Dich hat der Esel im Galopp verloren. Ellen Schwiers
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      Wegen der andauernden Geldsorgen haben sich meine Eltern oft furchtbar gestritten. Meine Mutter war dann sehr ungerecht zu meinem Vater und stellte ihn als Versager hin, ließ ihn seine Unsicherheit, seine mangelnde berufliche Souveränität spüren. Es ist schlimm, wenn in einer Ehe die gegenseitige Achtung fehlt. Bei meiner Mutter waren Achtung und Liebe offensichtlich verloren gegangen. Mich als Kind brachte das in eine schreckliche Situation, denn so verlor auch ich zwangsläufig den Respekt vor meinem Vater.

      Später, als ich heranwuchs und mir eine eigene Meinung bilden konnte, habe ich den Wert meines Vaters erkannt und gemerkt, was für ein interessanter, geistvoller und gütiger Mensch er war, der die Anerkennung seiner Ehefrau sehr wohl verdient hätte. Als ich dann ebenfalls am Theater war, hatten wir viel miteinander zu tun. Wir befanden uns auf Augenhöhe und konnten gut zusammenarbeiten. Es war selbstverständlich, dass ich seine Rollen mit ihm erarbeitete. Dabei war es unerheblich, dass ich Anfängerin war. Er hat meine Unterstützung dankbar angenommen.

      Weil sie kein Geld hatten, konnten meine Eltern sich auch nicht scheiden lassen. Erst im Alter, nachdem alle Kinder aus dem Haus waren, gelang es ihnen, eine friedliche Altersbeziehung zu führen. Sie haben sogar noch im Kreise der Familie ihre Goldene Hochzeit gefeiert.

      Die letzten zwanzig Jahre seines Lebens war mein Vater unter der Intendanz von Hans Fitze am Altonaer Theater in Hamburg engagiert. Er hat bis zum Schluss auf der Bühne gestanden.

      Ich habe immer versucht, meine Eltern an meinem Leben teilhaben zu lassen, sie zu unterstützen, wo es ging, auch finanziell. Ich wollte einen Ausgleich für all die Entbehrungen schaffen, die sie in ihrem Leben auf sich nehmen mussten. Ich wollte, dass sie sich wertgeschätzt fühlten.

      Als ich meiner Mutter viele Jahre später einen edlen Mantel mit einem Nerzkragen zu Weihnachten schickte, hörte ich nach den Feiertagen und auch in den Tagen danach nichts von ihr, was ungewöhnlich war. Schließlich rief ich sie an und fragte, ob mein Weihnachtspaket nicht angekommen sei. Meine Mutter antwortete entrüstet: »Was hast du dir nur dabei gedacht? Bei welcher Gelegenheit soll ich diesen Mantel denn anziehen? Und was dazu? Ich habe doch keine passenden Handschuhe, keine Handtasche, keinen Hut, keine Schuhe, kein Winterkleid.«

      Ich war gekränkt und verletzt und heulte mir die Augen aus dem Kopf. Dann kratzte ich Geld zusammen, kaufte für sie die nicht vorhandenen Dinge und schickte ein weiteres Paket, ich wollte, dass sie glücklich war. Ich hörte nichts von ihr, und wir haben auch nie mehr darüber gesprochen. Statt ihr eine Freude zu bereiten, hatte ich ihr mit meinen Geschenken offenbar ihre eingeschränkte Lebenssituation noch einmal deutlich vor Augen geführt, wenn auch unabsichtlich.

      Dich hat der Esel im Galopp verloren

      »Die Ellen kann den Spargel querfressen«, spotteten meine Mitschüler. Ich galt als Nachkomme von ­Dschin­gis Khan und wurde »Papp-Chines« gerufen. Ich hatte einen breiten Mund, Schlitzaugen und zwei Löcher im Gesicht statt einer Nase. Ich war hässlich. Zumindest empfand ich mich als hässlich, und je älter ich wurde, desto mehr belastete es mich. Manche Äußerungen anderer Menschen gehen einem so unter die Haut, dass man sie ein ganzes Leben lang mit sich herumträgt.

      Einmal hörte ich, wie die Nachbarin zu meiner Mutter sagte: »Wir bewundern in der Nachbarschaft ja alle, wie nett sie zu der Ellen sind, wo sie doch gar nicht ihre Tochter ist.« Meine Mutter fiel aus allen Wolken. Da legte die Nachbarin nach: »Na ja, sie sieht weder Ihnen noch Ihrem Mann ähnlich.«

      Gerade als junger Mensch ist man sein Äußeres betreffend oft unsicher und möchte den herrschenden Schönheitsidealen genügen. Man muss auch die damalige Zeit vor Augen haben. Ich bin im Dritten Reich aufgewachsen, da sollte man blond und blauäugig sein. Dieses Ideal hat noch lange nachgewirkt. Selbst im deutschen Nachkriegsfilm wurden meist nur die Blonden und Blauäugigen Stars.

