Название: Gesammelte Werke
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 4064066388829
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Von den drei Freunden war Nikolaus von Cusa die interessanteste Persönlichkeit und der bedeutendste Denker. Dieser merkwürdige Mann, in dem das Denken die stärkste Leidenschaft war, der er nicht widerstehen konnte, hat für Jahrhunderte vorausgedacht. Es gibt kaum einen Philosophen der folgenden Zeit, von dem sich nicht annehmen ließe, er habe von Nikolaus von Cusa Anregung empfangen. In der Schule der ›Brüder vom gemeinsamen Leben‹ erzogen, teilte er ihre freieren Auffassungen und stand er dem Papsttum zunächst kühl, teilweise ablehnend gegenüber. Er verurteilte die Alleinherrschaftsansprüche des Papstes im Verhältnis zum Klerus und zum Staat und die Seelenführung der Kirche, die sich mit Äußerlichkeiten begnügte. Er hätte nicht nur der Bekämpfer der alten Kirche, sondern der Vorkämpfer für einen neuen, freieren Glauben werden können. Seine Gedankengänge führten ihn zu der Einsicht, daß jeder Mensch Gott nur so weit erkennen könne, wie es seinen geistigen Kräften entspreche, und daß deshalb das Gottesbild eines rohen Volkes anders ausfallen müsse als das eines hochentwickelten. Er zog daraus nicht den Schluß, auf den Denker einer späteren Zeit verfielen, daß der Mensch sich Gott mache, daß Gott nur das in den Himmel geworfene Spiegelbild des Menschen sei; denn er ging von Gott als von der sichersten Tatsache aus; aber er folgerte daraus die Hoffnung, daß einst vielleicht alle Völker sich in einer gemeinsamen Religion vereinigen würden, wenn sie begriffen, daß sie alle nur eine mittelbare Kenntnis des Einen, Unerreichbaren hätten, dessen von ihren Vätern ahnungsvoll erschautes Bild sie anbeteten. In seinem Werk De pace seu concordantia fidei läßt er Gottvater, umgeben von Engeln und Seligen, die Herstellung der Glaubenseinheit beschließen und 17 Nationen im Himmel der Vernunft friedlich vereinigen. Würde ein Löwe Gott ein Antlitz geben, sagt er, so würde es wie das eines Löwen ausfallen, bei dem Adler wie das des Adlers. »Wie ein jeder eine Brille auf der Nase hat, also erscheint und ist ihm Gott« drückte es später volkstümlich Sebastian Franck aus.
Indessen je enger Cusas Denken die Idee Gottes, die absolute Vernunft umkreiste, desto deutlicher wurde ihm die Ohnmacht des menschlichen Denkens in bezug auf das Übersinnliche. Wohin geriet er, wenn er, wie die Idee es zu erfordern schien, auf jede Vermenschlichung des Göttlichen verzichten wollte? Wenn er sich nicht damit begnügen wollte, daß wir hier, wie Paulus es ausdrückt, in einem dunklen Wort sehen, dort erst von Angesicht zu Angesicht? – Wer ist nach seinem eigentlichen Wesen der, den keine Namen nennen, der mit nichts Irdischem vergleichbar ist? In unermüdlicher Gedankenarbeit blättert er von der Gottesidee alles Irdische ab, um endlich vor dem Abgrund des Nichts zu stehen. Er erlebte, daß, wer den Schleier vom Bilde Gottes reißen will, um ihn in seiner Majestät zu sehen, vom Feuer verzehrt oder in eisige Finsternis geworfen wird, wo der Sterbliche nicht atmen kann. Unter dem Grauen, das ihn befiel, wurde ihm klar, was die Kirche für die Menschheit getan hatte. Sie hatte über den furchtbaren Gottesabgrund, in dem das Endliche sich verzehrt wie ein Tropfen auf glühendem Eisen, die herrliche Vision der Gottesgeschichte gespannt, Symbole, die dem menschlichen Geist faßlich sind, und die eins werden konnten mit der Idee, die sie darstellten. Die Kirche steht schützend zwischen den Menschen und der schauervollen Einöde, zu der der über Gott denkende Verstand führt, sie lehrt den Glauben an Gott und hat ihre Lehre mit Wissenschaft und Kunst und mit unerschütterlichen Geboten befestigt. Cusa fand nicht wie ein späterer großer Deutscher in seinem Herzen einen Weg zu Gott, der unmittelbar an das Herz des alliebenden Vaters führt; den Abgrund zwischen Gott und der Kreatur zu überbrücken, wußte er kein anderes Mittel als engen Anschluß an die Kirche. Sich und die Menschheit glaubte er zu retten, indem er sich aus der Hölle des Denkens wie ein flüchtender Verbrecher an die Säulen der Kirche klammerte. Der Verstand, so sagte er, muß durch den Glauben besiegt werden, und das ist für den hochmütigen Menschen der schwerste Kampf; er muß wie ein Tor und Sklave werden, der auf die Freiheit des Verstandes verzichtet und sich gefangen gibt. »Glauben können ist der größte Sieg, er übertrifft alle geistige Kraft, denn er gehört in das Gebiet des Willens … Die vernünftige Seele kann glauben oder nicht glauben, je nachdem sie will oder nicht will … Wenn der Wille durch einen bestimmten Glauben auf die Vernunft drückt, daß nämlich Gott zu uns durch die Propheten, zuletzt durch seinen Sohn, der uns die Lehre von der Unsterblichkeit geoffenbart, geredet hat, so nimmt die Vernunft keinen Anstand, dem Worte Gottes zu glauben.« Solche Betrachtungen lassen ahnen, mit welcher Anstrengung sich Cusa den Glauben an Gott, wie die Kirche ihn lehrt, erkämpft hat, und sie machen die Strenge begreiflich, mit der er diesen Glauben von den Menschen forderte. Er war für ihn nicht ein Feuer, das aus einem begnadeten Herzen bricht und das innere Auge erleuchtet, sondern ein Entschluß, den zu erfassen nur strafbarer Hochmut oder strafbare Trägheit hindert.
