Dich hat der Esel im Galopp verloren. Ellen Schwiers
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      Über drei Jahre hinweg habe ich Ellen in Abständen, von Hamburg kommend, in ihrem Haus am Starnberger See besucht. Dabei habe ich auch ein Stück meiner eigenen Familiengeschichte besser kennengelernt. Während unseres Zusammenseins gab es viele fröhliche Momente voller Witz, Lachen und Anekdoten, aber auch Momente voller schmerzhafter, trauriger Erinnerungen. Es passiert nicht oft, dass man einem Menschen so nahe kommt, auch wenn es die eigene Tante ist, und ich habe eine Frau voller Kraft, Präsenz und künstlerischer Leidenschaft erlebt: lebens­bejahend, kämpferisch, zielstrebig und unkonventionell. Mit einem unabhängigen Geist und einer großen Seele.

      Für die große Offenheit und das mir geschenkte Vertrauen bin ich sehr dankbar; unser Austausch hat mein Leben bereichert.

      In den letzten Jahren ihres Lebens litt Ellen Schwiers zunehmend unter großen Schmerzen. Auch Operationen und eine Schmerztherapie brachten keine Linderung. Die Schmerzen zermürbten sie und nahmen ihr den Lebenswillen.

      Daher befürwortete sie eine assistierte Sterbehilfe, denn sie wünschte sich einen würdevollen, selbstbestimmten Tod. Ellen Schwiers wollte kein Pflegefall sein. So beschloss sie, mit Sterbefasten anzufangen. Konsequent stellte sie das Essen und nach und nach auch das Trinken ein. Zu Hause, in ihrer gewohnten Umgebung, mit Menschen, die sie liebten und die ihr nahe waren. Auch wurde sie palliativ betreut.

      Sie wartete noch, bis ihre Enkelin Josephine aus Kanada angereist war, um sich von ihrer Großmutter zu verabschieden. Danach konnte sie das Leben loslassen. Wie sie es sich gewünscht hat, ist sie im Kreis ihrer Familie, in ihrem Haus am Starnberger See, friedlich eingeschlafen.

      Ellen Schwiers verstarb am Morgen des 26. April 2019. Sie wurde 88 Jahre alt.

      Marte von Have

      Vorwort

      von Katerina Jacob

      Als man mich bat, das Vorwort für die Biografie meiner Mutter zu schreiben, bin ich lange in mich gegangen und habe unser gemeinsames Leben an meinem inneren Auge vorbeiziehen lassen. Sicherlich gab es bei uns, wie bei anderen Mutter-Tochter-Gespannen, von Zeit zu Zeit Spannungen, aber alles in allem habe ich, was die Person meiner Mutter betrifft, Glück gehabt. Man sagt ja, dass sich Kinder die Eltern aussuchen, zumindest in der Beziehung habe ich guten Geschmack bewiesen. Doch wie soll man eine Person beschreiben, die einen ein ganzes Leben begleitet hat, von der man achtzig Prozent Gene geerbt hat? Mein Vater war an meiner Entstehung zwar beteiligt, konnte sich aber gentechnisch nicht wirklich durchsetzen. Alle Frauen in unserer Familie sind starke Frauen, auch die angeheirateten, aber meine Mutter war immer unser Alphatier. Es war eher ein Zufall, dass ich in den gleichen Beruf gerutscht bin, und natürlich hat man an der Last zu tragen, dass da eine Mutter ist, die nicht nur eine hervorragende Schauspielerin ist, sondern auch noch bekannt, ein Star sozusagen. Sie, die Tragödin, der weibliche Bösewicht des deutschen Films, die Heroine. Ich habe sie in so vielen Rollen gesehen und war jedes Mal beeindruckt, also beschloss ich, konkurrenzlos von ihr in die komödian­tische Richtung zu gehen, denn auf dem Gebiet hat sie eher geschwächelt. Wir haben viel zusammen auf der Bühne gestanden, ich habe von ihr gelernt, wir waren gleichberechtigte Partner, nie hat sie mir das Gefühl gegeben, nicht auf Augenhöhe mit ihr zu sein. Das Theater war ihr Leben. Umso schlimmer war es für sie, nach siebzig Jahren Bühnenpräsenz eines Tages einsehen zu müssen, dass sie ihren geliebten Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte. Die ganze Familie litt unter ihren Depressionen. Doch Gott sei Dank waren da ihre Hunde, ihr Garten und vor allem ihre wilden Füchse und Vögel, die sie mit Hingabe fütterte. Ihre Freundin Lilo, mit der sie Yahtzee bis zum Umfallen spielte, und Freunde, die sie täglich besuchten. Meine Mutter war voll von Geschichten, eine Zeitzeugin, Jung und Alt hingen an ihren Lippen, wenn sie aus ihrem ausgefüllten, spannenden Leben berichtete. Lustig, tragisch, interessant, lehrreich, dieses Leben musste auf Papier gebannt werden. Ich möchte meiner Cousine Marte danken, von der die Initialzündung zur Entstehung dieses Buches kam. Für mich war meine Mutter eine Schamanin, meine beste Freundin, meine Ratgeberin, ein Mensch mit einem großen Herzen. Ich danke ihr, dass ich ihre Tochter sein darf, dass sie mich zu der ­Person gemacht hat, die ich heute bin.

