Название: Mörder im Hansaviertel
Автор: Frank Goyke
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783356023657
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Links vom ihm stand, ein Klemmbrett unterm Arm, sein Stellvertreter Breithaupt, der auch einen Spitznamen hatte: Kofferträger. Dass Wendel den Dienst beenden würde, stand schon eine Weile fest, und natürlich befasste man sich im Kommissariat, wenn nicht in der gesamten Kriminalpolizei, mit der Frage seines Nachfolgers. »Oder seiner Nachfolgerin«, wie Ann-Kathrin Hölzel nicht müde wurde zu betonen. Hölzel, seit drei Monaten Oberkommissarin, hatte den Platz rechts neben dem Chef inne und sprach etwas in ein Diktiergerät. Peter Breithaupt als zweiter Mann des Kommissariats hatte in gewisser Weise einen Anspruch auf den Posten, aber er war ein Mann von geringen Ambitionen und sicher nicht mehr auf einen Karrieresprung erpicht: Er würde in drei Jahren in Pension gehen. Wahrscheinlich würde man jemanden von außerhalb holen, vielleicht einen dieser gutausgebildeten Digital-Autisten der jungen Generation. Hölzel meinte zwar gelegentlich, Barbara Riedbiester solle es machen, aber sie würde den Teufel tun. Außerdem würden weder der Chef der Kripo noch der Polizeipräsident je auf die Idee kommen, Hauptkommissarin Riedbiester könne die Mordkommission leiten. Das Einzige, was toll war an diesem Job, das war die Kohle: Mit diesem Geld könnte sie aus Sunset Orange eine Rakete machen, die arabische Clanbrüder vor Neid erblassen ließe.
Etwas abseits, die Arme vor der Brust verschränkt und in ein Gespräch mit Krüger vom KDD vertieft, stand die Neue. Ramona Brinkhart war aus Niedersachsen nach Mecklenburg gekommen: Sie war in einem Barbara vollkommen unbekannten Nordseebad namens Dangast zur Welt gekommen, hatte bis vor anderthalb Jahren bei der Zentralen Kriminalinspektion der Polizeidirektion Oldenburg gearbeitet, wollte aber unbedingt wieder in eine Stadt am Meer, also hatte sie sich um eine polizeiintern ausgeschriebene Stelle bei der Rostocker Kriminalpolizeiinspektion beworben. Sie hatte, oh Wunder, eine Wohnung in Warnemünde bezogen, in der Fritz-Reuter-Straße, war also so nahe am Meer wie in ihrer Kindheit und anscheinend wirklich glücklich. Natürlich gab es einen Wermutstropfen. Ihr Mann, ein Straßenbauingenieur, hatte noch keinen Job in Rostock oder Umgebung gefunden, und so pendelten die Eheleute an den Wochenenden zwischen Oldenburg und Warnemünde hin und her.
Barbara und Uplegger näherten sich der kleinen Gruppe, und die Kommissarin bat den Chef, sie kurz und knapp auf den Stand der Dinge zu bringen. Es war ein Ehepaar getötet worden, das wusste sie schon, ein Ehepaar namens Klaas. Und es war eindeutig ein Tötungsverbrechen. So war es schon vom KDD eingeschätzt worden, und das hatte sich inzwischen als korrekt erwiesen.
Gunnar Wendel deutete auf Breithaupt, der einen Blick aufs Klemmbrett warf, obwohl er die wichtigsten Umstände sicher im Kopf hatte.
»Dorothee und Michael Klaas, sie 53 und er 51, also zirka zwei Jahre jünger.«
Das hatte Barbara auch sofort ausrechnen können, aber sie schwieg.
»Sie sind im Keller ihres Wohnhauses getötet worden. Beide mit einem Kopfschuss. Ein paar Sofakissen wurden als Schalldämpfer benutzt. Sieht wie eine Hinrichtung aus.«
Ann-Kathrin Hölzel ergänzte: »Auf dem Boden neben den Geschädigten wurde eine Jagdflinte gefunden, die als mögliche Tatwaffe in Betracht kommt.«
»Eine Beretta Bockdoppelflinte, Modell 686«, sagte Wendel. »So ein Ding kostet mehr als 2000 Euro.«
»Kein Pappenstiel«, bemerkte Barbara.