      Heute, da ich alt und grau bin, sagen die Leute zu mir: »Du warst ja so schön!« Damals sagte das niemand. Ich war nicht schön, ich galt höchstens als »apart«. Wenn man etwas Nettes über mich sagen wollte, formulierte man das so: »Ellen ist apart!« Ich konnte das Wort schon nicht mehr hören. Wie gern wäre ich blond und blauäugig gewesen!

      Natürlich suchten meine Eltern eine plausible Erklärung für das asiatische Aussehen ihrer Tochter, und siehe da, es gab eine Geschichte: Einer meiner Ahnen väterlicherseits war Kapitän eines eigenen Gewürzseglers gewesen. Mit diesem Schiff unternahm er weite Fahrten, zum Beispiel nach Borneo und Java. Der Segler konnte nur bei Ebbe in See stechen, wenn das Wasser aus dem Hafen strömte und das Schiff quasi mit sich zog. Umkehren war da nicht mehr möglich, und so warf sich seine Geliebte auf Java bei Ebbe ins Meer und schwamm dem Schiff hinterher. Dem Kapitän blieb nichts anderes übrig, als sie aus dem Wasser zu fischen und mitzunehmen. Das Mädchen war schwanger. Auf der langen Heimreise nach Holland gebar sie einen Knaben. Im Logbuch wurde vermerkt, dass die Besatzung des Schiffes ohne Personenverluste den Heimathafen erreichte. Das war zu jener Zeit ungewöhnlich, weil der Skorbut immer Opfer forderte. Weil wegen der Schwangeren aber viele Häfen angesteuert wurden und dadurch immer frische Lebensmittel zur Verfügung standen, rettete das zu erwartende und bald auf dem Schiff geborene Baby sozusagen etlichen Männern das Leben. Nur die junge Mutter überstand die Reise nicht, sie starb vermutlich an einer Blinddarminfektion. Zu Hause angekommen, legte der Kapitän seiner Ehefrau das Baby in die Arme, und die schon ziemlich alte, kinderlose Frau akzeptierte das Mitbringsel ihres Mannes.

      Vollends verunsichert wurde ich eines Tages durch den saloppen Ausspruch meiner Mutter: »Kind, dich habe ich nicht geboren, dich hat der Esel im Galopp verloren.«

      So verfestigte sich in mir immer mehr der Gedanke, dass ich ein angenommenes Kind wäre und nicht die Tochter meiner Eltern. Ich erfand eine schöne blonde, blauäugige Zwillingsschwester, die aber in Amerika lebte. Diese Geschichte spielte ich auch bei meinen Spielkameraden aus: Ich sei nach Deutschland geschickt und hier von meinen Eltern adoptiert worden. Als »Beweis« zeigte ich ihnen den »Stempel« auf meinem Rücken, der tiefen Eindruck auf sie machte. Ich habe da nämlich eine viereckige, briefmarkengroße Narbe. Ich bin mit zwei erdbeergroßen Blutschwämmchen auf Kopf und Rücken geboren worden. Beide wurden mit Radium weggebrannt und hinterließen diese Narben.

      Dass ich hässlich war, hatte ich irgendwann verinnerlicht und akzeptiert. Als es Mode wurde, sich die langen Haare abzuschneiden, habe ich als Einzige in der Klasse meine Zöpfe nicht drangegeben, weil ich wusste, dass ich dadurch nicht schöner werden würde.

      Aus Sparsamkeit musste ich zudem die Kleidung meiner Vettern auftragen und meine Füße in Jungenschuhe stecken. Das war mir zwar peinlich, aber ich durfte mich nicht beschweren, wollte ich meine Eltern nicht in Ver­legenheit bringen. So habe ich meine Lektion früh gelernt.

      Meine Komplexe habe ich mit Leistung und Fleiß kompensiert, denn nur so konnte ich beweisen, dass ich trotz meines Äußeren zu etwas nütze war. Ich bin sehr gerne zur Schule gegangen, habe gerne gelernt und war eine gute Schülerin. Daher bekam ich auch ein Stipendium und konnte aufs Gymnasium gehen. Meine Eltern hätten sich das Schulgeld nicht leisten können. Über das Stipendium hinaus bekam ich sogar noch über neunzig Mark Beihilfe für Bücher und Lehrmittel und konnte so schon als Neunjährige zum Familieneinkommen beitragen.

      Ein einziges Mal habe ich mein Stipendium ernsthaft gefährdet. Das Haus, in dem meine Freundin Isabel wohnte, lag direkt auf meinem Schulweg, und ich holte sie jeden Tag ab. Eines Morgens kam sie mit einem Rosenstrauß im originalen Einschlagpapier die Treppe herunter. Ihre Mutter, eine Pianistin, hatte die Rosen am Abend zuvor auf einem Konzert überreicht bekommen. Ich staunte. Doch Isabel ließ mich einen Blick in die Verpackung werfen. Die Rosen waren kaputt, die Stängel unterhalb der Knospen geknickt. Genau diese Rosen wollte Isabel malen. Ich aber hatte eine ganz andere, infame Idee für ihre Verwendung.

      Fräulein СКАЧАТЬ