Es hat etwas Ergreifendes, den leidenschaftlichen Denker sich um die Innigkeit des Gläubigen mühen zu sehn. »Gepriesen seist du, mein Herr und Gott, daß du mich mit der Milch des Gleichnisses nährst und speisest«. »Du wolltest, o Gott, die kindliche Liebe zu dir auf jene menschliche Anschauung von dir gründen«. In solchen Anrufungen Gottes spürt man immer noch mehr den Denker als den kindlich Gläubigen, der er sein wollte; denn im schlichten Glauben, sagt er, sei eine größere Fruchtbarkeit als in dem durch reichliche Verstandesgründe vermittelten. Eine ungeheure Denkkraft und eine ungeheure Willenskraft in einem Menschen zusammenwirkend erstreben als höchstes Ziel kindlichen Glauben. Cusa sah zu klar, um nicht zu wissen, daß sein Glaubenwollen und Bekennen nicht der Glaube war, den zu haben er für richtig hielt; das war die geheime Tragik, die seine Seele verdüsterte. Er selbst hatte sich erlaubt zu denken und erlaubte es sich auch ferner, weil er denken mußte, wie er atmete; aber er hatte sich davon überzeugt, daß die höchste Weisheit und die einzige Rettung vor Willkür, Auflösung und Untergang bei der Kirche sei, und zwar bei der monarchisch regierten Kirche.
Man muß annehmen, daß die inneren Erlebnisse Cusas, das an Abgründen sich hinwälzende Ringen seiner Gedanken, das sein Leben erfüllte, während des Konzils begann, dessen Verlauf den stolzen Erwartungen seiner Begründer nicht entsprach. Trotz der vorzüglichen Eigenschaften des das Konzil leitenden Kardinals Cesarini brachten es die versammelten Väter nicht zu einmütigen, starken Beschlüssen, wovon die Folge war, daß bei manchen der Konzilsgedanke ins Wanken kam, und dagegen die Ansicht sich festsetzte, daß die Herrschaft eines einzigen fruchtbarer für die Kirche sei als die Herrschaft vieler unverträglicher Prälaten. Nikolaus von Cusa war der erste von den Freunden, der zur Partei des Papstes überging. Der Glaube, die Grundlage des menschlichen Lebens, so schien es ihm nun, dürfte nicht der schwankenden Meinung einer vielköpfigen Versammlung preisgegeben werden. Gewißheit des Glaubens sei wichtigstes Erfordernis, und die gewähre die Überlieferung der Kirche durch die Autorität eines einzigen gehütet. Nur ein einzelner könne ganz eins sein mit dem System, das er vertrete. Die Freiheit, die er sich gewährt hatte, führte ihn zur unbedingten Unterwerfung unter das monarchische Papsttum. Immerhin vergaß Cusa nicht, wie verderbt die Kirche war; gerade weil sie den Menschen gleich Gott sein sollte, mußte sie gereinigt, zu früherer Vorbildlichkeit zurückgeführt werden. Die notwendige Reform durchzuführen betrachtete er nun als seine Aufgabe, die er durch Predigt und durch Beispiel mit außerordentlicher Selbstverleugnung zu erfüllen suchte. Er war hart gegen sich, um es mit Recht gegen andere sein zu dürfen. Niemals äußerte sich bei ihm jene Frömmigkeit, die sich von einer liebenden Allmacht getragen fühlt; seine Überzeugung war unerschütterlich, aber ohne Freudigkeit, zuweilen war in seinem Auftreten etwas Verbissenes. Viel Erfolg hatten seine Bemühungen um Reform des Klerus nicht. Aus den Kreisen der Geistlichkeit selbst wagte es einer, ihm eine schriftliche Drohung vor die Tür zu legen; er dürfe ihnen nicht Laster und Ausschreitungen zum Vorwurf machen, die von den Häuptern straflos begangen würden.
Länger als Cusa blieb Piccolomini der Sache des Konzils treu, ja, als sechs Kurfürsten die deutsche Kirche für neutral im Kampfe zwischen Papst und Konzil erklärten, trat СКАЧАТЬ