stellung der Kaiser rücksichtsloser ein. Die Abhängigkeit und der lange Aufenthalt in Avignon schwächten das päpstliche Ansehen und führten schließlich zu einer Spaltung der Kirche, dem Schisma. Der merkwürdige Umstand, daß es einmal zugleich drei Päpste und drei Kaiser gab, veranschaulichte aller Welt die furchtbare Zerfallenheit des Reiches. Noch einmal konnte freilich Siegmund, längstvergessene Kaisergewalt ausübend, die Absetzung oder den Verzicht dreier Päpste und die Wahl eines neuen zuwege bringen, nicht aber die Reformation, die allgemein, hauptsächlich von Deutschland gefordert wurde! Nachdem auch das Konzil von Basel versagt hatte, befand sich der Papst von neuem auf dem Wege zu monarchischer Allgewalt.
Das Verlangen nach Reformation wurde öffentlich, durchaus unter dem Schutz der Gesetze erhoben, vom Kaiser, von vielen abendländischen Fürsten, von den Prälaten, von den Universitäten, vom Volke; außerdem aber gab es einen unterirdischen Angriff auf die Kirche, den der Ketzer. Zu den Ketzern des 13. Jahrhunderts, den Sekten vom freien Geist, den Arnoldisten, die von den Gesetzen und Zeremonien des Papsttums nichts wissen wollten, zu den Waldensern, die man die Bibelgläubigen nannte, kamen im 15. Jahrhundert die Hussiten, die sich besonders in den Böhmen benachbarten Gebieten ausbreiteten, vielfach verschmelzend mit den Waldensern. In der großen, reichen und gebildeten Stadt Nürnberg hatten die Hussiten viel heimliche Anhänger; war doch Huß auf seiner verhängnisvollen Reise nach Konstanz in Nürnberg mit Ehren empfangen worden. Würzburg und Bamberg, wo die Stadt uneins mit ihrem Bischof zu sein pflegte, waren zuweilen voll von Ketzern. Den größten Bestandteil der Sekten bildeten die Handwerker, stille fleißige Leute, denen nichts Böses nachzusagen war, als daß sie vor lauter Arbeiten, Lehren und Lernen nicht genug zum Beten kämen. Aber auch ein Markgraf von Brandenburg wurde hussitischer Ketzerei verdächtigt, und auf dem Baseler Konzil wurde einmal die Befürchtung ausgesprochen, es würden sich, wenn man nicht bald und durchgreifend reformiere, alle Bauern zu den Hussiten schlagen. Denn die Hussiten wollten nicht nur eine kirchliche, sondern auch eine soziale Revolution; Tausende von hoffenden Menschen scharten sich im Jahre 1476 um den jungen Pfeifer von Niklashausen im Taubergrund, der ihnen eine paradiesische Republik vormalte, wo alle Menschen durch die Aufteilung der geistlichen Güter gleich und glücklich sein würden, nachdem man die Pfaffen totgeschlagen hätte.
Es gibt jederzeit in den staatlichen und kirchlichen Einrichtungen Schäden, die bekämpft werden, die vielleicht auch zu ernstlichen Beeinträchtigungen führen; sie gehören zu den unlöslichen Resten des Lebens und können mitgetragen und ausgeglichen werden, wenn die Grundlage des Gesamtorganismus fest und seine Konstruktion im allgemeinen gesund ist. Im 15. Jahrhundert aber war das Reich, das mittelalterliche Gottesreich, in dem Kirche und Staat ineinander verflochten waren, so durch und durch im Verfall, daß die Notwendigkeit einer Wiederherstellung offenkundig war. Die Reformation an Haupt und Gliedern, wie man es nannte, war die Aufgabe der Zeit. Fürsten und Volk, Priester und Laien, Gelehrte und Ungelehrte sprachen davon und gaben sich damit ab. Man lebte im Reich wie in einem sehr alten Bau, wo man zuweilen bei Nacht ein schauerliches Rieseln im Gemäuer zu hören und ein Schwanken unter den Füßen zu spüren glaubte.
Drei Freunde
Auf dem Konzil zu Basel, das im Jahre 1431 eröffnet wurde, lernten sich drei junge Männer kennen, die zu den hervorragendsten Begabungen ihrer Zeit gehörten und deren ineinander verschlungene Lebensläufe wie in einem Sinnbilde die Geistesströmungen der Zeit darstellen. Einer von ihnen war ein Italiener, Enea Silvio Piccolomini aus Siena, zwei waren Deutsche: Nikolaus Krebs, aus Cues an der Mosel gebürtig, daher gewöhnlich Cusa oder Cusanus genannt, und Gregor von Heimburg, ein Franke aus adligem Geschlecht, das schon im 11. Jahrhundert blühte. Piccolomini hatte von den Talenten dieses jungen Juristen, der, wie es scheint, als Privatmann das Konzil besuchte, einen so starken Eindruck, daß er ihn beschäftigte, wozu er als Mitglied eines Ausschusses Gelegenheit hatte. Wenn der Italiener ihn einen der drei gelehrtesten Männer des Konzils nennt, möchte man annehmen, daß er mit dem anderen sich selbst, sicher ist, daß er mit dem dritten Nikolaus von Cusa meinte. Heimburg hatte neben den Rechten die Humaniora studiert, was damals noch eine Ausnahme war, ein stattlicher Wuchs empfahl ihn, man rühmte sein heiteres, offenes Gesicht, frühe Kahlheit ließ seine Stirn noch mächtiger erscheinen. Seine Lebensführung gab nie zu Tadel Anlaß, jugendliche Ausschweifungen konnten ihm nicht vorgeworfen werden; Enea Silvio dagegen gab sich unbekümmert den Genüssen des Lebens hin und pochte mit einer gewissen liebenswürdigen Frivolität auf das Recht, die natürlichen Triebe auszuleben. Er СКАЧАТЬ