Mrs Palfrey im Claremont. Elizabeth Taylor
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Название: Mrs Palfrey im Claremont

Автор: Elizabeth Taylor

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783038209843

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СКАЧАТЬ äußerst anstrengend, und hinzu kam ihr heimlicher Kummer, dass sie in London letztlich doch niemanden hatte, der zu ihr gehörte, und dass der strebsame, recht untadelige junge Mann, auf den sie immer so stolz gewesen war, sich kein bisschen für sie interessierte. Noch nicht einmal ihre Briefe hatte er beantwortet, ihre Einladungen zum Abendessen im Claremont. Junge Männer waren immer hungrig und sehr oft knapp bei Kasse, hatte sie angenommen; nun aber zeigte sich, dass ihr Enkel weder hungrig noch knapp bei Kasse genug war, um in dieser Hinsicht irgendwelche Unterstützung ihrerseits zu benötigen. Das kränkte sie nicht nur, es empörte sie. Nicht zuletzt war es eine Frage der Erziehung. Briefe sollten beantwortet werden. Sie konnte nicht umhin, diesen Fehltritt ihrer Tochter gegenüber zu erwähnen, und schrieb ihr in ihrer unnachahmlichen Art, »sie meine ja bloß«. Es kam häufig vor, dass sie etwas »bloß meinte« oder »lediglich erwähnen« oder »nur mal gesagt haben« wollte. Ihre Tochter ging ganz beiläufig auf dieses »Meinen« ein, und zwar in ihrer gewohnt forschen Art, ohne Entschuldigung oder Erstaunen. »Sie sind alle gleich. Ich habe einen Brass auf die Jugend.« Solche landschaftlichen Wörter übernahm sie gern; ihren schottischen Ehemann ließen sie zusammenzucken. Er konnte sie nicht »verknusen«, wie sie es ausgedrückt hätte.

      Ob sie sich ihren Sohn zur Brust nahm oder nicht, fand Mrs Palfrey nicht heraus. Weder kam er noch schrieb er ihr, und sie wünschte von Herzen, sie hätte im Claremont nie von ihm gesprochen. Sie hatte zunehmend das Gefühl, bemitleidet zu werden. Alle anderen Bewohner bekamen Besuch – selbst einigermaßen ferne Verwandte taten von Zeit zu Zeit ihre Pflicht; sie blieben eine Weile, lobten die Annehmlichkeiten des Hotels in den höchsten Tönen und zogen erleichtert wieder von dannen. Es war Mrs Palfrey schleierhaft, wie ihr einziges Enkelkind – noch dazu ihr Erbe – sie derart vernachlässigen konnte.

      An einem ihrer schlimmsten Arthritis-Tage sprach Mrs Arbuthnot ihr gehässig ihre Anteilnahme aus, und in der darauffolgenden Nacht konnte Mrs Palfrey nicht schlafen. Von panischer Angst vor Einsamkeit heimgesucht, quälte sie sich durch die Stunden nach Mitternacht.

      Ich darf mich nicht nervös machen lassen, warnte sie sich. Nervosität war schlecht für ihr Herz. Sie knipste das Licht an und fragte sich, ob es je Morgen werden würde. Sie versuchte zu lesen, doch ihr Herz ruckelte so zögerlich, dass jedes Pochen in ihrem Kopf widerhallte. Wenn ihr so zumute war, schien ihr alles besser, als allein zu sein – ein Pflegeheim, wo auch andere nachts wach liegen würden, ja sogar bei ihrer Tochter zu wohnen, vorausgesetzt, so etwas wäre je vorgeschlagen worden. Am Morgen – wie sie sich jetzt schwor – wäre ihr Lebensmut, die Gewissheit, dass sie nicht aufgeben würde, wiederhergestellt. Sie würde im Claremont bleiben, solange sie konnte, und von hier aus schließlich ins Krankenhaus gebracht werden, wo sie so schnell wie möglich zu sterben hoffte, ohne irgendwem zur Last zu fallen als denen, die dafür bezahlt wurden, sich um sie zu kümmern.

      »Die jungen Leute sind sehr herzlos«, hatte Mrs Arbuthnot zu sagen gewagt.

      »Er würde kommen, wenn er könnte«, hatte Mrs Palfrey erwidert und die Lippen zusammengepresst, denn sie hatten gezittert.

      »Wir armen alten Frauen leben zu lange«, hatte Mrs Arbuthnot mit einem Lächeln gesagt.

      Wenn sie von ihrem Ehemann sprach, hatte Mrs Palfrey bemerkt, war der bloße Ton ihrer Stimme ein Vorwurf an ihn, gestorben zu sein, sie sitzen gelassen zu haben. Unter den gegebenen Umständen wäre er ihr von so großem Nutzen gewesen, hätte ihr helfen können herumzukommen, abgeholt und gestützt zu werden: Vielleicht würde sie sogar immer noch in ihren eigenen vier Wänden wohnen. Aber sie war nicht so allein wie Mrs Palfrey. Sie hatte Schwestern, die kamen und gingen, manchmal sogar mit dem Wagen, um Ausfahrten mit ihr zu unternehmen oder ihre alte Freundin Miss Benson im Krankenhaus zu besuchen. Miss Benson hatte im Claremont gewohnt, bevor sie krank wurde.