»Die größte Besonderheit der Tat ist allerdings der Umstand, dass die Eheleute Klaas gefoltert wurden«, sagte Ann-Kathrin Hölzel.
Uplegger riss die Augen auf: »Was wurden sie?«
»Gefoltert.«
»Beide weisen Folterspuren auf«, sagte Krüger vom KDD, der sich gemeinsam mit Ramona Brinkhart zu der Gruppe gesellt hatte. »Sie wurden geschlagen. Außerdem wurden ihnen tiefe Ritzwunden zugefügt, wahrscheinlich mit einer zerschlagenen Weinflasche. Eine solche lag neben dem Mann.«
»Puh«, machte Barbara. »Wo sind die Auffindungszeugen?«
Die zwei Auffindungszeuginnen hatten sich in die Reihenhaushälfte zurückgezogen, die an das Grundstück der Familie Klaas grenzte. Als sich Hauptkommissarin Riedbiester zu ihnen auf den Weg machte, kannte sie ihre Namen; es handelte sich um eine sehr betagte Frau namens Hagemeister, die Besitzerin der Haushälfte, sowie eine gewisse Annalena Meissner, eine Frau mittleren Alters und nach eigenen Angaben die beste Freundin der geschädigten Dorothee Klaas. An der 1. Erweiterten Oberschule, die von Barbara in grauer Vorzeit besucht worden war und an der sie ein mäßiges Abitur hingeschustert hatte, hatte es damals eine Lehrerin namens Hagemeister gegeben, die Deutsch, Russisch und Latein unterrichtet hatte. Barbara hatte sie zwei Jahre in Deutsch gehabt und in der 11. sowie der 12. Klasse in Latein, ein sogenanntes wahlobligatorisches Fach, dass nur die Schüler ernstgenommen hatten, die Medizin studieren wollten. Nur an eine Grausamkeit der lateinischen Grammatik konnte sich Barbara noch erinnern, an den berühmt-berüchtigten Accusativus cum infinitivo, den nur Masochisten liebevoll AcI abkürzten. Aber diese Frau Hagemeister musste längst tot sein.
Barbara betätigte die Türglocke neben dem Namensschild. Es dauerte keine zwei Minuten, dann wurde die Tür geöffnet. Eine etwas gebeugte, grauhaarige Frau in einem dunkelblauen Hauskleid schaute sie mit sehr ernstem Gesichtsausdruck an.
Sie war es. Barbara erkannte sie sofort, trotz des fortgeschrittenen Alters. Das war ihre ehemalige Lehrerin.
Und auch sie schien Barbara zu erkennen. Davon sprach etwas in ihrem Mienenspiel, eine kaum merkliche Bewegung der Brauen, ein Fragezeichen im Blick.
»Frau Hagemeister!«, rief Barbara und verbarg die Überraschung nicht.
»Sie waren meine Schülerin«, konstatierte die Angesprochene mit einer leichten Unsicherheit in der Stimme. »Ach … Barbara? Sie heißen Barbara?«
Barbara nickte. »Sie haben ein gutes Gedächtnis, Frau Hagemeister!«
»Vor allem in Bezug auf lange Zurückliegendes. Aber so ist das im Alter. Sie sind wohl bei der Kriminalpolizei gelandet?«
»Gelandet? Das ist ein schönes Wort dafür«, erwiderte Barbara mit einem flüchtigen Lächeln. »Leider habe ich wenig Zeit für einen Plausch …«
»Ich verstehe. Bitte, kommen Sie herein!«
Die Kommissarin trat ein. Nachdem Liselotte Hagemeister die Tür geschlossen hatte, stellte Barbara sofort fest, dass es nicht nach alter Frau roch. Vielleicht wurde jenes charakteristische Aroma von den vermutlich indischen Wohlgerüchen überlagert, die durch eine halbgeöffnete Tür in die kleine Diele strömten.
Frau Hagemeister schob diese Tür weiter auf und lud ihren Gast mit einer Handbewegung zum Nähertreten ein.
Der Raum, den Barbara vor der Gastgeberin betrat, war unzweifelhaft das Wohnzimmer. Sie nahm die Einrichtung ganz schnell auf Kriminalistenart, also in Uhrzeigerrichtung wahr: links eine Schrankwand aus DDR-Produktion, vis-à-vis eine Fensterfront mit Tür zur Terrasse, rechts deckenhohe Bücherregale, СКАЧАТЬ