      Du hast alles richtig gemacht. Ich liebe dich!

      Katerina

      Kindheit

      Ich sehe mich auf einer Blumenwiese sitzen. Ich bin vier Jahre alt. Um mich herum sind unzählige Schmetterlinge, Grashüpfer und Grillen, die es in Hülle und Fülle gab. Ich höre ihr Zirpen, spüre die Weite der Wiese, die Weite des Himmels. Es war eine wunderschöne Welt, eine reiche Natur, die ich liebte und in der ich mich geborgen fühlte, glücklich, frei und unbeschwert. Für mich war die Welt in Ordnung. Ich habe sehr gerne gelebt und in mir war ein Gefühl von großer Dankbarkeit und Glück. Dieses Gefühl von Dankbarkeit hat sich bis heute erhalten. Ich habe mein Leben lang nie daran gezweifelt, dass es aufregend schön und ein großes Geschenk ist, auf der Welt zu sein, trotz des Schmerzes und Elends, die ich auch erlebt habe.

      Schon als Kind war das Leben ein großes Abenteuer für mich. So habe ich mein Dasein empfunden: als großes Abenteuer. Dieses Abenteuer galt es zu bestehen. Das ist die Aufgabe – das Leben ist eine Aufgabe.

      Lange wollte ich Naturforscherin oder Archäologin werden, denn in meiner Kindheit gab es noch weiße Flecken auf der Welt. Das hat mich fasziniert und meine Phantasie beflügelt. Natur und Tiere haben mich be­­geistert.

      Ich habe mir so sehr einen Hund gewünscht, doch das war mit unserem unsteten Leben und den beengten Verhältnissen nicht vereinbar. Also habe ich mir ersatzweise Mäuse und Hamster auf dem Feld gefangen, und mein Vater baute aus Zigarrenschachteln ein Gehege für sie. Die Schachteln wurden so miteinander verbunden, dass für die Tiere Gänge entstanden. Obendrauf legte mein Vater eine Glasplatte, damit ich die Tiere beobachten konnte. Doch am nächsten Morgen hatten sie sich durch die Holzschachteln genagt. Meine Mutter bekam einen Anfall. Denn es war klar, dass die Viecher nun irgendwo in unserer Wohnung herumspazierten. Auf allen vieren krochen wir durch die Wohnung, um jeden Spalt und jede Ritze zu untersuchen. Schließlich konnten wir sie einfangen, und mein Vater schlug die Holzschachteln in einem zweiten Versuch nun mit Blech aus.

      Ich hatte immer irgendwelche Tiere. Auch eine Kröte hatte ich als Haustier. Hänschen, so nannte ich sie, lebte im Keller. Und wenn ich sie rief, kam sie angesprungen. Hänschen war einen Sommer lang mein ganzes Glück, bis böse Buben kamen und Hänschen in die Lahn schmissen. Ich war untröstlich.

      Tiere sind bis heute ein Konstante meines Lebens. Sie bedeuten mir viel und sind wichtige Partner meines Daseins.

      Mein Großvater mütterlicherseits war Landwirt und hatte eine große Liebe zur Natur, die ich mit ihm teilte. Er liebte alles, was wuchs und gedieh, und ich liebte diesen Großvater. Oft nahm er mich mit auf seine langen Spaziergänge durch den nahe gelegenen Stettiner Wald. Jede Frucht, jeden Baum, jede Pflanze erklärte er mir und erzählte dabei wunderbare Geschichten. Er brachte mir bei, die Wetterseite der Bäume zu erkennen und spielte mit mir »Bäume erraten«, wobei ich die Bäume nicht an ihren Blättern oder der Borke erkennen, sondern allein von der Krone her benennen sollte.

      Ich habe auch leidenschaftlich gerne Blumensträuße gepflückt. Die Wiesen waren damals noch voller Blumen, Blüten und Insekten. Die große Artenvielfalt meiner Kindertage gibt es nicht mehr. Es macht mich wehmütig, dass ein Drittel der heimischen Tier- und Pflanzenarten inzwischen vom Aussterben bedroht ist. Ein bedrückender Zustand, denn wir sind es, die Menschen, die die Lebensräume zerstören, die Umwelt verschmutzen, die Monokulturen anbauen, die Pestizide einsetzen. Diese Liste ließe sich endlos weiterführen. Heutzutage würde ich keinen Strauß mehr pflücken wollen. Mir tun die paar armseligen Blumen, die noch auf den Wiesen ­stehen, leid.

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