      »Sie hatte niemanden«, sagte Mrs Arbuthnot, was heißen sollte, niemanden außer Mrs Arbuthnot. »Keine Menschenseele. Sie war vollkommen allein.« Ihre Augen ruhten auf Mrs Palfrey. »Nie kam irgendjemand sie besuchen. In all unseren gemeinsamen Jahren hier. Dabei war sie zu ihrer Zeit eine stadtbekannte Frau.«

      »Ich bin viel im Ausland gewesen«, sagte Mrs Palfrey. »Da verliert man den Kontakt.«

      »So ist es wohl. Wir müssen unsere Freundschaften instand halten. Das hat, glaube ich, Doktor Johnson gesagt. Aber Sie, Sie haben natürlich Ihren Enkel.«

      »Ja, ich habe Desmond.« Ich bin wirklich nicht mit dieser armen Miss Benson zu vergleichen, beruhigte sie sich. Zu Mrs Arbuthnot sagte sie: »Meine Tochter lebt so weit weg, in Schottland.«

      »Und Sie würden nicht gern im Norden leben?«, bohrte Mrs Arbuthnot nach.

      Mrs Palfrey war nicht dazu eingeladen worden, und sie kam auch nicht gut mit ihrer Tochter aus, die laut und burschikos war und den größten Teil ihrer Zeit damit verbrachte, Golf zu spielen oder darüber zu reden. »Ich weiß nicht, ob mir das Klima dort zuträglich wäre«, antwortete sie. In London schüttete es; in Schottland kam der Regen gleichmäßiger vom Himmel: als Schnee. Sie hatten es am Abend im Fernsehen gesehen.

      »Nein, natürlich nicht«, sagte Mrs Arbuthnot leise, die Augen erneut auf Mrs Palfrey gerichtet. Es waren so blassblaue Augen, dass Mrs Palfrey mulmig wurde. Sie fand, dass blaue Augen mit den Jahren immer blasser und irrer wurden. Braune Augen dagegen bleiben gleich, dachte sie mit etwas Stolz.

      Mäßig verzweifelt (denn sie hatte noch nicht herausgefunden, dass ihre Mitbewohner sich wesentlich mehr als nötig über Besucher unterhielten) schrieb Mrs Palfrey einer ihrer alten Schulfreundinnen, die in Hampstead wohnte. Sie kannte ihre Adresse, weil sie seit sechzig Jahren Weihnachtskarten austauschten, obwohl es wahrscheinlich kaum das war, was Mrs Arbuthnot oder Doktor Johnson darunter verstanden, eine Freundschaft instand zu halten.

      Mrs Palfrey lud Lilian Kibble zum Mittagessen ins Claremont ein, und Lilian Kibble, die eine Taxifahrt von Hampstead zur Cromwell Road für zu teuer befand, antwortete, sie freue sich sehr und werde ihr bald Bescheid geben, wann es ihr passe – was sie Mrs Palfreys Meinung nach ebenso gut gleich hätte tun können. Natürlich hörte sie nichts mehr von Mrs Kibble, doch ein, zwei Wochen lang gestattete sie sich, auf einen Brief zu hoffen. Es war schon immer eine unausgewogene Freundschaft gewesen, in der Mrs Palfrey die treue, brave, unaufregende Schulkameradin war, zu der Lilian nach ihren Scharmützeln immer wieder zurückkehrte – den Überfällen auf die »besten Freundinnen« anderer Mädchen, anschließenden Zerwürfnissen, leidenschaftlichen Schwärmereien für Lehrerinnen, Eifersucht und Verrat. Nach der Schule war sie, abgesehen von den Weihnachtskarten, aus Mrs Palfreys Leben verschwunden; aber sie hatte drei Ehemänner gehabt, wie Mrs Palfrey wusste, und einer davon war immer noch da.

      Eine weitere alte Bekannte aus der Zeit des Auswärtigen Dienstes lebte in Richmond. Das war ziemlich weit von der Cromwell Road entfernt, doch Mrs Palfrey beschloss, sie trotzdem aufzustöbern. Sie schrieb auch ihr und lud sie zum Mittagessen ein – doch die Arme war noch schlechter dran als Mrs Palfrey, sie lag mit gebrochener Hüfte unbeweglich im Bett. Sie schlug allerdings nicht vor, dass Mrs Palfrey sie doch ihrerseits in Richmond besuchen könne. Mrs Palfrey fand, das hätte sie tun sollen, und wäre auch gekommen.

      Danach fiel ihr niemand mehr ein, den sie hätte einladen können. Sie hatte im Claremont ein wenig dazugelernt und beging nicht den Fehler, Mrs Arbuthnot zu erzählen, dass ihre Freundin Lilian vielleicht irgendwann zum Mittagessen kommen würde. Sie fühlte sich mehr und mehr wie die arme Miss Benson.

      Die Zeit verging. Das ließ sich beweisen, obwohl so wenig geschah.

      Im Claremont verbrachte man die Tage einzeln. Man saß an Einzeltischen und ging einzeln spazieren. Der Nachmittagsausflug zur Leihbücherei wurde stets allein unternommen. Mrs Arbuthnot konnte nicht so weit laufen, also ging Mrs Post für sie und brachte fast jedes Mal das falsche Buch mit: Sie verwechselte Elizabeth Bowen mit Marjorie Bowen und konnte СКАЧАТЬ