Mrs Palfrey im Claremont. Elizabeth Taylor
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Название: Mrs Palfrey im Claremont

Автор: Elizabeth Taylor

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783038209843

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      Mrs Palfreys Herz schlug ein wenig höher, als Mrs Arbuthnot – deren übliche Sklavin erkältet war – sie bat, ein Buch für sie zurückzugeben und ihr ein neues mitzubringen. Es war, als wäre sie wieder in der Schule und würde von der Schulsprecherin gebeten, etwas für sie zu erledigen. Sie hatte bloß einen ihrer ziellosen Spaziergänge machen wollen, um den Nachmittag zu verkürzen, und freute sich nun, einen richtigen Anlass dafür zu haben.

      »Irgendetwas von Lord Snow vielleicht«, sagte Mrs Arbuthnot. »Ich ertrage keinen Schund.«

      »Aber wenn Sie es schon gelesen haben …«, setzte Mrs Palfrey nervös an.

      »Ein gutes Buch kann man ruhig zweimal lesen«, gab Mrs Arbuthnot spitz zurück. »Vielmehr sollte man ein gutes Buch sogar zweimal lesen.«

      Mrs Palfrey nahm die Zurechtweisung einigermaßen gefasst hin. Schließlich war Mrs Arbuthnot diejenige, die ihr einen Gefallen tat. Sie brach auf, entschlossen, einen solchen Schatz mitzubringen – den allerneuesten Snow vielleicht –, dass Mrs Post ihre Aufgabe für immer los wäre. Sie wusste, dass sie sich, indem sie so dachte, wie ihre frühere Freundin Lilian benahm, ließ sich aber nicht beirren. (Lilian wäre trotzig gewesen.) Das Claremont war im Grunde wie eine eingeschränkte und ausgetrocknete Schulwelt. Zwar war das Essen besser; allerdings wäre es sonst für Erwachsene auch ungenießbar gewesen.

      Es dämmerte schon, als Mrs Palfrey, triumphierend den neuesten Snow in der Hand, aus der Leihbücherei kam und den Rückweg antrat, von einer ruhigen, inzwischen vertrauten Straße zur anderen. Nieselregen trübte die Lichter und verschlammte die Bürgersteige. Sie war müde und ging langsam dicht an den Grundstückszäunen entlang. Einige Souterrainfenster waren erleuchtet und manche Vorhänge noch nicht zugezogen, sodass sie – auch wenn sie sich ein wenig dafür schämte – in die Zimmer hineinschauen konnte: hier eine triste Küche, dort ein gemütliches Wohnzimmer mit aufgelegter Tischdecke und einem Vogel im Käfig.

      Wie entsetzlich die Venen in ihrem Bein schmerzten; jeder Schritt tat ihr weh. Doch den Nachmittag hatte sie gut genutzt, und nun konnte sie sich bald hinsetzen, einen langen Abend nur noch dasitzen und ausruhen. Den ganzen Tag hätte sie so nicht verbringen können. Durch den Spaziergang war sie aus sich heraus und aus dem Haus gekommen.

      Plötzlich – sie konnte sich später nicht mehr erinnern, wie; ob ihr Fuß umgeknickt oder ob sie auf dem glitschigen Boden ausgerutscht war – stolperte sie, versuchte, sich zu halten, und fiel mit dem grässlichen Geräusch eines schweren, älteren Menschen hin.

      Zuerst empfand sie nur Scham. Sie bot all ihre Kraft auf, um sich zu berappeln, ihre Würde wiederzuerlangen, obwohl die Straße leer war; keine Passanten in der Nähe, die sie dort hätten liegen sehen können. Sie war ganz außer sich – außer Atem – und voller Angst. Jeder Herzschlag mochte ihr letzter sein. Sie zog sich an den Zaunpfählen hoch, lehnte dort und versuchte, sich zu beruhigen. Ich werde nie nach Hause kommen, dachte sie, und vor Schreck und Bestürzung war sie den Tränen nah.

      Nur undeutlich nahm sie wahr, dass sich auf dem Grundstück jenseits des Zauns eine Tür öffnete. Licht strömte über die nassen Steine, die Farne und eine Mülltonne, und ein junger Mann kam eilig die Treppe herauf. Er nahm sie in die Arme und drückte sie an sich, wie ein Liebhaber und ohne ein Wort, und eine wunderbare Ergebenheit breitete sich über ihren Schmerz, und sie überließ sich ihm mit williger Dankbarkeit.

      Sie spürte Blut an ihrem Bein hinunterrinnen, wagte aber nicht hinzuschauen.

