Dich hat der Esel im Galopp verloren. Ellen Schwiers
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СКАЧАТЬ den Mutterleib. Die Nabelschnur war mehrfach um meinen Hals gewickelt. Endlich entschloss sich der Arzt zu einem erlösenden großen Schnitt, und ich kam nahezu erstickt und blau auf die Welt. Meine Mutter hatte viel Blut verloren, weshalb man sich zunächst um sie kümmerte, während man mich zwischen ihren Beinen ablegte, wo ich im Blut und Fruchtwasser fast ertrunken wäre. Noch Wochen später, so wurde mir erzählt, hätte ich immer wieder niesen müssen.

      Mein Großvater väterlicherseits war enttäuscht, dass es ein Mädchen war. Er zeigte wenig Interesse an mir und beachtete mich kaum. Meine Großmutter stand völlig unter seinem Pantoffel. Ende 1945 sind diese Großeltern vor den Russen von Stettin nach Lübeck geflohen. Dort lebte ihre Tochter, die ihnen in ihrem Haus ein Zimmer zur Verfügung stellte.

      Bereits ein Vierteljahr nach meiner Geburt begann mein unstetes Leben, das von Anfang an vom Beruf meines Vaters und seinen häufigen Theaterwechseln bestimmt war. Er hatte ein Engagement nach Mainz bekommen. Es war eine lange Reise von Stettin bis an den Rhein. Meine Eltern mieteten ein Zimmer bei einer Frau, die mich sofort ins Herz schloss und »adoptierte«. Sie liebte mich, ihr »Kindsche«, vom ersten Augenblick an. »Dat Kindsche hat mich anjestraalt, dat schreit ja überhaupt nisch!« Trotz meiner schwierigen Geburt war ich offensichtlich von Anfang an ein glückliches und zufriedenes Kind.

      Meine Eltern

      Die große Leidenschaft meines Vaters von früher Jugend an galt dem Theater. Er studierte offiziell in München Volkswirtschaft und Jura, während er gleichzeitig heimlich Schauspielunterricht nahm. Nachdem er zu seiner zweiten Prüfung zum Assessor nicht angetreten war, musste er es seinen Eltern beichten. Sein Vater war wütend und enttäuscht, hatte sein Sohn doch eigentlich die Papierfabrik übernehmen sollen. Dennoch versprach er ihm, die Schauspielschule zu bezahlen, wenn er denn unbedingt Schauspieler werden wolle. Bedingung war allerdings, dass es die beste Schule Deutschlands sein müsse. Und dass er, wenn er sie beendet hätte, keinerlei Unterstützung mehr von zu Hause zu erwarten habe, sondern ab dann ganz alleine »schwimmen« müsse. Und genauso kam es auch.

      Mein Vater sprach am Max-Reinhardt-Institut in Berlin vor. Obwohl er eigentlich schon zu alt war, wurde er dort angenommen. Damit war die Sache klar. Mein Großvater hielt Wort, zahlte die Schauspielausbildung, und nach Beendigung der Schauspielschule erhielt mein Vater keinen Pfennig mehr von ihm. Auch die junge Ehe wurde nicht unterstützt.

      Ich kam ungeplant auf die Welt. Durch diese Verantwortung und weil meine Eltern nie Geld hatten, denn von einem regelmäßigen Einkommen konnte keine Rede sein, war die Ehe von Anfang an belastet. Sicherlich hat diese Situation auch die berufliche und künstlerische Entwicklung meines Vaters stark beeinflusst.

      Als junger Schauspieler musste er ständig an verschiedenen Theatern in der Provinz spielen, in Halberstadt, Gera und anderen Orten mehr, immer in der Hoffnung, irgendwann an ein größeres Theater zu kommen, nach Berlin, Hamburg oder München. Dies waren ganzjährige Theater, während die kleineren über die Sommermonate hinweg schlossen und die Schauspieler in dieser Zeit drei bis vier Monate arbeitslos ­waren.

      In der spielfreien Zeit versuchte mein Vater auf andere Art, den notwendigen Unterhalt für die Familie zu verdienen. Zum Beispiel kalkte er auf Bauernhöfen die Ställe, eine jammervolle Arbeit, die meine Mutter wenig würdigte. Sie hatte sich damals bei den Aufführungen der Schauspielschule in Berlin in den Prinzen von Homburg, in den Don Carlos und den Ferdinand aus »Kabale und Liebe« verliebt, zumal mein Vater ein sehr schöner Mann mit einer eindrucksvollen Stimme war. Doch die harte, entbehrungsreiche Alltagsrealität mit Lutz Schwiers war für meine Mutter nur schwer zu ertragen und verlangte ihr viel an Einschränkung, Improvisation und Flexi­bilität ab.