      Nach einer Weile lehnte der junge Mann sie an den Zaun, um ihre Handtasche, das Buch aus der Leihbücherei und ihren Spazierstock vom Boden aufzuheben; dann legte er ihr den Arm um die Schultern – sie war größer als er – und half ihr langsam die Stufen hinunter. Sie ging mit, ohne zu protestieren, denn ihr blieb ja nichts anderes übrig, und sie war froh, von der Straße weggebracht und nicht womöglich am Zaun zusammengesackt, ganz aufgelöst und durcheinander von irgendwem gesehen zu werden. Wenn er ihr ein Glas Wasser geben würde, könnte sie eine ihrer Pillen aus der Handtasche nehmen, sich sammeln und einen Plan fassen.

      »Entschuldigen Sie!«, keuchte sie, als sie sich drinnen hingesetzt hatte. Ihre Lippen, ihr ganzes Gesicht fühlten sich taub und blutleer an.

      »Sprechen Sie lieber noch nicht«, sagte er. Er ging weg und kam mit einer Tasse Wasser wieder, und es war, als wären keine Worte nötig. Sie zeigte auf ihre Handtasche, und er brachte sie ihr, öffnete sie und hielt sie, vor ihr kniend, für sie auf. Als er ihren zerrissenen Strumpf und das blutende Bein sah, ging er erneut weg und kam mit einer Schüssel warmen Wassers und einem schmutzigen Handtuch zurück. Beim Anblick des Handtuchs erschrak sie, doch dieser Schreck kam zu kurz nach dem anderen, um ihr viel auszumachen, und so ergab sie sich. Sie war jetzt ganz in den Händen des jungen Mannes und unterwarf sich ihm gern. Deshalb fand sie es auch gar nicht empörend, als er den Gummibund ihrer Unterhose über dem Strumpfband anhob und den Strumpf löste. Überaus sanft säuberte er ihr das Knie und betupfte es mit dem schmutzigen Handtuch. Sie spürte keinen Schmerz. Ihr Knie schien nicht zu ihr zu gehören. Er nahm ein Taschentuch aus einer Schublade und band es ihr ums Knie, zog den zerrissenen Strumpf wieder hoch, hockte sich dann hin und sah lächelnd zu ihr hoch.

      »Ich könnte Ihnen eine Tasse Tee machen«, sagte er.

      »Ich kann Ihnen unmöglich so viel Mühe bereiten.«

      Er schien darüber nachzudenken und sagte dann: »Viel Mühe wäre es nicht.«

      »Sie waren so liebenswürdig.«

      »Ja, ich mache Tee«, sagte er, plötzlich entschlossen. »Ich heiße übrigens Ludo. Ludovic Myers. Unglaublich, finden Sie nicht?«

      »Und ich heiße Palfrey – Laura Palfrey«, sagte sie; sie fühlte sich schon um einiges besser.

      »Dann haben wir ja beide lächerliche Namen«, sagte er und stand auf, um den Kessel zu füllen.

      Noch nie im Leben hatte sie Laura Palfrey für einen lächerlichen Namen gehalten, und doch war sie kein bisschen verärgert. Sie lächelte sogar.

      »Wie weit haben Sie es noch?«, fragte er.

      »Bis zur Cromwell Road, dem Claremont Hotel. Kennen Sie es?«

      »Nein.« Der Gedanke, er könnte das Claremont Hotel kennen, schien ihn zu belustigen. »Ich kann Ihnen ein Taxi rufen, wenn Sie möchten«, sagte er. »Es dürfte von hier aus nicht allzu viel kosten.«

      »Da wäre ich Ihnen sehr dankbar«, sagte sie; sie fühlte sich erschöpft.

      Erst jetzt war sie in der Lage, ihre Umgebung wahrzunehmen – ein nackter Tisch mit Büchern, ein auf kleiner Flamme brennender Gasofen, ein an der Rückseite der Tür hängender dunkler Anzug. Die Vorhänge vor dem Fenster trafen nicht genau aufeinander und wurden von zwei großen Sicherheitsnadeln zusammengehalten.

      »Es ist ein Glück, dass ich zu Hause war«, sagte der junge Mann – Ludo. »Ich war eben von der Arbeit zurückgekommen. Zog gerade die Vorhänge zu.«

      »Wo arbeiten Sie denn?«, fragte sie, bemüht darum, Konversation zu machen.

      »Bei Harrods.«

      Auf der Gaskochstelle begann der Kessel zu pfeifen, und Ludo holte einen Zinnbecher hervor, mit einem Union Jack darauf. Die jungen Leute heutzutage hatten eine Leidenschaft für den Union Jack, stellte Mrs Palfrey immer wieder voller Erstaunen fest. All die Mädchen mit den langen Haaren und langen Röcken schienen Union-Jack-Tragetaschen zu haben. Sie fragte sich, ob das angemessen war – selbst wenn sie es СКАЧАТЬ