      Wir sind unzählige Male umgezogen, von Engagement zu Engagement, von Stadt zu Stadt. Ich habe fünfzehn Mal die Schule gewechselt. Wir wohnten in dieser Zeit zwangsläufig nur möbliert. Als wir in Koblenz die erste richtige Wohnung bezogen, war ich zehn Jahre alt. Endlich konnte meine Mutter ihre geerbten Möbel bringen lassen, darunter eine wertvolle Rokoko-Kommode aus der Werkstatt Abraham Roentgens von 1755, auf die sie sehr stolz war. Meine Mutter legte viel Wert auf Stil und hatte einen ausgezeichneten Geschmack. Sie war eine elegante, sensible Frau, die es schaffte, in unserem ärmlichen Haushalt ein gewisses großbürgerliches Niveau zu halten. Ihre Kindheit und Jugend auf dem Rittergut in Zietlow, die ländliche adlige Lebensart, hatten sie geprägt. In gewisser Weise ist sie auch immer das naive Kind vom Lande geblieben. Die verlorene Heimat war und blieb der Fixpunkt ihres Lebens, und die Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend waren ihr ganzes Leben lang sehr präsent. Sie lebte gewissermaßen in der Vergangenheit, von der sie viel erzählte. Mit fünfundachtzig Jahren schrieb sie ihre Kindheitserinnerungen auf. »Das Paradies liegt in Pommern« wurde verlegt und ein Erfolg, und zum ersten Mal in ihrem Leben verdiente sie eigenes Geld.

      Meine Mutter konnte gut Leute unterhalten und stand gerne im Mittelpunkt. Außerdem war sie eine hervorragende Gastgeberin. Trotz der geringen Mittel, über die wir verfügten, führten meine Eltern ein offenes Haus und hatten häufig Besuch. Auch die Theater­leute kamen oft nach den Proben zu uns, dann wurde viel über das Theater und die Inszenierungen diskutiert. Meine Mutter goss »Wasser zur Suppe«, und jeder war willkommen. Es war immer Leben im Haus, und auch wir Kinder genossen dadurch eine gewisse Freiheit, denn wir waren Teil dieses unkonventionellen Lebens und dieser Lebendigkeit.

      Mein Bruder Gösta wurde fünf Jahre nach mir geboren. Ich hatte allerdings von der Schwangerschaft meiner Mutter nichts mitbekommen und bin auch in keiner Weise auf die Ankunft eines Geschwisterchens vorbereitet worden. Als meine Eltern zur Entbindung losfuhren, ließen sie mich ohne Erklärung bei den Nachbarn zurück. Ich fühlte mich allein und verlassen. Als ich ein paar Tage später in ein Kloster mitgenommen wurde, lag da meine Mutter in einem riesigen Zimmer, mit meinem Bruder, der meiner Meinung nach viel zu viel Aufmerksamkeit bekam, so dass ich eifersüchtig auf ihn war.

      Die Erziehung von uns Kindern oblag meiner Mutter, die Wert auf eine humanistische Bildung legte, wie sie es von zu Hause her kannte. Sie war im Grunde allein­erziehend, denn mein Vater war zu sehr mit sich und dem Theater beschäftigt. Später, als wir älter waren, musste er dann in den Krieg.

      Mein Vater war ein feinsinniger, philosophischer, nachdenklicher Mensch, der mit den alltäglichen Anforderungen des Lebens nicht zurechtkam. Die Familie mit zuletzt drei Kindern, der Beruf, all das überforderte ihn. Er konnte das Leben nicht meistern. Er konnte auch nicht kämpfen, nicht für sich selber einstehen oder seine Gage angemessen verhandeln. Mit seiner Karriere ging es aus verschiedenen Gründen nicht voran. Hätte er eine gemacht, hätte ihn meine Mutter gewiss respektiert. So aber war sie eine enttäuschte und frustrierte Frau, die das Leben nicht führen konnte, das sie sich wünschte. Sie versuchte ständig, meinen Vater voranzutreiben, aber er verweigerte sich und zog sich immer mehr in sich selbst zurück.

      Er wurde auch regelmäßig vor jeder Premiere krank vor Lampenfieber. Es war tragisch. Dabei hatte er als Schauspieler durchaus Erfolg und war beliebt, nicht nur beim Publikum. Auch das Feuilleton der Tageszeitungen wusste seine schauspielerische Leistung zu schätzen. Doch ihm fehlte das für diesen Beruf nötige Selbstwertgefühl, die Souveränität und das entsprechende Auftreten. So ist mein Vater weit hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben. Seine Zurückhaltung und Bescheidenheit machten ihn andererseits aber auch sympathisch und liebenswert.

      Meine Eltern lebten im Grunde beide in ihrer eigenen Welt und waren, jeder auf seine Art, lebensfremd. Sie standen den Anforderungen, die das Leben mit sich brachte, oft hilflos gegenüber. Sie waren nicht gewieft oder gar gerissen, konnten sich keine Vorteile sichern und auch keine Wege finden, sich das Leben einfacher zu machen.

      Dass ich lebensuntüchtige Eltern hatte, wurde mir schon recht früh klar. Auf der anderen Seite hatte das auch Vorteile für mich, denn sie waren dankbar und fanden es toll, wenn ich die Initiative ergriff und Verantwortung übernahm. Das haben sie mich auch spüren lassen und mich in meinem Drang, die Dinge СКАЧАТЬ